Unser Blog
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Schwerpunkte, denen wir uns ausführlich widmen: Ziegen, Helden, Dialekt, Kunstraub… Und hin und wieder Andreas Hofer. Weiter zur Kategorie themenkonzentriert.
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Über neue Objekte, die ins Museum finden und alt sind. Und über alte Objekte, die schon lang im Museum lagern, und neu entdeckt werden. Die gesammelten Artikel der Kategorie aufgesammelt.
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Was grad im Museum passiert, was die Presse notiert, wer das Museum zitiert. Das sind die Artikel der Kategorie zwischenbemerkt.
Little Hofer
Ein Tabletopper plaudert aus dem Modellbaukästchen.
Andreas Hofer als Spielfigur. Foto: David Hofer
Ein Tabletopper plaudert aus dem Modellbaukästchen.
Von David Hofer
Es gibt heutzutage viele Hobbys, denen man nachgehen kann. Ich persönlich habe mich in meiner Innsbrucker Studienzeit für eine eher exotische Variante entschieden, wobei es unterschiedliche Bezeichnungen dafür gibt: Tabletop, Miniature Wargaming oder Mandlr såmmln. Außenstehenden kann man dieses Hobby am ehesten mit den Begriffen Zinnsoldaten – Modellbau – Schach erklären. Diese Freizeitbeschäftigung besteht aus Sammeln, Basteln, Malen und auch dem Spielen von Partien.
Üblicherweise werden Figuren als Bausätze bestellt, zusammengebaut und dann bemalt. Die Figuren bestehen neben Metall inzwischen aus Hartplastik, Resin (Kunstharz) und anderen Materialien. Neueste Entwicklung ist der moderne 3-D Drucker für den Haushalt, womit man sich die Figuren selber zuhause drucken kann. Hobbybegeisterte möchten die Figuren auch einsetzen und in einer Art Strategiespiel werden historische Auseinandersetzungen nachgestellt und das eigene taktische Geschick überprüft. Sehr beliebt ist dabei die sogenannte Franzosenzeit, also der Zeitraum Andreas Hofers.
Figuren des Tiroler Landsturms mit Heugabeln hinter selbstgebastelten Barrikaden. Link zum Originalbild
Es gibt mehrere verschiedene „Settings“ für dieses Produkt. Ob Antike, Mittelalter, Neuzeit oder Moderne, man wird Miniaturen und Zusatzmaterialien dafür finden. Gerade die Auseinandersetzung mit den jeweiligen geschichtlichen Begebenheiten machen zu einem großen Teil die Faszination dieses Hobbys aus. Ich persönlich habe in meiner Sammlung größtenteils spätmittelalterliche Figuren, ergänzt mit einigen fantastischen und mythologischen Elementen (wer kann schon einem Drachen widerstehen?).
Die Ära Napoleons gehört zu den populärsten Produktlinien. Bis heute denkt man bei Zinnsoldaten üblicherweise an die uniformierten französischen Truppen mit den großen Hüten. Zusätzlich hat dieser Zeitraum den Vorteil, dass es eine große Anzahl verschiedener Mächte gab, die an den Konflikten beteiligt waren und sich dadurch historisch korrekt abbilden lassen. Das historisch akkurate Darstellen ist ein gewichtiger Punkt. Es gibt Erzählungen, wie Leute dafür streng gerügt wurden, die Epaulette (Schulterbesatz einer Uniform) im falschen Farbton bemalt zu haben.
Tiroler Schützen, von Hand bemalt. Link zum Originalbild
Und wo passt hier nun der Andreas Hofer hinein? Da zahlreiche Hobbyisten und Hersteller leidenschaftliches Interesse für Napoleons Zeit haben, gibt es dazu sehr viele verschiedene Produkte. Unter anderem eben auch Figuren für Andreas Hofer und Tiroler. So ist es gar nicht so unwahrscheinlich, dass zwei US-Amerikaner an einem verregneten Nachmittag vielleicht das zweite Gefecht am Berg Isel nachstellen. Dafür brauchen sie Gelände, Miniaturen und Spielregeln. Größtes Problem beim Tiroler Volksaufstand, so entnimmt man es den Hobbyforen, ist dabei die authentische Darstellung des steilen Geländes.
Ein Gefecht des Tiroler Volksaufstands wird in den USA nachgespielt. (Link zum Originalbild und zu weiteren Fotos)
Den Andreas Hofer und die Tiroler gibt es von mehreren Herstellern. 2009, passend zum Gedenkjahr zu 1809, kam erstmalig eine Andreas Hofer Figur auf dem Markt. Überraschenderweise war Australien der Herkunftsort, wohl noch ein britisches Erbe. Sozusagen dr Andr von Down Under.
Der Andr vom Down Under – neben Josef Speckbacher. (Link zum Originalbild)
Selbstverständlich hat das Mutterland des modernen Miniaturenschmiedens nachgezogen und es gibt ebenso einen Andreas Hofer aus dem Vereinigten Königreich.
Der Andreas Hofer aus dem Vereinigten Königreich. (Link zum Originalbild)
In naher Zukunft wird es einen Andreas Hofer „Made in Germany“ geben. Über Crowdfunding finanziert versucht der Hersteller passende Miniaturen zu entwerfen. Dass Gemälde Vorlagen sein können, zeigen bereits diese Truppen aus dem Bild zu einem Gefecht bei Wörgl in Nordtirol.
Neue Tiroler aus Deutschland in Entstehung, bisher wurde nur an den Bayern gearbeitet. (Quelle: Pianowargames/Facebook)
Interessant zu lesen sind die Foren-Diskussionen der Hobbyisten. In diesen tauschen sich die Hobbyisten darüber aus, mit welchen Spielregeln sie Andreas Hofer und die Tiroler darstellen können. Gut durch das Gelände sollen sie sich bewegen können. Einen Bonus im Kampf gegen die Bayern erhalten. Und sehr tapfer sein. Dafür aber keine zu geordneten Schlachtordnungen und Formationen.
Ich persönlich besitze keine der offiziellen Tiroler-Figuren. Aber nach meiner Zeit in Innsbruck bekam ich von einem Freund eine von ihm gebastelte Miniatur. Dafür hat er verschiedene Teile aus passenden Gussrahmen kombiniert, um einen eigenen und einmaligen Andreas Hofer zu erschaffen. Und dazu gab es noch einen Trupp Tiroler von 1809, ebenfalls aus diversen Bausätzen selbst gebastelt.
Der Andreas Hofer und die Tiroler aus meiner eigenen Sammlung. Foto: David Hofer
UPDATE | 2. Dez. 2022
Mittlerweile steht das Design für “The Alps Aflame. The Tyrolean Rebellion of 1809” und die Crowfunding-Kampagne für die Produktion von 180 Figuren ist gestartet.
UPDATE | 30. Jan. 2024
Wir haben nun einen Tyrolean Captain aus dem 3-D-Drucker! Herzliches Danke an David, “Little Hofer” bekommt bald einen Platz in der Hoferausstellung.
Der Hofer aus der Serie “The Alps Aflame. The Tyrolean Rebellion of 1809”. Foto: MuseumPasseier
UPDATE | 12. Feb. 2024
Little Hofer ist jetzt farbig.
Der Hofer aus der Serie “The Alps Aflame. The Tyrolean Rebellion of 1809”. Foto: David Hofer
“Es grüßt dich dein Koat”
Zwei Passeirer Verliebte versuchen sich 1937 im schriftlichen Liebesdialog.
In einem Passeirer Haushalt findet sich über Jahrzehnte aufbewahrte Liebespost. © Alexa Pöhl/MuseumPasseier
Als sich die Bauerntochter B. und der Taglöhner S. köstliche Liebesbriefe schrieben.
Von Judith Schwarz
Sie war die Tochter eines angesehenen und strengen Bauers und Tischlers in Passeier. Er ein einfacher Taglöhner, der sich Zeit seines Lebens auf verschiedenen Höfen verdingte. Sie kannten sich flüchtig von Kindesbeinen an und irgendwann muss es gefunkt haben.
Ihre heimlichen Treffen im Viehstall flogen natürlich auf. Und gleichzeitig flogen wohl auch die Fetzen: Der bestimmende Vater, der sich um die Zukunft seiner Tochter sorgte. Die verliebte Tochter, der es egal war, ob der Auserwählte ihr ein Dach über dem Kopf würde bieten können. Und der nicht minder verliebte junge Mann, der wusste, dass er schon bald von seiner Liebsten getrennt sein sollte.
1936 hatte S. seinen Militärdienst anzutreten. Es verschlug ihn nach Mailand und bis er seine geliebte B. wiedersehen sollte, vergingen einige Monate. Wir wissen nicht, wann und wie ihr Briefeschreiben begonnen hat, aber es haben sich acht Briefe und Postkarten in fein säuberlicher Schrift erhalten. Der früheste datiert mit 2. Juni 1937, der späteste wurde am 19. Dezember 1937 geschrieben. Dazwischen liegen sechs Monate, in denen sich S. und B. wahrscheinlich nicht gesehen haben.
„An meinen Gelübten“, schreibt B., und auch über ihre intensiven Gefühle. Was war überhaupt sagbar in jener Zeit? Bzw. schreibbar?
U[nd] ich errinere mich so Sonntags
in der Kirche wenn ich herunter
schau auf deinen gewissen Platz.
Da brennt mir das Herz vor Sehnsucht.
Wie beschreibt man seine Sehnsucht? Einfacher, als darüber in ausführlichen Briefen zu schreiben, ist es, Bildpostkarten zu schicken. Und deren bunte Sehnsuchtsmotive sprechen zu lassen.
O die Sehnsucht
nach dir ach könnte ich nur eine
halbe Stunde bei dir sein.
Ich kann es gar nicht
sagen noch schreiben
wie Lieb ich dich hab.
Die Liebe blüht wieder auf: Auf kolorierten Bildpostkarten versuchen sich zwei Passeirer Verliebte im schriftlichen Beziehungsdialog. © Alexa Pöhl/MuseumPasseier
Schreiben aus und über Liebe ist das Eine. Das Andere ist die Angst, beim heimlichen Briefeschreiben entdeckt zu werden. Und die Sorge, dass die Verbindung von der Familie nicht anerkannt wird. Später soll der Brautvater es aufgegeben haben, sich in die Männerwahl seiner Töchter einzumischen.
Liebster S., ich mus dir
noch etwas schreiben, der Vater
hat noch nie ein Wort gesagt
zu mir von dir aber sonst ist
er heuer fein er war nicht oft
so fein ich habe kein schlechtes
Wort gehört es ist nicht wie
voriges Jahr. bitte wenn du
einmal Zeit hast schreib ihn
einmal schauen ob er gar nichts
sagt.
B. zeichnete in ihrer Schlafkammer blaue Blumen für ihren Liebsten, heimlich und bei Kerzenschein: Ich setze so im stillen Kämerlein verlassen von dir. © MuseumPasseier
Köstlich sind die Schlussformeln der Liebeskorrespondenz. Dein Koat, schreibt B. einige Male an ihren S., als er beim Militärdienst weilt und sie sich daheim derlångwailt. Wobei Koat, laut Franz Lanthaler, eigentlich ein Schimpfwort ist und von einem lästigen Insekt bis zu einem großen Untier alles bezeichnen [kann], was als grauslich oder unansehnlich eingestuft wird.
Jetzt mus ich Schlafen
gehen es ist schon bald
zwölf Uhr, es grüst dich
dein Koat.
Nicht immer scheint die Liebeskorrespondenz als Brücke der Kommunikation funktioniert zu haben. Im letzten erhaltenen Brief klingt Besorgnis durch.
Habe noch keine Post
von dir bekommen als
zuletzt die Karte und
auf der hab ich dir
Antwort geschrieben weis
nicht hab ich dich
beleidigt oder was ist
Müssen wir uns Sorgen machen? Wird die Fernbeziehung halten, der Bräutigam heil zurückkommen, der Brautvater sein Einverständnis zur Heirat geben? Alle drei Fragen können wir bejahen: S. und B. werden einige Jahre nach dem Militärdienst heiraten, ein gutes Dutzend Kinder bekommen und im hohen Alter sterben. Ihre Liebesbriefe aber haben ihre Ehe überdauert.
Hast du auch Liebesbriefe deiner Vorfahr*innen? Briefe aus einer Zeit, bevor Textnachrichten, Audiokommentare oder Emojis verschickt wurden? Wir freuen uns, wenn du sie uns schickst oder uns davon erzählst.
Guck, ein Nepomuk!
Von den vielen Heiligen fasziniert einer besonders. Der mit dem markanten Namen.
Er scheint mit skeptischem Blick das Wasser im Zinnkesselchen zu bewachen: Der Näppermukk auf dem Weihwasserkrügl von Anna Ladurner Hofer. © MuseumPasseier
Von den vielen Heiligen fasziniert einer besonders: Der mit dem markanten Namen.
Von MuseumPasseier
Im Passeier wird aus dem heiligen Johannes Nepomuk meist der Näppermukk – damit klingt der Märtyrer mit dem etwas speziellen Nachnamen gleich weniger exotisch. Fast so, als spräche man über einen liebenswerten, alten Kumpel. Dass der Näppermukk eigentlich Johannes Wölfflin hieß, steht zwar auf Wikipedia, wissen aber wenige. Und dass es im heutigen Tschechien eine Stadt mit dem ehemaligen Namen Pomuk gibt, ebenso. „Ne Pomuk“ bedeutet „aus Pomuk“ – und damit ist klar, wie Johannes Wölfflin zu seinem Namen gekommen ist, der also gar kein Nachname ist.
Über den Nepomuk aus Pomuk und die Nepomuks in Passeier handelt eine neue Passeirer Publikation. Monika Mader hat sich intensiv mit dem Märtyrer beschäftigt, den man als Beschützer vor Wassergefahren und als Schutzheiligen der Priester und des Beichtgeheimnisses kennt. Gemeinsam mit Katrin Klotz und Werner Graf berichtet sie auf 150 Seiten über die 200-jährige Geschichte der Kirche zum Heiligen Johannes Nepomuk in Wans in Walten, Gemeinde St. Leonhard in Passeier.
Der Star der Publikation ist aber Johannes Nepomuk. Das liegt an einem Ritual, das in Walten jährlich im Juni Teil der Johannes-Prozession ist und wie ein Leichenzug bei einem Begräbnis anmutet. Eine lebensgroße Holzfigur des toten Nepomuk wird auf einer Bahre aus dem Waltnerbach geborgen (nachdem sie am Morgen dort hinein gelegt worden ist) und zu Fuß etwa 3 km zum Wånser Kirchl getragen. Ein eigenartiges und auch einzigartiges Schauspiel.
Daneben enthält das Buch eine Kollektion an Nepomuks aus Passeier. Die Gemälde, Fresken und Skulpturen, die die Künstler der Passeirer Malerschule geschaffen haben. Dazu natürlich auch Bildstöcke, von denen aus der dargestellte Nepomuk die Landschaft vor Wasserfluten schützen sollte. Und dann ist darin auch der Nepomuk auf einem Weihwasserkrügl abgebildet, das im MuseumPasseier hängt. Ein ganz spezielles Objekt.
Der Wandkessel aus Zinn trägt die Initialen ALH. Dass es das Weihwasserkrügl der Anna Ladurner Hofer war, liegt nahe. Die Sandwirtin und Ehefrau von Andreas Hofer hat sehr gerne ihren Besitz gekennzeichnet bzw. vielmehr kennzeichnen lassen, sie war ja Analphabetin. So finden wir ihren Namen auf gar einigen Möbelstücken.
Warum ein Weihwasserkessel mit dem Johannes Nepomuk? Das Motiv ist für einen Weihwasserkessel selten, obwohl die Lebensgeschichte des Johannes Nepomuk mit Wasser zu tun hat: Er selbst konnte sich aus den Fluten der Moldau nicht retten, aber möglicherweise sollte er den Sandhof vor der nahen Passer bewahren. Daneben steht der Brückenheilige auch für Verschwiegenheit und Beichtgeheimnisse – auch dazu hätte die Frau des gefeierten und gejagten Oberkommandanten sicherlich einiges zu erzählen gewusst.
Der wunderliche Wånser Näppermukk macht wundrig: In welchen Bildstöcken, an welchen Wänden, auf welchen Gebrauchsgegenständen in Passeier ist der Heilige mit Kreuz in der Hand (und bisweilen dem Zeigefinger vor dem Mund) noch zu finden? Somit scheint die neue Passeirer Publikation sagen zu wollen: Haltet Ausschau nach „Johannis Näppermukk, der (nit lai) unter der Prugge in Lättn huckt“.
Kennst du Nepomuk-Darstellungen in Passeier? Wir freuen uns, wenn du sie uns zuschickst.
Monika Mader, Werner Graf, Katrin Klotz
s‘ Wonser Kirchl. Die Kirche und die Prozession zum hl. Johannes von Nepomuk in Wans. 1822 – 2022
herausgegeben von Albert Oberprantacher und Wolfram Klotz für den Pfarrgemeinderat Walten
2022, Meran
Das Buch ist u.a. im MuseumPasseier erhältlich.
Ich trage einen großen Namen
Wenn man als bärtiger Hofer-Nachfahre im Hofer-Museum arbeitet.
Für Andreas-Hofer-Dokumentationen ist David Hofer ein Dreier-Jackpot: Bärtiger Hofer-Nachfahre, Historiker und Vermittler im Hofer-Museum. © MuseumPasseier
Fernsehstar wider Willen. Oder: Vom Museum in die Unterhaltungsshows.
Von David Hofer
Meine Mitarbeit im MuseumPasseier begann 2008, ein netter Nebenjob als Ergänzung zum Studium. Mittlerweile 14 Jahre und tatsächlich auch einen Studienabschluss später bin ich immer noch Teil des Museumteams. Erst vor kurzer Zeit gab es eine interne Veränderung und wir Mitarbeiter*innen wurden gebeten uns kurz vorzustellen. Ich erwähnte meine üblichen Arbeitsbereiche im Museum und ergänzte „falls ein Gesicht für Film oder Fernsehen gesucht wird, dann schickt man üblicherweise mich vor“.
Tatsächlich kam es bereits zu drei solcher TV-Produktionen. Natürlich liegt dies nicht nur daran, dass ich im MuseumPasseier arbeite, vielmehr daran, dass ich zusätzlich zu den über 500 lebenden Nachfahr*innen des Andreas Hofers gehöre und bequemerweise im dazugehörigen Museum zu erreichen bin. Dreimal kam bisher also ein Anruf, dass ein Hofer-Verwandter gesucht wird und meine halbherzigen Versuche auf andere Nachfahr*innen zu verweisen, blieben bislang erfolglos.
2017, 250 Jahre nach Hofers Geburt, wurde das Museum wegen eines neuen Dokumentationsfilmes der Reihe Universum History kontaktiert. Zu diesem Zeitpunkt dachte ich, mein kurzes Radiointerview im Gedenkjahr 2009 bliebe der Höhepunkt meiner medialen Präsenz – oder auf Platz 2, immerhin war ich als Grundschulkind vom Rai Sender Bozen zum Suppentag interviewt worden. Universum History war sicherlich die größte der Produktionen, an der ich teilhaben durfte. Viele verschiedene Drehorte, ORF und Arte involviert, einiges an Zeitaufwand. Robert Neumüller, der Regisseur und ein echter Wiener, begleitete mich freundlich und hatte in der gemeinsamen Zeit stets Geduld für meine Laienfragen. Wichtigste Anweisung war dabei, dass ich mir ja nicht den Bart stutzte.
Ich versuchte meine Rolle so gut es ging zu erfüllen. Dargestellt wurde ich als Historiker, was vermutlich in Anbetracht meines Geschichtestudiums innerhalb der Lehramtsausbildung etwas übertrieben war. Aber zum Wohle des Filmes wurde dick aufgetragen. Unter anderem musste ich mit fachmännischem Blick alte Dokumente durchblättern, die ich nicht wirklich entziffern konnte. Paläografie gehörte leider nicht zu meinen besuchten Lehrveranstaltungen. Spätestens als ich diese Einstellung zum dritten Mal wiederholen sollte, sah ich ein, dass Schauspielerei nichts für mich war.
An einem anderen Tag, es war der Herz-Jesu-Sonntag, sollte ich dann den urigen Passeirer mimen. Der Regisseur erkannte aber recht schnell, dass ich in der Rolle nicht wirklich überzeugte, als ich mich beladen mit Fackeln die steilen Hänge in Glaiten hinaufquälte. Die Filmproduktion war für mich insgesamt eine Fortbildung. Ich durfte mich mit vielen Menschen unterhalten, die zu Andreas Hofer forschten und mir neue Inhalte und Perspektiven darstellten. Hier und da versuchte ich in den Gesprächen natürlich etwas „Schleichwerbung“ für das Museum zu platzieren.
Der Bart darf nicht ab. Museumsmitarbeiter David Hofer in seiner Rolle als bärtiger Hofer-Nachfahre und vorzeitig geadelter Historiker in der Folge „Held wider Willen“ von UNIVERSUM HISTORY. (Screenshot des Teasers, ORF2).
Bereits im Jahr darauf, 2018, sollte ich zwei weitere Male vor einer Kamera sitzen. Anders als die große Filmproduktion war es jeweils nur ein kurzer Auftritt. Abermals klingelte das Telefon im Museum und wieder wurde auf mich verwiesen, als die im SWR etablierte Sendung “Ich trage einen großen Namen“ einen Nachfahren des Andreas Hofers suchte. Im Endeffekt handelt es sich dabei um ein „Wer bin ich“-Spiel, wobei Prominente versuchen die Vorfahr*innen mithilfe von Fragen zu erraten. Dafür durfte ich erster Klasse mit dem Zug nach Baden-Baden anreisen, in einem schönen Hotel unterkommen und neben den Anreise-, Verpflegungs- und Unterkunftskosten, erhielt ich sogar zusätzlich ein Honorar. Was ich ebenso erhielt, war eine E-Mail nach dem Auftritt. Laut dieser hätte ich im nachfolgenden Gespräch der Show das Heldentum des Andreas Hofers zu wenig herausgehoben. So hatte ich mir meine erste Fanpost nicht vorgestellt.
So ist das, wenn man einen großen Namen trägt. Nach dem Auftritt in der Sendung „Ich trage einen großen Namen“ gab es unerwartet Post für David Hofer. Der SWR fragte: Wo war das Heroische am Hofer geblieben? (Screenshot der Sendung, SWR)
Der letzte Fernsehauftritt war ein spaßiges Gespräch mit Hanno Settele, der in der unterhaltsamen Reihe „Der Kurier des Kaisers“ versuchte herauszufinden, wie viel jedes Bundesland in Österreich wert war. Mit Augenzwinkern wurde ich hierbei in Innsbruck gefragt, wie es mit der Vermarktung des Andreas Hofers aussehen würde. Natürlich gefilmt vor einem HOFER – also der Supermarktkette.
Wie lässt sich heute aus dem Andreas Hofer Geld machen? Hofer-Nachfahre David Hofer wird auf dem Parkplatz vom HOFER für „Der Kurier des Kaisers“ dazu interviewt (Screenshot der Folge vom 18.10.2018, ORF1).
Es waren interessante Erfahrungen, besonders die große Filmproduktion. Andererseits genoss ich den letzten Auftritt wohl am meisten, da er die lockerste Atmosphäre bot und ich allgemein nur einen kleinen Part darin hatte (auch wenn ich erneut als Historiker ausgegeben wurde).
Was am Ende bleibt sind von Zeit zu Zeit keck lachende Bekannte, Freund*innen sowie auch Schüler*innen mit dem darauffolgenden Satz: „Ich habe dich/Sie gestern im Fernsehen gesehen.“
Über die Zulle
Gegen das Ungeziffer: Erzählungen über Maikäferplagen im Passeier.
2024 ist Zullnjoor. © MuseumPasseier
Gegen das Ungeziffer: Erzählungen von Maikäferplagen im Passeier.
Von Elisa Pfitscher.
Recherchen: Annelies Gufler, Judith Schwarz
Der 6. September – ein wichtiger Tag für die Passeirer*innen. An diesem Tag wird an den Heiligen Magnus gedacht, welcher bis heute in vielen Teilen Deutschlands und Österreichs unter der bäuerlichen Bevölkerung als Schutzpatron vor Schäden durch allerlei Getier gilt. Magnus von Füssen, der um das siebte Jahrhundert ursprünglich auf den Namen Maginold getauft wurde, lebte unter Einsiedlern, als Mönch im heutigen St. Gallen. Mit seinem Abtstab soll er Schlangen und Dämonen vertrieben haben, ja sogar einen Drachen soll der Mönch damit überwältigt haben. Magnus bewahrte die Menschen vor Untieren, aber auch vor Kleinlebewesen, wie dem Maikäfer und den Engerlingen, welche die Ernte der Felder zu vernichten drohten.
Recherche im Pfarrarchiv St. Leonhard mit überraschendem Ergebnis: Bis ins Jahr 1833 reicht der “Gomioner Engerlingfeiertag” zurück. © MuseumPasseier
Besonders gedacht wird Magnus in der Fraktion Gomion. Aufzeichnungen aus dem Pfarrarchiv von St. Leonhard bezeugen, dass der Feiertag seit dem Jahre 1833 begangen wird, aus Anlass der vorhergehenden verheerenden Zullen-Jahre. Die Bezeichnung Zulle stammt wohl vom trentinischen Begriff „Zurla“ ab, welcher von trentiner Wald- und Bauarbeitern gebracht wurde. Auch das welschtiroler Wort „Zoria“ kann dabei Pate gestanden sein (Passeirer Blatt, 05/2013). Das Wort „Zurna“ oder „Zurla“ bezeichnet ein ursprünglich osmanisches Musikinstrument, welches ein Oboe-ähnliches Holzblasinstrument ist und dessen charakteristischer Ton aus surrenden und hohen-durchdringenden Lauten besteht. Es könnte somit ein lautmalender Ausdruck für die Geräusche sein, die man an einem heiteren Frühlingsabend unter einem Laubbaum voller Maikäfer vernimmt.
Die Zulle ist seit Menschengedenken ein Übel, welches nicht unter Kontrolle zu bringen ist. Die Bauern hatten große Sorge um ihre Ernte, denn dieser Blatthornkäfer ernährt sich – wie bereits der Name verrät – von den Blättern der Laubbäume, und dies in einem Ausmaß, dass sogar die Walnüsse im Tal zu einer Rarität wurden. Nüsse waren ein wichtiges Grundlebensmittel und wurden sogar im Gasthaus als Einsatz beim Kartenspielen genutzt. Gab es ein Jahr mit vielen Maikäfern, fand man kaum noch eine einzige Nuss am Baum und so auch nicht am Wirtshaustisch (mündliche Erzählung von Annelies Gufler).
Hintern Huuli gips kuëne Zulln! Dass der Aufruf zum Magnus-Feiertag erfolgreich war, bestätigen teilweise die alten Sprichwörter im Passeiertal. Man kann mehrere Gründe dafür vermuten: Blieben die Gomioner von den Zulln verschont, weil die Ortschaft zu hoch gelegen ist? Oder mochten die Zulln dieses Plätzchen im Passeiertal nicht? Gab es doch vor dem Magnus-Feiertag zum Teil große Schäden auf den Höfen hinter St. Leonhard. Trotz der Erzählungen und Mythen wurde Gomion dennoch nicht verschont.
Eine Katastrophe für eine Bauersfamilie in der Nachkriegszeit. Rosa Hauser (Kourtl Rouse), Jahrgang 1933, erinnert sich, wie schwer es sie und ihre kinderreiche Familie auf dem Hof in Schlattach getroffen hatte. Als sie 12 Jahre alt war, haben Engerlinge alle Wurzeln von Gras und Weide abgefressen. Als der Vater daraufhin mähen wollte, wurde das Ausmaß des Schadens ersichtlich: Der Woosn geat hee, die Grassoden lösten sich, die wenigen Grashalme waren abgedorrt. Der Jahresertrag fiel dementsprechend gering aus und der Boden war zum Teil völlig unfruchtbar.
Eine Lösung gegen ein Ungeziefer, welches kaum Feinde kennt. Der Maikäfer hat mindestens den Dachs, den Marder und den ein oder anderen Vogel – wie etwa den Rotfußfalken im Etschtal, auch Zullenfalke genannt, zu fürchten. Der Engerling hingegen wird nur vom Maulwurf verspeist. Manche Passeirer*innen hofften, dass wenigstens die Hühner diese Viecher fressen möchten, doch diese verzehrten kaum einmal einen zappelnden, zirpenden Maikäfer. Anders die gekochte Variante: Zulln wurden eingesammelt, mit brühend-heißem Wasser übergossen und auf den Mist geworfen, wo viele von ihnen vom Federvieh gefressen wurden.
Nicht nur eine Spezialität für Hennen. Im Pustertal galten die unbeliebten Frühjahrsgäste als Nahrungsmittel und wurden mancherorts zu einer heilsamen und nahrhaften Suppe verkocht, welche nervenstärkend und blutreinigend sein soll. Obwohl sich die Mythen darum ranken, dass das Würzmittel „Maggi“ aus Maikäfern gewonnen wird, kann dies anhand der Recherchen nicht bestätigt werden.
Das Ministero dell´Agricoltura bittet im April 1947 die Ortspfarrer um Unterstützung bei der Maikäferbekämpfung. © Pfarrarchiv St. Leonhard in Passeier
Letztlich müssen sich die Bauern selbst helfen und eine Lösung gegen die Zulln-Plage finden. Und diese bestand vor allem aus dem Einsammeln der Tiere. Die Tatsache, dass eine einzelne Familie gegen die große Plage nicht viel bewirken konnte, erkannten auch die Verbände im Land. Es galt im Kollektiv die Schädlinge zu beseitigen. In den Nachkriegsjahren wurde daher ein Erlass vom Landwirtschaftsinspektorat, in Zusammenarbeit mit den Bürgermeistern der Gemeinden, veröffentlicht, welcher jede*n der Gemeinden erreichen sollte. Mit Unterstützung des Ortspfarrers wurde auf die Anordnung aufmerksam gemacht, um mit Hilfe aller Bauersleut der betroffenen Gemeinde die wiederkehrende Plage abzuwenden.
Zeitzeuge Adolf Höllrigl während des Interviews über das Zulln-Sammeln in Kuens. © MuseumPasseier
Schritt für Schritt gegen das Ungeziffer. Wie soll die gemeinsame Bekämpfung der Schädlinge erfolgen? In bestimmten Gemeinden wurden Sammelstellen errichtet, an denen – vielfach auch von Kindern – Eimer und Säcke voller Maikäfer hingebracht wurden. Solch eine Sammelstelle gab es auch in Kuens, erzählt der 80-jährige Adolf Höllrigl. Vom Landwirtschaftsinspektorat in Auftrag gegeben, wurden am Tschaupphof in Kuens bis in die 1950er Jahre eingesammelte Zulln abgegeben, gewogen und alle Daten in einem Register vermerkt. Dieser große, zusammengetragene Haufen an Zulln wurde mit siedendem Wasser übergossen und landete abschließend auf dem Misthaufen, wo er zum Teil von den Hühnern verspeist wurde.
Der Tschaupphof in Kuens war bis in die 1950er Jahre offizielle Zulln-Sammelstelle. © Adolf Höllrigl
Das Unterfangen, so viele Zulln wie möglich einzufangen, bedarf weniger Geschick als Ausdauer. Wichtig war nur, früh genug dran zu sein, da die Käfer am Tage ausfliegen. In der Finsternis hängen sie an den Bäumen und Blättern und fressen all das ab, was sie unter die Fühler bekommen. Am frühen Morgen ging es zu den Laubbäumen und den Weinreben. Diese wurden alle einzeln geschüttelt, um – mithilfe eines darunterliegenden Leintuchs – die benommenen und trägen Zulln rasch einzusammeln. Adolf Höllrigl erzählt aus seiner Jugend und über den Versuch der Einschränkung der Maikäfer-Plage in seiner Heimatgemeinde Kuens:
Die Gegenwart zeugt von den Ereignissen der Vergangenheit. Viele Erzählungen erinnern an die Gefahr von früher, da die Existenz ganzer Familien von den Zulln und Engerlingen bedroht war. Man erbat die Hilfe des Heiligen Magnus, setzte auf die geistliche Unterstützung im Kampf gegen die „Strafe Gottes“ oder verfolgte die Käfer, auch in Folge einer behördlichen Anordnung. Jene Kinder, welche bei der Maiandacht noch ein Exemplar dieses Tierchens – surrend und kletternd – in der Kirche fliegen ließen, machten sich aus dem Streich – im Gegenteil zu den restlichen Kirchgängern – einen großen Spaß (mündliche Erzählung von Konrad und Eberhard Pfitscher aus St. Leonhard).
Die Chemie brachte schließlich Abhilfe, aber nicht nur gegen den Feind. Die Gefahr einer Zulln-Plage ist seit dem Ende der 1950er Jahren sehr viel geringer geworden, da die Obstbäume mit immer mehr Pestiziden und Pflanzenschutzmittel gespritzt werden. Dies jedoch zum Leid aller Insekten, auch deren, welche so nützlich für ein ausgeglichenes Ökosystem sind. Der Preis ist hoch für eine Gegend ohne Zulln.
Die Spitalfrage
Warum Passeier kein Krankenhaus hat.
Die Zusage aus der Kanzlei des Erzherzog Eugen im Pfarrarchiv St. Leonhard: Für ein Andreas-Hofer-Hospital in St. Leonhard gibt es 20.000 Kronen. © MuseumPasseier
St. Leonhard kämpfte vor 113 Jahren für das Andreas-Hofer-Hospital.
Warum es nur bei der Planung geblieben ist.
Von Jasmin Angler
„Der Bezirk Passeier steht bezüglich Krankenpflege noch weit hinter der gewöhnlichen Kulturstufe zurück.“ So ernst ist die Lage also, als sich am 13. Februar 1909 die Passeirer Gemeindevertreter an Erzherzog Eugen (1863-1954) in Wien wenden. In ihrem Brief machen sie die dürftige pflegetechnische Versorgung des Tales deutlich und weisen darauf hin, dass es in den eigenständigen Gemeinden Moos, Platt und Rabenstein keine Einrichtung für kranke Menschen gibt.
Was geschieht also mit kranken Personen im Hinterpasseier? Werden sie in die Ferne geschickt, um dort medizinisch versorgt und gepflegt zu werden? Oder wird aus der Ferne jemand zu ihnen geschickt, um sich mit der kranken Person auszutauschen und medizinische Dienste zu leisten? Vor 113 Jahren müssen sich oftmals Kranke, Schwache und Hilfesuchende im Hinterpasseier von Haus zu Haus betteln. Und hoffen, im Austausch mit einer kleinen Gegenleistung aufgenommen zu werden.
Dies kann keine Dauerlösung bleiben. Das betonen die Gemeindevertreter in ihrem Schreiben an den Erzherzog: „Diese gezwungene Krankensorge bringt sowohl für die Sorge des Leibes als auch der Seele viel Unpassendes, Missliebiges und Menschenunwürdiges.“ Die Vertreter sind sich einig, dass diese Notlage Hilfe von außen erfordert. Der Pflegemangel ist so schlimm, dass kränkliche Personen oft den Winter in Scheunen verbringen müssen.
„Ein ungeregeltes Armenwesen bürgt Gefahren für Gesundheit, Religion und Sittlichkeit.“ Mit diesen Worten soll das Schreiben nach Wien die Zustände jener Zeit vor Augen führen. Es wird auch beschrieben, dass es in St. Leonhard eine Einrichtung für Kranke gibt. Diese wird sogar als “gegenwärtiges Krankenhaus” bezeichnet.
Warum ist die Lage dennoch so schlimm wie sie ist? Das damalige Gebäude für die Krankenversorgung ist kein Krankenhaus im heutigen Sinne, sondern eine kleine soziale Einrichtung, in der Arme und Kranke untergebracht werden. Es wird zu dieser Zeit Armenhaus genannt und befindet sich auf der Stickl oberhalb des Dorfzentrums St. Leonhard (heute Platzlhaus, Gerichtsweg). In den Wintermonaten ist der Weg dorthin eisig, rutschig und schneebedeckt und für die Patient*innen unmöglich begehbar. Der Besuch der Heiligen Messe ist also ausgeschlossen. Und somit ihr einziger Trost.
Die ungünstige Lage ist nicht das einzige Problem. Aufgrund von Platz- und Personalmangel werden nur maximal 15 Hilfesuchende aufgenommen, die von einer (!) Frau versorgt und gepflegt werden. Die Geschichte des Armenhauses in der Stickl startet schon am 19. Februar 1841. Ein anonymer Spender schenkt das Platzlhaus dem hiesigen Dekan. Der Geistliche, Alois Stuefer (1802–1888), legt nun die Grundlagen des späteren Armenhauses: Er beherbergt im kleinen Haus kranke Menschen aus der Pfarre. Die Nachfrage ist so groß, dass die Einrichtung um einen Stock erweitert wird.
Dann tritt Alois Stuefer das Armenhaus ab. Am 24. August 1844 überträgt der Dekan die Einrichtung dem Lokalarmenfonds. Dieser wird durch die Armenkommission vertreten, genauso wie von der Gemeindevorstehung. Später, im November 1894, bestimmt die Gemeinde im Armenhaus zusätzlich ein Arrestlokal zu erbauen.
Wir spulen wieder nach vorne. Und zwar zur dürftigen Pflegesituation in Passeier 1909. Wie reagiert Erzherzog Eugen auf das Schreiben der Gemeindevertreter vom Februar? Am 15. Juni antwortet Kanzler Moritz von Weittenhiller (1847–1911): „(…) daß seine k. und k. Hoheit der Hochwürdigst-Durchlauchtigste Herr Hoch- und Deutschmeister Erzherzog Eugen das Gesuch der fünf Gemeinden St. Leonhard, St. Martin, Platt, Moos und Rabenstein (…) betreffend die Errichtung des Andreas-Hofer-Hospitales in St. Leonhard mit dem gnädigsten Wohlwollen zur Höchsten Kenntnis genommen haben und (…) gerne bereiterklären (…) dieses Werk der Nächstenliebe und des Patriotismus (…) zu unterstützen und zu fördern.“
Doch dem Kanzler ist alles noch zu ungenau. Um mit der Planung fortzufahren, bedarf es weiterer Details. So fragt der Kanzler, wer alles im sogenannten Andreas-Hofer-Hospital untergebracht werden soll: Steht es Kranken und auch Pfründnern zur Verfügung? Pfründner können sich zu jener Zeit mit Geld in ein Krankenhaus einkaufen. Sie sind alleinstehend, haben aber die nötigen finanziellen Mittel.
Außerdem will der Kanzler die Geschlechteraufteilung klären: Wie viele Pfründner und Pfründnerinnen, wie viele kranke Männer und wie viele kranke Frauen sollen aufgenommen werden? Das Festhalten dieser Details ist nötig, um aufgrund der geplanten Maximalbesetzung das Personal anzupassen. Auch wo das neue Andreas-Hofer-Spital stehen soll, will der Kanzler wissen. Als letzte Unklarheit wird die finanzielle Frage genannt: Bevor kein genauer Budgetplan mit Kostenvoranschlag eingereicht wird, kann keine Subvention bestimmt werden.
Wo in St. Leonhard sollte das Hospital überhaupt sein? Helge Adler (1919–1989) hält Folgendes für uns fest: „Im Jahre 1909 stand das Brühwirtshaus zum Verkauf. Diese Gelegenheit sollte genutzt werden um den Neubau eines Krankenhauses für die ganze Gerichtsgemeinde Passeier, also alle Talgemeinden, zu erwirken.“ Helge Adler, geboren in Norddeutschland und mitsamt seiner Familie nach St. Leonhard ausgewandert, ordnete jahrelang das Gemeindearchiv von St. Leonhard. Seine Tochter, Susan Adler, war beruflich als Krankenschwester tätig. Krankenschwester – Krankenhaus: Aus Liebe zu seiner Tochter muss er sich für den geplanten Bau des Andreas-Hofer-Hospitals interessiert haben.
Nach weiterem Austausch der Gemeindevertretungen mit Wien kommt die Zusage vom Sponsoring schriftlich und mit Stempel. Am 22. Dezember 1909 bestätigt der Kanzler dem Vorsteher der Gemeinde in St. Leonhard, Alois Haller: Das Brühwirtshaus kann laut Budgetplan angekauft werden, um dort das Andreas-Hofer-Hospital umzusetzen. Auch der Gemeindearzt von St. Leonhard, Dr. Neurauter, bestätigt das Brühwirtshaus als geeigneten Ort.
Was kann jetzt noch dazwischen kommen? Oder besser gefragt: Wer? In der Recherche von Helge Adler lesen wir, dass die Gemeinde St. Martin dem Projekt nur unter gewissen Bedingungen zustimmt. Eine Bedingung ist, dass die Gemeinde St. Martin automatisch drei Freiplätze bekommt. Wenn dies nicht möglich ist, will man eine finanzielle Entschädigung haben.
Heute gibt es kein Krankenhaus in Passeier. Wieso nicht? Am 3. April 1910 wird vom Gemeinde-Ausschuss St. Martin Folgendes beschlossen: Der geplante Kauf des Brühwirtshauses in St. Leonhard wird nicht anerkannt. Auch Helge Adler fragt sich: „Was war geschehen? Am 22. März 1910 war der Gemeindevorsteher von St. Martin vor dem Landesausschuss in Innsbruck erschienen (…), wobei von S(t). M(artin) gegen den Kauf Einspruch erhoben wurde. Wegen der Dringlichkeit des Vorkaufs hatte der Bürgermeister von St. Leonhard (…) das Brühwirtshaus auf eigene Rechnung bereits gekauft.” Weitere Argumente waren, dass die Kosten mittlerweile erheblich höher ausfielen, dass St. Martin nicht eingebunden worden war bzw. dem dortigen Gemeindeausschuss erklärt worden ist, er hätte “nicht drein zu reden” und St. Martin “glaubte (…) großen Schaden zu erleiden”, wenn wegen des Hospitals das Gerichts-Bruderhaus in St. Martin aufgelöst würde. In St. Martin bestand nämlich, ebenso wie in St. Leonhard, ein Armenhaus und zusätzlich für das Gericht Passeier ein sogenanntes Bruderhaus. Beide in ähnlich kümmerlichem Zustand wie das Armenhaus in St. Leonhard.
Somit kommt das Andreas-Hofer-Hospital – trotz Sponsorenzusage – nicht zu Stande. Die Spitalfrage endet hiermit. Was bleibt, ist der Gedanke: Stellen wir uns vor, dass im Brühwirt, wo heute Gäste bewirtet werden, genausogut Krankenhauspatient*innen behandelt und gepflegt werden könnten.
Kunst im Fußboden
Gemälde – Teigbrett – Bodenbelag. Die vielen Leben einer Bildtafel, die im Sperrmüll gelegen hat.
Kunstwerk – Wellbrett – Bodenbelag: Die vielen Leben einer Bildtafel. © MuseumPasseier
In einem Holzfußboden mitten in St. Martin lagen sie: Bemalte Holztafeln mit eigenwilligen Motiven.
Von Judith Schwarz
Es waren einmal bemalte Holztafeln im Hohen Haus, mitten im Dorf St. Martin. Doch jemandem waren sie einst wohl im Weg und er verbaute sie als Unterlage für den Fußboden. Nach dem Herausreißen des Fußbodens landeten sie auf dem Sperrmüll und schienen selbst dort nicht am richtigen Ort zu sein. Sie wanderten zurück zum Besitzer, vom Besitzer zum Tischler, vom Tischler zum Restaurator, und – zumindest zeitweise – vom Restaurator zum MuseumPasseier zur Begutachtung.
Burg – Land – Fluss: Wo war die Bildtafel einst eingebaut, bevor sie in den Fußboden kam?
Es sind Bildtafeln, die nicht nur ehemals jemandem im Weg gewesen zu sein scheinen. Sie sind auch heute noch Gegenstände, die sich irgendwie selbst im Weg sind.
Sind sie echt? Warum nicht? Wie alt? Vor dem 18. Jahrhundert? Also Umkreis der Passeirer Malerschule? Vermutlich ja, warum auch nicht? Oder ein Import? Auch dazu: Ja, warum nicht? Künstler? Keine Anhaltspunkte. Sicher nicht der Freskant, der die Hausfassade bemalt hat. Motive? Anbetung der Hirten und Flusslandschaft mit Fischer. Jaufenburg oder Fantasielandschaft? Auf alle Fälle profan und religiös. Warum beides? Keine passende Erklärung. Und wofür? Kassettendecke? Schwierig. Wanddekor? Fraglich. Aber warum im Hohen Haus, dem ehemaligen Spital? Spende eines aufgenommenen Pflegefalls? Oder dessen Erbschaft? Evtl. nie aufgehängt, sondern sofort umgenutzt? 1781 als das Haus umgebaut wurde? Oder 1845 als es erneut umgebaut wurde? Auf einer Tafelrückseite sind Teigreste. Also eine Zweitfunktion. Oder auch anno dazumal Sperrmüll im Dorf? Und als solcher ins Hohe Haus gekommen? Als billige Unterlagen für den Fußboden? Wo hingen sie dann aber einst? Wie viele Tafeln waren es ursprünglich? Und wenn es mehrere waren, wo sind die restlichen verblieben?
Come Hofer finì al museo
Riaffermare immagini e modi di pensare ormai noti? La mostra Eroi & Hofer vuole di più.
Un museo dedicato ad Andreas Hofer nel cuore della Val Passiria?
Ci si aspetterebbe un luogo di pura celebrazione patriottica.
Testo: Josef Rohrer
Traduzione: Susanna Piccoli
Voce: Monika Gögele
Per i patrioti tirolesi il Sandhof è un luogo sacro. Qui è venuto al mondo Andreas Hofer. Qui il destino lo indusse ad assumere il ruolo di David contro il Golia Napoleone. Qui vicino, abbandonato da Dio, imperatore e patria, fu catturato dai soldati francesi dopo il fallimento dell’insurrezione del 1809.
Il Sandhof divenne in seguito meta di pellegrinaggio. In una saletta celebrativa si potevano vedere alcuni oggetti appartenuti a Hofer.
E nell’anniversario della sua morte gli Schützen celebrano tradizionalmente una messa commemorativa nella cappella di Hofer.
Sorprendentemente il potenziale museale di questo luogo rimase ignorato per molto tempo. Solo nel 1995 fu fondata un’associazione con l’obiettivo di istituire al Sandhof un museo della Passiria. Sul prato adiacente furono raggruppati vari edifici storici a creare un tipico maso contadino. Nel fienile del Sandhof trovò collocazione una raccolta di oggetti etnografici. E nell’antica stalla fu inaugurato un piccolo museo dedicato a Hofer con delle vetrine ricche di cimeli.
Un film fu una prima licenza a mostrare che la prospettiva stava cambiando. Con sottile ironia e una tecnica di animazione talvolta bizzarra racconta la vita di Hofer. Il film è stato criticato da più di un fervente patriota che lo ha definito irriverente.
Poi arrivò il 2009. Il Tirolo celebrò per un anno intero e con gran clamore l’insurrezione di 200 anni prima. Fu costruito un edificio adiacente e sotterraneo, con una superficie espositiva di 500 metri quadrati. Allo scopo di ospitare un’esposizione che mostrasse come si era arrivati alle insurrezioni tirolesi. Ma in realtà il concetto espositivo va oltre la mera rappresentazione dei fatti storici.
“Nessuno è eroe davanti al suo cameriere”. Delle citazioni come questa fanno intuire fin dall’inizio: in questo percorso museale non si troverà la glorificazione del barbuto eroe popolare. Si propone invece un approccio differenziato al culto dell’eroe in generale. All’ingresso viene proiettato un videoclip con eroi odierni in posa, accompagnato come colonna sonora da una canzone di David Bowie. “We can be heroes just for one day”, recita una frase del testo.
La figura di Andreas Hofer è posta al centro, ma in realtà costituisce un esempio. Quando nel film dedicato a Hofer si sente l’ultimo sparo del plotone d’esecuzione a Mantova, la voce narrante si chiede: “Cosa sarebbe diventato Hofer, se all’epoca Napoleone lo avesse graziato?”
Sicuramente non un eroe. Perché uno come lui doveva morire tragicamente per poter assurgere ad eroe. Una relativizzazione del suo ruolo, e un’anticipazione dell’ultima sezione del percorso. Quella che mostra la trasfigurazione di Hofer in eroe.
Le visitatrici e i visitatori si confrontano in prima istanza con la storia narrata in modo vivace. Possono osservare come le guerre napoleoniche spostarono i confini d’Europa. Apprendono che il Tirolo fu sottratto all’Austria e annesso alla Baviera. La Baviera che era alleata di Napoleone.
Erano due mondi che si scontravano: Da un lato il Tirolo contadino, chiuso e superstizioso. Dall’altro la Baviera illuminata, con un re che voleva creare uno stato moderno su modello di quello francese. Quali motivazioni stavano alla base delle riforme bavaresi in Tirolo? Come sono stata accolte dai e dalle tirolesi? L’incomprensione reciproca risulta palpabile.
Nonostante le difficoltà nell’utilizzare contemporaneamente quattro lingue, il museo fa un uso intenso del mezzo audio. È così che l’arciduca Johann promette ai Tirolesi incolleriti di inviare l’armata austriaca in loro aiuto. Nelle postazioni audio collocate lungo il percorso prendono anche la parola quattro significative figure di donne. Introducono un punto di vista femminile nella recezione quasi esclusivamente maschile dell’anno 1809.
Un famoso dipinto di Albin Egger-Lienz è stato riprodotto per il museo in un rilievo ligneo. Mostra Padre Haspinger che guida i contadini all’attacco. La sua croce è in alto come fosse un vessillo da battaglia. Dietro di lui i contadini tirolesi con scuri e correggiati. I tirolesi comandati da Andreas Hofer riuscirono per un certo tempo a preoccupare le truppe di Napoleone. Conseguirono alcune vittorie spettacolari. Hofer si insediò a Innsbruck come “reggente del Tirolo”. La sua bizzarra reggenza durò appena due mesi.
Le visitatrici e i visitatori si ritrovano in un labirinto. Sperimentano come doveva sentirsi Hofer. Hofer non sapeva cosa fare:
Lasciato senza notizie chiare da Vienna in merito alla pace che era stata conclusa. Circondato da voci contrastanti. Gli uni che vogliono convincerlo ad arrendersi. Gli altri che lo incitano a proseguire una lotta senza speranza. Hofer è un uomo dilaniato dall’incertezza.
Nonostante il fallimento, la sua ribellione fu esaltata in seguito come eroica. Il crescente sentimento nazionale del Diciannovesimo secolo necessitava di simboli. In uno di questi fu trasformato un uomo semplice e barbuto che per difendere le sue convinzioni non aveva esitato a sfidare una grande potenza. Un simbolo non solo per i tirolesi. Ma anche per i romantici tedeschi e inglesi.
Ai meccanismi che portano alla produzione di eroi è dedicato l’ultimo terzo dell’esposizione. Servendosi della letteratura, della pittura, della musica e della scultura fu plasmata la figura eroica da utilizzare a svariati scopi. Per ottenere prestiti di guerra durante la Prima guerra mondiale. Come testimonial per campagne antitaliane. Come logo per prodotti quali grappa e speck. Ad eroine ed eroi vengono attribuite forze sovrannaturali. Ma contro l’appropriazione essi sono impotenti.
Ad Andreas Hofer è stata almeno risparmiata una cosa: molte figure nell’incessante produzione di eroi cadono rapidamente nell’oblio. Hofer invece è ancora sorprendentemente vivo dopo 200 anni. Nell’ultima sala espositiva, un Pantheon moderno, Hofer è di nuovo uno tra tanti. Si trova in cerchio in compagnia di Superman, Juri Gagarin, Nelson Mandela e altri ancora. E cerca ancora di dare una risposta sul perché ogni epoca e ogni regione tendano a crearsi le proprie eroine e i propri eroi.
Kein Märchen
Wie Passeier zu seinem Herrn Holle kam.
Wie Passeier zu seinem Herrn Holle kam.
Von Judith Schwarz
Kürzlich stolperte ich über ein Wort, von dem ich nicht wusste, dass ich es brauchen würde: Serendipität. Es benennt das zufällige, glückliche Entdecken von Objekten oder Informationen, ohne dass man gezielt nach ihnen gesucht hätte. Kurz zuvor hatte ich im Taufbuch von St. Martin die Geburtsdaten eines Herrn Gamper gesucht. Als meine Augen bei einem Herrn Holle hängen blieben.
Wer zur Hölle war dieser Holle?
Und wie kam er ins Passeier? Die Angaben zu ihm lauten: Am 15. Dezember 1880 in Meran geboren, am 23. März 1881 in St. Martin in Passeier auf den Namen Karl getauft, Mutter Sophie Holle, Schauspielerin in Stuttgart, Wohnort Außerhochwies. Hollewind! Hatte es da etwa eine märchenhafte Romanze zwischen einer Schauspielerin und einem Passeirer gegeben?
Damit war Herr Gamper vergessen, der Serendipität und meiner Neugier sei Dank. Gampers hat schließlich jedes Südtiroler Tal, eine Frau Holle mit Sohn hingegen nicht. Wie kommt eine Stuttgarter Schauspielerin mit ihrem Neugeborenen nach Außerhochwies in St. Martin? Blieben sie und ihr Sohn im Passeier? Und warum tauft sie ihn erst nach über drei Monaten, wo man früher doch sozusagen “ums Verrecken” am selben Tag die Taufe vollzogen haben wollte?
Holles Taufe hatte tatsächlich weniger mit der Geburt, als mit dem Tod zu tun. Dies lässt sich aus dem Vermerk „baptizatus morte proximum“ herauslesen: Der Säugling lag im Sterben. Waren also die Geburt im Dezember, das etwaige Gerede der Leute und die Angst vor einem sogenannten “Heiden” im Haus nicht Gründe genug für eine schnelle Taufe? Und erst der nahende Tod durch Krankheit oder Unglücksfall veranlasste die Mutter, das drei Monate alte Kind zu einem Priester zu bringen?
Und der Kindsvater? Ärgerlicherweise fehlen Angaben zur Entbindung in Meran oder zur Hebamme. Und natürlich auch die Angaben zum Vater des Kindes, das den Nachnamen der Mutter trägt. Entweder weil der Pfarrer nicht nachgebohrt hat oder die Mutter nichts dazu sagen wollte. Und die Suche nach Karl Holle in Merans Taufbüchern hätte ich mir sparen können, denn das Kind wurde dort ja nicht getauft. Tja, schön blöd von mir, da lob ich mir meine Funde nach dem Prinzip der Serendipität!
Springen wir zurück in die Zeit, als es noch keine Privacy-Bestimmungen gab. Als die Namen der ankommenden Reisenden sogar in Zeitungen veröffentlicht werden konnten. So listet die Meraner Zeitung unter “Angekommene Fremde zwischen 1. und 5. Oktober” 1880 auf: Fräulein S. Holle, Stuttgart. Nun, sie war bei ihrer Anreise also bereits im vielleicht siebten oder achten Monat, denn rund vierzig Tage nach ihrer Ankunft hat sie die Niederkunft. Ein Passeirer als Vater fällt damit also wohl flach. Kam das hochschwangere Fräulein Holle vielleicht zum Entbinden in die Kurstadt? Oder doch auch zum Schauspielen?
Was treibt Fräulein Holle in Meran? Einige Ausgaben später schreibt dieselbe Zeitung, dass Fräulein Holle im Lustspiel „Hasemanns Töchter“ von Adolph Arronge in der Rolle der Emilie Hasemann aufgetreten sei. Und Zufall oder nicht: Gelobt wird die von ihr gespielte Szene, in der es über die Erziehungsmethode eines noch ungeborenen Kindes geht. Ob sie die Sätze geglaubt hat, die sie auswendig zu lernen hatte: “Abhärten muss man es [das Kind] von früh auf durch kalte Abreibungen!” (2. Akt, 7. Szene)? Die Bühnenfigur Emilie jedenfalls ist im Stück nicht schwanger, Sophie Holles Babybauch also wohl auch nicht ein Grund für das Engagenment.
Die Holle schauspielert nicht nur, sie singt auch. So zum Beispiel Mitte November, also einen Monat vor der Entbindung, im Kurhaustheater eine Arie aus der Oper „Der Waffenschmied“ von Albert Lortzing. Am Wochenende drauf zwei Arien aus „Webers Freischütz“. Und Mitte Dezember, vier Tage vor der Geburt ihres Sohnes, in der Rolle der Rosa in der Ouvertüre Martha. Vergeblich sucht man in den Berichterstattungen der hiesigen Zeitungen jedoch einen Hinweis auf ihre wohl “ansehnliche” Schwangerschaft. Höchstens der Nebensatz Frl. Holle, welche sehr gut disponiert war ließe sich als Andeutung in diese Richtung lesen oder vielmehr wunschdenken. Falls der Kurtheaterverein von der bevorstehenden Geburt gewusst hätte, hätte sie überhaupt auftreten dürfen?
Könnte es sein, dass Fräulein Holle ihre Schwangerschaft verheimlicht hat? Laut Taufbuch von St. Martin brachte Sophie Holle am 15. Dezember 1880 in Meran einen Sohn zur Welt. Die Meraner Zeitung veröffentlicht am 20. Dezember, dass der Meraner Kaufmann Kosmas Wiedner die gewesene Schauspielerin (!) am 14. Dezember wegen Nichtbezahlung von 22 Gulden und 10 Kreuzer verklagt habe und ihr Aufenthaltsort zu diesem Zeitpunkt unbekannt sei. Laut Bozner Zeitung war Fräulein Holle untergetaucht, ohne der Direktion des Kurtheaters Meldung zu machen. Vor allem letztere Aussage machte keinen Sinn, wäre ihre Schwangerschaft und damit ihr voraussichtlicher Entbindunsgtermin bekannt gewesen.
Merans Gerüchteküche brodelt. Bis endlich ein Journalist der Bozner Zeitung Ende Dezember schreibt, dass Fräulein Holle seit einer Woche wieder in Meran weile und während ihrer Abwesenheit ein Konzert in Brixen oder Innsbruck arrangiert habe, also jegliche Gerüchte über ihr plötzliches Verschwinden beste Widerlegung gefunden hätten. Die Meraner Zeitung hingegen weiß am Neujahrtag 1881, dass Sophie Holle beabsichtige aus dem Kurtheaterverein von Meran auszusteigen und mit einem auswärtigen Sänger und mehreren Einheimischen in der ersten Januarhälfte ein Konzert im Kurhaus geben werde. Man lese und staune.
Es kommt, wie es kommen muss. Oder wie es vielleicht geplant gewesen war? Das Konzert, das für den 19. Jänner 1881 angekündigt worden war, wird am Tag der Aufführung ohne Angabe von Gründen abgesagt. Danach wird es still in der Berichterstattung um Sophie Holle, die Presse scheint sich nicht mehr für sie zu interessieren – oder der Bühnenstar ihnen nichts mehr zu bieten. Dann im März dieser ominöse Eintrag im Martiner Taufbuch: Lebte sie zu dem Zeitpunkt auf Außerhochwies? Oder hatte sie etwa den Sohn zur Pflege dorthin gegeben und war selbst in Meran geblieben? Es war damals nicht unüblich, dass man in Passeier gegen ein Entgeld Kinder großzog.
Also eine Taufe ohne das Wissen der Mutter? Auch das wäre möglich. Ebenso, dass die Stuttgarterin Holle evangelisch war. Sollte sie also bei der Taufe nicht anwesend gewesen sein, dann stammten die Angaben bzw. auch die Nicht-Angaben wohl von der angegebenen Taufpatin Barbara Kofler. Das kleine Gütl Außerhochwies östlich von St. Martin (heute Josefsberg, Kammerveiterstraße 37/38) war seit 1872 im Besitz des Webers Jakob Pöhl und seiner Ehefrau Maria Kofler, Barbara Kofler also vielleicht deren Mutter oder Schwester. Und eventuell jene Frau, der Sophie Holle ihr Kind und dessen (richtige oder falsche) Geburtsdaten anvertraute.
Je mehr Antworten man sucht, umso mehr Fragen findet man. Aber irgendwann tauchten auch ein paar neue Hinweise auf. So existiert im Staatsarchiv Ludwigsburg die Personalakte Sophie Holles für das Königliche Hoftheater Stuttgart. Sie war dort 1877 als Chorschülerin eingetreten, ihr Austritt datiert auf den 21. September 1879, also ein halbes Jahr bevor sie schwanger wurde. Ebenso erfährt man, dass sie die Tochter eines Damenschneiders war, unter Verdauungsproblemen in Folge von Anämie litt und sich bei Theaterproben schwer verletzte, als sie in eine Bühnenvertiefung stürzte. Über Gliederschmerzen in Folge des Sturzes klagte sie immer wieder, ebenso über Geldprobleme. Wann genau sie Stuttgart verlässt, warum und wie es sie nach Meran verschlägt, lässt sich aus der Personalakte nicht herauslesen.
Karl in Passeier, Sophie in Stuttgart. So wird die Realität ausgesehen haben. Im Herbst 1882 ist Sophie Holle nämlich wieder in Stuttgart: Sie bittet um Wiederaufnahme als Chorsängerin im Königlichen Hoftheater, da sie ihrer verstorbenen Mutter versprochen habe, sich um ihre jüngeren Geschwister zu kümmern und diese noch zu jung seien, um in die Welt hinaus geschickt zu werden. Das Ansuchen wird abgelehnt. Wir erfahren, dass sie weibliche Handarbeit macht, im elterlichen Kleidergeschäft aushilft soweit es ihre Gliederschmerzen erlauben und ab und an ein Konzert geben kann. Im Februar 1897 spielt sie wieder im Kurhaustheater in Meran in einem Volksstück mit, berichtet die Presse. Ihr Sohn Karl ist zu der Zeit 16 Jahre alt. Ob sie ihn in Passeier besucht hat?
Was wurde aus dem Sohn von Fräulein Holle? Über seine Kindheit erfahren wir nichts. Er wird Bauernknecht in Hinterpasseier – und damit quasi chancenlos, es wie seine Mutter in die Zeitungen zu schaffen. Möchte man meinen. Die Zeitungsnotiz, die ihm gewidmet wird, belehrt uns eines Besseren. Anfang des Jahres 1920 sterben nämlich in Moos in Passeier gar einige Menschen, so dass dies dem “Burggräfler” ein Artikel wert ist. Nach dem Zimmermann Josef Mader („der Zeit seines Lebens wohl 70 Menschen die letzte Behausung geliefert und sie darin einquartiert hat“) ist der vierzigjährig Verstorbene Karl Holle genannt. Er wird als “vulgo Holle Karl” beschrieben, sein Schreibname sei unbekannt, man spekuliert: vermutlich weil er keinen hatte.
Ein Passeirer mit demselben Namen wie die Wetterfrau im Grimm-Märchen von 1812 schien dem Journalisten wohl zu weit hergeholt. Die späte Erkenntnis, dass es diesen einen Passeirer doch gegeben hat, verdanken wir einem glücklichen Zufall, vulgo Serendipität.
Bildschön
Kennt ihr diesen Moment, wenn ein neues altes Gemälde auftaucht? Und ihr alles dazu herausfinden wollt?
Ein Passeirer Ehepaar mit sorgfältig ausgewählten Objekten, die Besitz und Reichtum demonstrieren. © Palais Mamming Museum
Wenn plötzlich zwei alte Porträts auftauchen. Und mit ihnen viele neue Fragen.
Von Judith Schwarz
Es begann an einem Sonntag kurz vor 12 Uhr. Der Kunsthistoriker Hanns-Paul Ties schrieb eine E-Mail ans Museum: Hab gestern ein bisschen in der Südtiroler Kulturgüter-Datenbank geschmökert (…): Darunter sind zwei hübsche Porträts aus Moos. Der beigefügte Link führte zu einem gealterten Ehepaar auf zwei separaten Bildtafeln im Palais Mamming Museum in Meran. Die Qualität der Schwarz-Weiß-Fotos war steigerungsfähig. Aber die Notizen Porträt von einem M. Hofer und aus der Konkursmasse des Wirtes in Moos (Passeier) ließ erahnen, dass es sich um den Mooserwirt Michael Hofer und seine Gattin handeln würde.
Bildschön: Ein Ehepaar aus Moos lässt sich im 18. Jahrhundert porträtieren. Der erste Gedanke: Ein Porträt des berühmt-berüchtigten Michael Hofer (1696–1765), dem zu seiner Zeit reichsten Passeirer. War ja klar, dass irgendwann ein Bild von ihm auftauchen musste. Endlich würde man ihn sich „bildlich“ vorstellen können. Der zweite Gedanke: Bemerkenswert, seine Frau durfte auch verewigt werden. Damit muss es das älteste Porträt einer nichtadligen Passeirerin sein, älter als die Bildnisse der Sandwirtin Anna Ladurner. Und Gedanke Nummer drei war dann sozusagen die Vereinigung der beiden vorhergehenden: Ein frühes Bildnispaar von Passeirer Eheleuten, das hatten wir so auch noch nicht.
Ties und Teis: Wenn das kein Zufall ist. So jemand wie Michael Hofer, der durch männliche Schönheit und klugen Geist angeblich sogar Maria Theresia zu beeindrucken vermochte, war natürlich öfters verheiratet. Als Waise hatte er blutjung das Gasthaus Mooserwirt in Moos übernommen und geheiratet, sobald er volljährig war. Da seine erste Gattin nach vier Jahren Ehe starb, heiratete er – nach dreimonatiger Trauerzeit – Magdalena Teis, die dargestellte Frau auf dem Pendant zu Michael Hofers Porträt. Während wir aber, wenn wir wollten, zu Michael Hofer eine lange Liste an Geschäftsbeziehungen, Güterbesitz und Geldanhäufungen tippen könnten, war Magdalena Teis bislang „unsichtbar“. Der Fund von Hanns-Paul Ties forderte uns zur Beschäftigung mit der Teisin heraus.
Vor Magdalenas Geburt überkreuzen sich die Bande der Familien Teis und Hofer. Natürlich, in einem Tal wie Passeier wäre es seltsam, wenn es anders gewesen wäre. Magdalenas Vater und seine erste Gattin Ursula Meister scheinen in den 1680er Jahren als “Priewirt” bzw. Priewirthin” auf, führen also den Gasthof Brühwirt neben der Pfarrkirche in St. Leonhard. 1689 (er hat sich nach dem Tod seiner Frau ein weiteres Mal verheiratet) kauft Johann Teis die Brühwirtsbehausung und zwar von der Besitzerin Eva Auer bzw. deren Gatten, dem Mooserwirt Johann Hofer. Diese beiden werden sieben Jahre später die Eltern des porträtierten Michael Hofer, des Mooserwirtserben. Weitere sechs Jahre später, am 20. Juli 1702, kommt Magdalena auf die Welt. Allerdings (schade!) nicht im Brühwirt, dem ehemaligen Haus ihrer zukünftigen Schwiegermutter, denn die Teis sind mittlerweile weitergezogen.
Wohin führen die Spuren von Magdalenas Familie? Bereits 1692 ist Vater Johann Teis als cauponis in superioris von St. Martin genannt, womit das Gasthaus Oberwirt gemeint ist. Während der älteste Bruder von Magdalena also noch in St. Leonhard als Brühwirtssohn auf die Welt kommt, sind sie und ihre weiteren sieben Geschwister in St. Martin als Oberwirtskinder geboren. “Einmal Wirt, immer Wirt”, kommt einem da in den Sinn. Oder auch “Gleich und Gleich gesellt sich gern”, wenn wir an unsere porträtierten Eheleute denken: Oberwirtstochter von St. Martin heiratet Mooserwirtssohn von Moos. Zumal auch Magdalenas Mutter nicht von schlechten Eltern ist. Elisabeth Haller, die zweite Gattin des Johann Teis, ist die Tochter des Passeirer Richters Heinrich Haller aus St. Leonhard. Kurzum, Magdalena war wohl das, was man landläufig eine gute Partie nennt. Nichtsdestotrotz geben die offiziellen Geschichtsquellen nur wenig über sie her.
Ein Weibsbild. Als Porträt ein seltener Anblick für die Passeirer*innen der früheren Jahrhunderte. © Palais Mamming Museum
Leider passen Magdalenas Eckdaten in einen Absatz. Wir kennen ihr Hochzeitsdatum: Am 2. September 1721 heiraten Magdalena Teis und Michael Hofer in St. Leonhard. Wir erfahren in den Taufbüchern von den Geburten ihrer acht Kinder: Karl (1722), Maria (1724), Michael (1727), Johann (1732), Eva (1734), Helena (1737), Anton (1739) und Simon (1741).
Und natürlich erfahren wir auch vom Tod ihres Mannes: Michael Hofer stirbt 1765 nach 44 Jahren Ehe, finanziell sind Magdalena und ihre erwachsenen Kinder gut versorgt. Zehn Jahre nach dem Tod von Michael Hofer stirbt Magdalena im Alter von 73 Jahren und wird am 15. November 1775 als ehrenwerte Witwe in Moos zu Grabe getragen.
Der berühmte Mooserwirt Michael Hofer war bislang nur in Texten fassbar. Endlich können wir ihn uns bildlich vorstellen. © Palais Mamming Museum
Die Mooserwirtsleute im Porträt. Höchste Zeit, uns den beiden Ölgemälden zuzuwenden. Was wir bislang wissen, vermuten und noch herausfinden möchten:
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Wahrscheinlich nicht. Auf dem Bild fehlen die typischen Attribute wie Ring oder Blumen. Auch ist Magdalena Teis, die 19-jährig heiratete, eindeutig zu alt dargestellt. Ungewöhnlich ist die Rechts-Links-Anordnung. In der Regel befindet sich die Ehefrau zur Linken des Mannes, das heißt, sie wird normalerweise auf der rechten Bildtafel platziert. Aber anders als bei klassischen Ehepaarbildnissen ist Michael Hofer auf der “Frauenseite”, also auf dem rechten Bild, platziert. Magdalena Teis ist damit auf der hierarchisch höherstehenden Seite dargestellt. Ob man in diese Abweichung des Rechts-Links-Schemas etwas hineininterpretieren darf oder soll, sei dahingestellt.
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Die Hinweise auf den Buchrücken lauten:
BA(…)M.
LANDS.ORD:/NUNG.
BARTHOL:/UM.
GAIL
Perneder
Arnold
Der Mooserwirt wollte also wohl als Leser der Tiroler Landesordnung und der Werke einiger berühmter Rechtsgelehrter angesehen werden. Hanns-Paul Ties gibt für die “Bibliothek” folgende Identifikationsvorschläge: Es könnte sich bei den Autoren um den Rechtsgelehrten Bartolus de Saxoferrato (um 1313-1357), den Kölner Kanzler Andreas von Gail (1526-1587) und den bayerischen Juristen Andreas Perneder (um 1500-1543) handeln, als “Arnold” kommen hauptsächlich Laurentius Arnold, ein schlesischer Jurist des frühen 17. Jahrhunderts, und Georg d’Arnaud (1711-1740), ein niederländischer Professor Juris, in Frage.Ob die Bücher tatsächlich im Mooserwirtshaus existiert haben, wäre eine andere Recherche. Falls ja, stellte sich die Frage: Wie kam ein Passeirer Wirt des 17. Jahrhunderts an eine rechtswissenschaftliche „Bibliothek“? Ein naheliegender Gedanke könnte sein: Über den Großvater mütterlichseits von Magdalena Teis, den Passeirer Richter Heinrich Haller.
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Beda Weber schrieb 1852: Noch jetzt ist das Andenken an diese Wirthshausherrlichkeit in den Passeirern nicht ausgestorben. Michael Hofer saß mit freundlicher Umsicht mitten im Korn. Der Zoll in St. Martin war sein Pacht von der Landesregierung zu mäßigem Preise. Auch wenn nicht ganz klar ist, ob Beda Weber „mitten im Korn“ wörtlich oder sprichwörtlich verwendete: Die Darstellung von Waage und Getreideähre würde sich sehr gut als Andeutung auf Michael Hofers Geschäftstätigkeit eignen. Es war allerdings wiederum Hanns-Paul Ties, der einen weiteren interessanten Gedanken einbrachte: Nämlich den Hinweis auf die Waage als das klassische Gerechtigkeitssymbol schlechthin, was wiederum zur dargestellten juristischen Bibliothek von Michael Hofer passen könnte.
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Schlüssel in Frauenhänden verweisen in der Regel auf deren Rolle als Hausherrin/Hauswirtin. Während also die Gegenstände von Michael Hofer betonen, dass sich seine Tätigkeiten vor allem nach außen richten, erzählt der Schlüssel in Magdalenas Händen, dass sie die Kontrolle über das Wohnhaus/ Wirtshaus hat. Da die Textzeilen im offenen Buch nicht lesbar sind, kann es sich um ein Gebetbuch oder auch ein „Wirtschaftsbuch“ von Magdalena handeln.
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Auf Michael Hofers Jacke erkennt man einen Anhänger mit einer stehenden Figur, die in ihrer linken Hand ein Kreuz emporzuheben scheint. Hanns-Paul Ties denkt an den „Wasserheiligen“ Johannes Nepomuk, der 1729 heiliggesprochen wurde.
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Grob gerechnet müssen die Bilder im Zeitraum zwischen der Hochzeit 1721 und dem Tod von Michael Hofer 1765 entstanden sein. Da Magdalena nicht gerade als junge Frau dargestellt ist, wird es sich um die 1750er bzw. 1760er Jahre handeln.
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Beide Bilder sind unsigniert und damit beginnt das Rätseln über die Zuschreibung. Es liegt nahe, dass der Auftrag an ein Mitglied der Passeirer Malerfamilie Auer gegangen ist. Die Auer malten in drei Generationen im sogenannten Malerhaus in St. Martin in Passeier, allerdings sind keine autonomen Porträts aus ihren Händen bekannt. Speziell Johann Benedikt Auer (1722–1792) soll – nach Beda Weber – in Innsbruck die Bildnismalerei erlernt und in Trient, Verona und Venedig als Porträtmaler gearbeitet haben, bevor er 1751 wieder nach Südtirol zurückgekehrt ist. Um 1753 hat er sich erneut in St. Martin niedergelassen und die väterliche Werkstatt übernommen. Sollten die Bilder in den 1750er Jahren entstanden sein, wären die beiden Eheleute demnach rund 50 bis 60 Jahre alt gewesen. So gut es zeitlich und geografisch auch passen mag: Hanns-Paul Ties, der Experte in punkto Passeirer Malerschule, meint: Stilkritisch lässt sich eine Zuschreibung der Gemälde an ein Mitglied der Malerfamilie Auer nicht wirklich begründen, ausschließen aber auch nicht.
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Beide Bilder wurden im Jänner 1910 vom damaligen „Städtischen Museum von Meran“ um 60 Kronen angekauft, laut Einkaufsregister des Museumsgründers Dr. Franz Innerhofer (1847–1918) „aus der Konkursmasse des Wirtes in Moos“.
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Nicht minder bekannt wie dazumal der renommierte Mooserwirt des 18. Jahrhunderts, ist heute der ehemalige Mooserwirt des 21. Jahrhunderts. Harald Haller, der zwischen 2003 und 2019 das Gasthaus gekauft, erforscht, renoviert, geführt, verpachtet und verkauft hat, gab mir den Tipp: Im Lesebuch Ötztaler Alpen (Haid Hans, 2002, S. 152ff) gibt es einen Bericht eines Reisenden, der ein Gemälde beim Mooserwirt erwähnt. Und tatsächlich: Der Reisende, der im Sommer 1867 auf dem unebenen Raume in und um Moos herumkletterte, war Anton von Ruthner. Beim Mooserwirt war ihm ein gut gemaltes Porträt eines decorirten Mannes in schwarzer Amtstracht nach der Mode der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts aufgefallen, was er in seinem Bericht Aus Tirol. Berg- und Gletscher-Reisen in den österreichischen Hochalpen (1869, Seite 352) auch vermerkte. Auch wenn es sich nicht um unser Porträt mit dem grünbejackten Michael Hofer handeln kann (und kein dazugehörendes Frauenporträt erwähnt ist), sind die weiteren Zeilen des Autors interessant: Auf mein Befragen, wer dies sei, meinte nämlich der Wirth, einer seiner unmittelbaren Vorfahren, und verbesserte meine Bemerkung, dass dies dem Schnitte der Kleidung nach sein Urgrossvater sein müsse, dahin, dass es der Vater seines Urgrossvaters sei. So bewahrt sich denn hier in einer schlichten Bauernfamilie der Nachweis, wer die Voreltern waren, dieses vermeintliche Vorrecht des hohen Adels, […] länger als gewöhnlich. Der Wirt, mit dem Anton von Ruthner gesprochen hat, muss Josef Hofer gewesen sein, dessen Vater, Großvater und Urgroßvater Johann hießen, und dessen Ururgroßvater Michael Hofer war. Sofern die Aussagen von Ruthner und Hofer von 1867 stimmen, sollte es also noch ein weiteres Porträt von Michael Hofer geben/gegeben haben.
Was es ebenfalls geben wird: Die einen oder anderen Hinweise, Geschichten und Fehler zu den beschriebenen Personen und Porträts.
Schreib sie uns in die Kommentare! Wir freuen uns …
Open Call
Wir suchen Menschen, die sich für die Arbeit im Museum begeistern.
Was brauchst du?
Vor allem Lust (und auch etwas Können), uns bei ein oder mehreren dieser Arbeiten gegen Bezahlung zu helfen. Fachwissen und Interesse an kulturellen Themen schaden nicht. Viel wichtiger ist uns aber, dass es dir Spaß macht, mit Menschen und in Teams zu arbeiten. Dass du freundlich und zuverlässig bist. Und dass du bereit bist, dich mit Herzblut auf das MuseumPasseier als eine besondere Kultureinrichtung einzulassen.
Wenn du dir vorstellen kannst, im Rahmen deiner zeitlichen Möglichkeiten bei uns mitzumachen, melde dich an für ein erstes gemeinsames Treffen aller Interessierten:
Am 25. Februar 2022 um 18 Uhr
im MuseumPasseier, Passeirer Straße 72, St. Leonhard in Passeier
Das Vorzeigen des Grünen Passes 2G (geimpft, genesen) ist verpflichtend.
Das Treffen dauert zirka 1,5 Stunden.
Hier werden wir uns und die Museumsarbeit genauer vorstellen und versuchen, deine Fragen zu beantworten.
Schick deine Anmeldung zum Treffen an info@museum.passeier.it.
Wir freuen uns auf dich!
Tausend Kilometer bewegt
Ein halbes Jahr war ein Holzstecken aus Passeier unterwegs. Seine Touren sind dokumentiert. Von oben bis unten.
Im Mai 2021 startete ein Holzstecken aus Passeier seinen Weg durch die Europaregion. Sechs Monate später das Resümee: 24 Museen haben sich den GPS-STÄKKKN gegenseitig zugesteckt und Handarbeit hinein gesteckt.
Von MuseumPasseier
Das Euregio-Museumsjahr 2021 kam daher mit Ausstellungen, Filmen, Podcasts, Publikationen und Veranstaltungen. Und auch mit einem Wanderstecken, der von Museum zu Museum reiste. Wann, wie, wohin der Stecken wandern sollte, blieb den Museen überlassen – Hauptsache er bewegt sich, gemäß dem Jahresmotto „Museum bewegt“.
Also verbrachte er Nächte in Autokofferräumen und hatte Fotoshootings in prunkvollen Schlosssälen, fuhr S-Bahn durch das Unterinntal und mit dem Apotheker-Zustelldienst in entlegene Täler, wurde mit Weihwasser besprengt und steckte zwischen den Beinen einer nackten Statue, verschwand in Festungen und Tunnelwelten und hatte Auftritte bei Ausstellungseröffnungen, reiste an den Gardasee und begleitete einen Bergläufer auf 2.000 m Höhe, ließ sich mit einer Sackkarre durch Brixen kutschieren und geduldig Tassen, Steine, Eintrittskarten und Stocknägel an sich befestigen, hatte Tagesetappen zwischen wenigen Metern und 250 Kilometern, wurde mit Taschenmesser oder Profiwerkzeug beschnitzt, mit Tipp-Ex und Leuchtfarben bemalt, mit Brennstift gebrannt, mit Reiseerinnerungen umwickelt und beklebt.
Der Haselnuss-Stecken benötigte technische Betreuung, denn er war mit einem GPS-Tracker ausgestattet. Hansjörg Alber hat sich um den Sender samt Batterien gekümmert, Albert Pinggera um die Erfassung der Standorte und Routen auf Google Maps bzw. der GARGOOO-Website.
Die Orte und Museen: Innsbruck (Volkskunstmuseum), Vigo di Ton (Castel Thun), Rovereto (Museo della Città, Museo della Guerra), Riva (MAG), Schwaz (Rabalderhaus), Weerberg (Rablhaus), Jenbach (Jenbacher Museum), Rattenberg (Augustinermuseum), Wörgl (Erlebnisbahnsteig Brenner), Steinach am Brenner (Tunnelwelten), Franzensfeste (Festung Franzensfeste, BBT-Infopoint), Neustift (Kloster Neustift), Brixen (Pharmaziemuseum, Hofburg), Bruneck (Landesmuseum für Volkskunde), St. Lorenzen (Museum Mansio Sebatum), Bozen (Museumsverband, Abteilung Museen), St. Leonhard (MuseumPasseier), Levico (Colle delle Benne), Cavalese (Museo Palazzo Magnifica), Aldein (Dorfmuseum Aldein).
feertig
Bald ist sie fertig, die heurige Museumssaison. Am letzten Tag gibt es Kartoffeln und Kastanien. Nicht “feertige”, sondern von heuer.
Wir feiern das Ende der Saison am 31. Oktober 2021 mit heurigen Kartoffeln und Kastanien. Und freiem Eintritt von 14 bis 17 Uhr.
Von MuseumPasseier
Fotos und Animation: Albert Pinggera
Geraubt, gelagert – gesühnt?
Kerstin von Lingen widmet ihre Antrittsvorlesung an der Uni Wien der "Kulturgüterverbringung" der Uffizien-Kunstwerke nach Passeier.
Foto: Ausschnitt der Videoaufzeichnung/ Universität Wien
Kerstin von Lingen ist Professorin für Zeitgeschichte, Vergleichende Diktatur-, Gewalt- und Genozidforschung an der Universität Wien. Am 2. Juli 2021 sprach sie in ihrer feierlichen Antrittsrede zur Frage nach der strafrechtlichen Sühne bei der "Kulturgüterverbringung" der Uffizien-Kunstwerke nach Passeier. Die Aufzeichnung ist nun online:
Wie eine Minute
2001 wurde das MuseumPasseier eröffnet. Wir blicken in einer Minute auf 20 bewegte Jahre.
Die 20jährige Geschichte des MuseumPasseier in Bildern. Von Mai 2001, als das Museum für Besucher*innen öffnete, bis zum Startruf und Projekt GARGOOO im Mai 2021. Zwei Jahrzehnte in einer Minute.
Von MuseumPasseier
Schreist du mit?
Ein eigenwilliger Startruf, mitten im Lockdown.
Mitten im Lockdown geht das MuseumPasseier an die Öffentlichtkeit.
Mit dem eigenwilligen Startruf GARGOOO für das gleichnamige Projekt.
Von MuseumPasseier
Für das Jahr 2021 rief die Europaregion ein Museumsjahr zum Thema „Transport–Transit–Mobilität“ aus, bei dem innovative und interdisziplinäre Initiativen gefördert werden sollen. Das MuseumPasseier ist mit dem Projekt „GARGOOO! Åbout Dialekt“ dabei.
GARGOOO! bedeutet „Die Bahn ist frei“, „Lass die Sache wieder rollen“ oder auch „LOOOS!“. Passeirer Holztreiber brüllten das Wort von Posten zu Posten, wenn sie gefällte Baumstämme bergabwärts schickten. Mittlerweile sind Holztreiber und ihr Startruf aus dem Alltag verschwunden.
Warum das Wort nicht wiederbeleben? Beispielsweise um nach Winterpausen und Lockdowns von Museum zu Museum zu rufen: GARGOOO, wir sind wieder da! Und um das GoLive der neuen Website hinauszuposaunen, die das Dialektprojekt des MuseumPasseier durch das Themenjahr 2021 begleiten wird.
Heute, am Internationalen Tag der Muttersprache, ist der verklungene Starturf erstmals wieder zu hören. Und damit kein vergangenes Wort mehr.
Mehr zum Wort GARGOOO
Mehr zum Projekttitel GARGOOO
Konzept: Albert Pinggera, Josef Rohrer, Judith Schwarz
Design: design.buero
Web: Kreatif GmbH
Ton: Tonstube
Projektpartner: Ötztaler Museen
GARGOOO-Website: gargooo.museum.passeier.it
Gefördert von der Europaregion Tirol–Südtirol–Trentino und den Bildungsausschüssen St. Leonhard und St. Martin in Passeier.
GARGOOO meldet sich zu Wort
Wie ein vergangenes Wort neu aufgeht.
Wie das vergangene Wort GARGOOO Titel unseres Dialektprojekts wurde.
Von Judith Schwarz
Der Gedanke, sich als Museum mit immateriellem Kulturgut wie Dialekt zu beschäftigen, reizt uns schon lange. Ebenso die Herausforderung, etwas auszustellen, was sich nicht ausstellen lässt. Was sich gegen das Ausstellen sperrt.
Allerdings ist Sprache halt ein endlos weites Feld. Schließlich ist sie überall – gleichzeitig ist sie auch nur ein flüchtiger Moment. Wir wussten in der Vergangenheit nicht „Womit fangen wir an?“ und in Folge kam es auch nicht zur Frage „Wann fangen wir an?“. Dann schrieb die Euregio das Museumsjahr 2021 aus. Der Schwerpunkt: Transport/Transit/Mobilität. Spontan fiel uns ein: Sprache ist ein Transportmittel. Sprache ist mobil und verändert sich. Wörter wandern ein und wandern aus. Sprachveränderung passiert (auch) durch Mobilität. Menschen übersetzen Sprachen, transferieren sie, switchen. Und natürlich sind da auch die Begriffe und Redewendungen, die Transport/Transit/Mobilität selbst zum Thema haben oder bezeichnen.
Welch schöne Herausforderung: Beweisen, dass der Dialekt, der sich von den klassischen Mobilitätsthemen abhebt, sehr gut zum Mobilitätsthema passt. Und abgesehen davon: Endlich war, dank der vorgegebenen Themen, dieses weite Feld Dialekt etwas eingegrenzt. Vor allem aber: Wir hatten endlich einen Startschuss. Wir mussten endlich beginnen, unsere Ideen niederzuschreiben, denn der 31. Jänner 2020 war Einreichschluss für die Museumsjahr-Projekte.
Dann fiel uns ein Wort in die Hände. Just in dieser Zeit, als wir auf die Startgenehmigung aus Bozen warteten, fanden wir eine Notiz zum Rufsignal „Gargo“ in einem Aufsatz über Waldarbeit von 1987. Der Autor Sepp Haller beschreibt es folgendermaßen:
Es ergibt sich oft die Notwendigkeit, den Holztransport für kurze Zeit einzustellen. Es geschieht dies durch den Zuruf von Posten zu Posten. In Passeier gibt es dafür eigene kurze Wörter. Das Rufsignal „Hebau“ bedeutet Stopp, kein Holz nachschicken. Der Angesprochene bestätigt es mit dem Ruf „Tschey“. Ist die Bahn wieder frei, dann schreit der untere zum oberen Posten hinauf „Gargo“. (…)
Bemerkenswert ist, dass keiner der von mir befragten erfahrenen Holzer über die Herkunft bzw. Ableitung dieser drei simplen Wörter nähere Angaben machen könnte. An und für sich handelt es sich um nicht sinntragende Wörter, die sich allerdings durch Jahrhunderte zu diesem Zweck im Tale behauptet haben; vermutlich aufgrund dessen, weil sich ihr Auslaut sehr langgezogen rufen lässt.
Was steckt in diesem Gargo? Möglicherweise lat. carrus (Wagen) oder ital. carico bzw. engl. cargo (Fracht, Ladung). Das alles, inklusive Holztransport-Background, passte wunderbar zum Themenjahr Transport/Transit/Mobilität. Und dass gargo auf italienisch mit schlau/schelmisch/spitzbübisch übersetzt werden kann, taugte uns ebenso: Schließlich hatten wir die Ambition, das Thema Dialekt mit Humor anzugehen. Der erste Lausbubenstreich folgte auch zugleich. Ein Blick ins Passeirer Wörterbuch von Franz Lanthaler und Harald Haller zeigte, dass Gargo dort als Gargoo gelistet ist. Wohl um zu betonen, dass die Betonung auf dem O liegt. Grafiker Albert Pinggera machte daraus GARGOOO! Nun war aus Gargo wahrlich ein Schrei geworden.
Sollten wir dieses längst verklungene Wort wieder in Umlauf bringen? Was würden sich die Leute denken und fragen?
Ist GARGOOO …
… schargoo oder gärguu?
… historisch oder modern?
… echt oder erfunden?
… tiefgründig oder sinnlos?
… Kindersprache? Psairisch? Englisch?
… ein Ort oder ein Gegenstand oder ein Zustand?
GARGOOO kann alles sein.
Wir fragten uns auch:
Ist GARGOOO …
… unübersetzbar?
Wie haben die Autoren des Passeirer Wörterbuchs die Bedeutung für das Wort GARGOOO herausgefunden oder/und festgelegt? Für den einen Holzer ist GARGOOO mehr die Entwarnung „Alles ok, wir haben den Fehler behoben“, für den anderen ist es mehr die Anweisung zum Weiterarbeiten „Lass los!“ oder auch „Stoß an!“. Was passiert in dieser Zwischen-Welt der Worte, die Übersetzer*innen betreten?
… tot?
Wer benutzt das Wort noch? Im Wörterbuch wurde es dokumentiert, an der Nichtmehr-Nutzung ändert das nichts. Außer das Museum „stellt das Wort aufs Podest“ (und straft damit den vorherigen Satz Lügen). Was passiert dann?
… heimatlos?
Oft soll mit Dialekt ein Produkt, eine Veranstaltung, ein Gebäude ecc. in den Kontext von Idylle, Tradition, Natur und Heimat gerückt werden. Funktionierte das auch bei einem Dialektwort wie GARGOOO, das „niemand“ kennt und nicht „psairerisch“ aussieht?
… ungehört?
Wie hört(e) sich der laute Ruf GARGOOO an? Wie passen Name und Ton zusammen? Der Autor Sepp Haller hat das Wort 1987 niedergeschrieben, als er es noch aus dem Mund der Holzer hörte. Ist ein gesprochenes GARGOOO von einem Holzarbeiter, der es in seinem Arbeitsleben verwendete, authentischer, als ein GARGOOO von jemandem, der es vorher noch nie benutzte?
… fremd?
Dieses fremde Wort, das sich nicht fassen ließ, gefiel uns ungemein. Wir wollten es benutzen (und sei es nur als „Startsignal“ um den PC-Bildschirm zu entsperren). Mit der Zeit wurde GARGOOO für uns dann zu einem neuen Begriff. Einem Wort, das wir mit Gefühlen und Erwartungen beladen/befrachtet haben, so dass es uns nun schwer fällt, bei GARGOOO an Holzarbeit zu denken. Uns ist die ursprüngliche Bedeutung fremd geworden, so wie einem Holzer unsere Deutung von GARGOOO fremd scheinen muss.
… männlich?
Kannten Frauen den Begriff überhaupt? Möglich. Haben sie ihn benutzt oder sogar geschrien, wie die Männer bei der Waldarbeit? Unwahrscheinlich. Ein schöner Gedanke, dass GARGOOO erstmals auch von Frauen und außerhalb der Passeirer Wälder in den Mund genommen werden würde.
… festgeschrieben?
Was spricht dagegen, GARGOOO auch in Bereichen außerhalb der Holzarbeit zu verwenden? Mit GARGOOO weckt die Mutter das Kind, das morgens verschlafen hat. Mit GARGOOO ruft der Verkäufer an der Fleischtheke die Person mit der nächsten Nummer auf. Mit GARGOOO jagt die Bäuerin die Kühe auf die Weide. Mit GARGOOO verkündet der Landeshauptmann das Ende des Lockdowns. Mit GARGOOO öffnet das Museum wieder seine Türen.
Dann kam die Antwort aus Bozen. Die Geldmittel für die Museumsjahr-Projekte reichten nur für vier Projekte, schrieb man uns im Mai. Unser Dialektprojekt lag auf Platz 5. Es war klar: Wir hatten ein Hebau erhalten! Wir mussten warten: Ist die Bahn wieder frei, dann schreit der untere zum oberen Posten hinauf „Gargo“. Bis Juli blieb es still. Sollten wir mit unserem Dialektthema beim Euregio-Museumsjahr wirklich auf dem Holzweg sein? Dann begannen die Verhandlungen um den Nachtragshaushalt des Landes – und im August meldete der untere Posten endlich das ersehnte GARGOOO! Unser Dialektprojekt konnte wieder Fahrt aufnehmen, wie losgelassene Holzstämme im Wald.
Damit war klar: GARGOOO wird Titel und Startruf unseres Projekts. Und wer weiß? Vielleicht wird das vergangene Wort GARGOOO auch außerhalb des Dialektprojekts neu aufgehen: GARGOOO GARGOOO!
Helden & Hasenfüße
“Wie viele Helden braucht ein Land?” fragt Selma Mahlknecht in der F.A.Z.
„In Südtirol legt ein kleines Museum die Schichten der Heldenverehrung frei und trifft so manchen neuralgischen Punkt. Das tut mitunter weh. Aber auch verdammt gut.“
Selma Mahlknecht schreibt in der F.A.Z über Andreas Hofer, Benito Mussolini, neue Covid-19-Helden und Elena De Salvo.
Sopravissuto
293 opere d'arte degli Uffizi sono resiste in Passiria alla guerra mondiale. Durante il lockdown la mostra speciale "Uffizi in Passeier" ha ricevuto una seconda vita.
Foto: Charles Bernholz/ Yale University Library
La seconda vita di una mostra ridisegnata. In giugno, la mostra "Uffizi in Passeier" si sposterà: Dalle cantine storiche del Sandhof in Passiria nel tunnel stradale di Le Gallerie a Trento.
Di Judith Schwarz.
Traduzione: Tiziano Rosani
Nella mostra vi è una foto che sembra l'istantanea di un deposito d’arte. I dipinti sono disposti uno dopo l’altro, come fossero illustrazioni in un libro d’arte: Rubens e Cranach, Pollaiolo e Tintoretto, Caravaggio e Botticelli. Al centro è una porta e sopra un cartello: "Sala d'armi". Si tratta del vecchio carcere di San Leonardo in Passiria.
Durante la guerra, un'armeria ha custodito, al posto di armi, opere d’arte. Un mondo alla rovescia.
UFFIZI IN PASSEIER pare quasi una parodia dei musei. Quando guardiamo l’arte, quando consumiamo l’arte nei musei che la ospitano, ne adoriamo la perfezione. Non solo la perfezione artistica delle opere, ma in fondo anche la perfezione della tecnologia espositiva: l'illuminazione, le modalità di presentazione, i sistemi di sicurezza. Nei musei, l’arte sotto vetro appare immutata ed eterna.
UFFIZI IN PASSEIER narra quello che non vediamo quando siamo davanti ad opere brillantemente restaurate.
Ci ricorda che l'arte conservata nei musei non è inviolata. Ha un passato composto di storie, che noi visitatori e visitatrici solitamente ignoriamo. Le opere d’arte dei musei fiorentini hanno intrapreso durante la guerra un viaggio rischioso, passando per le mani, anche sudate, di soldati, autisti, responsabili della tutela dell‘arte. Sono cadute a terra, si sono strappate, hanno sviluppato muffe a causa dell’umidità. E alcune, prima di arrivare in Alto Adige, sono pure sparite negli zaini dei soldati come souvenir. La storia narrata in UFFIZI IN PASSEIER non si conclude quindi nel luglio 1945 col ritorno di questi tesori a Firenze. Quando le opere hanno sfilato trionfalmente attraverso la città, come fa un condottiero vittorioso.
Però non tutte le opere sono tornate. E quindi l’Italia non ha potuto archiviare definitivamente la vicenda.
Vi è una cesura a metà della mostra. Non siamo più nella Seconda Guerra Mondiale. Siamo nel 2019. Gli Uffizi lanciano – con grande impatto mediatico – un appello alla Germania per la restituzione di un dipinto. Un dipinto, che - prima di giungere in Alto Adige - era stato spedito da un soldato della Wehrmacht alla moglie in Germania. Si tratta del “Vaso di fiori” di Jan Van Huysum. Per ricordare la perdita gli Uffizi hanno prodotto un video raffigurante una riproduzione con la scritta "rubato". Si è trattato quasi di un’azione artistica, che non solo ha ottenuto un grande impatto mediatico, ma che alla fine si è conclusa con il ritorno del dipinto agli Uffizi. Il dipinto originale “vaso di fiori” è divenuto oggetto di appropriazione reale e simbolica. Ma anche la riproduzione, che all'inizio era solo un ricordo di se stessa, in questo affare di stato tedesco-italiano ora è diventata molto di più. Anche la riproduzione è stata a sua volta riprodotta per questa mostra. Una copia della copia.
Foto: Albert Pinggera
Il direttore degli Uffizi, egli stesso tedesco, ha commentato il ritorno del quadro con queste parole: "È una grande vittoria per l'Italia e per tutta l'umanità". Non credo sia necessario vi dica che la parola “vittoria” non è mai stata menzionata nei media tedeschi. Le foto sulla stampa sono le medesime, invece le didascalie che le accompagnano non lo sono affatto. Chi siano i "buoni" in questa vicenda italo-tedesca dipende dal giornale che si sta sfogliando, dipende se è un giornale italiano o un giornale tedesco.
Ogni storia ha sempre almeno due facce, ed è questo l’aspetto più appassionante del racconto di questa mostra, il filo rosso che percorre UFFIZI IN PASSEIER.
Durante la guerra in Italia si affrontarono non solo tedeschi e americani, ma anche le squadre di protezione dell'arte di entrambe le parti. Entrambe col medesimo obiettivo: conservare i tesori d'arte dell'Italia occupata - e rappresentare il nemico come un barbaro in ambito culturale. Il messaggio da parte americana era: "I cattivi tedeschi rubano l'arte, i buoni americani salvano l'arte". Sul lato tedesco il messaggio era opposto: “I cattivi americani bombardano l'arte, i buoni tedeschi portano l’arte al sicuro“.
Foto: Albert Pinggera
UFFIZI IN PASSEIER è articolata in due stanze che presentano le due differenti prospettive, quella tedesca e quella americana. In entrambe le stanze troviamo sulle scrivanie la corrispondenza ufficiale e privata di alcune delle persone coinvolte nella vicenda. In entrambe le stanze emergono le preoccupazioni conseguenti all'immensa responsabilità di avere a che fare con capolavori dell’arte mondiale. E in entrambe le stanze si comprende che la contesa dei dipinti fu accompagnata da una veemente battaglia di propaganda. Una battaglia, in cui le foto sulla stampa erano le medesime, ma le didascalie che le accompagnavano non lo sono. Mentre la squadra TEDESCA di protezione dell’arte sfruttò la documentazione fotografica per contrastare la propaganda nemica, la squadra AMERICANA di protezione dell’arte utilizzò le stesse foto come prova dell’incuria nel maneggiare le opere.
Questa battaglia di immagini ha ovviamente poco a che fare con la tutela dell’arte. In questo modo UFFIZI IN PASSEIER evidenzia anche come fino al giorno d’oggi all’arte venga attribuito un grandissimo significato.
Infine, vi parlerò di un'altra foto del 1944. Mostra delle ombre scure sulle pareti degli Uffizi: durante la guerra nel famoso museo d’arte erano venute meno alcune delle opere. E con esse una parte del patrimonio culturale italiano. Potreste ora chiedervi cosa faccia parte del patrimonio culturale italiano e cosa no? Se un patrimonio culturale appartenga a un solo Stato - o a tutti noi? Oppure potreste chiedervi cosa sarebbe successo, se le opere d’arte non fossero state restituite. Se fossero diventate patrimonio culturale di altri? Sarebbe rimasta l’amarezza, perché il ricordo delle opere d’arte rubate non si cancella. Sarebbe rimasta un’ombra.
Per molto tempo la storia di UFFIZI IN PASSEIER è stata dimenticata. Ha vissuto un'esistenza nell'ombra. Può darsi che sia solo una storia secondaria nella grande storia della Seconda guerra mondiale. La mostra UFFIZI IN PASSEIER mira a farla uscire dall'ombra e a riportarla alla luce.
MOSTRA
UFFIZI IN PASSEIER è da vedere fino 1 novembre 2020 5 settembre 2021 in Le Gallerie di Piedicastello (Fondazione Museo storico del Trentino)
RASSEGNA STAMPA
Conferenza stampa (30.06.2020)
Il Dolomiti (30.06.2020)
Alto Adige Trentino (01.07.2020) di Katja Casagrande
The Journal of Cultural Heritage Crime (23.07.2020) di Nadia Pedot
HistoryLab (22.10.2020)
Wer schützt Kunst im Krieg?
Den weltberühmten Uffizien fehlte im Zweiten Weltkrieg ihre Kunst. Ein Teil lagerte ausgerechnet im Passeier.
Foto: MuseumPasseier
Menschen ziehen in den Weltkrieg, um Kunst zu schützen? Das scheint abwegig und notwendig zugleich. Ein Blick auf die neue Sonderausstellung, die davon erzählt, wie 293 Kunstwerken aus Florenz nach Passeier und abwechselnd in die Hände zweier Kunstschutz-Einheiten gelangt sind.
Von Judith Schwarz
Eine Ausstellung über den Krieg ist normalerweise nie eine schöne Sache. Unsere neue Sonderausstellung handelt von Krieg, aber auch von Kunst. Sie erzählt, wie die Schönheit der Kunst und die Schrecken des Krieges sich überkreuzen. Als wir mit der Planung der Ausstellung begonnen haben, wussten wir drei Dinge:
Es wird eine Ausstellung ohne Originale.
Damit beantworte ich jetzt schon jene Frage, die wir in den letzten Wochen am Häufigsten zu Ohren bekommen haben: Und, kriegt ihr Leihgaben aus den Uffizien?
Es wird eine Ausstellung ohne Passeirer*innen in der Hauptrolle.
Der Rahmen für diese Ausstellung ist ein viel Größerer als Passeier.
Es wird eine Ausstellung ohne klare Beweise.
Und auch die große Frage „Wurden die Kunstwerke in Südtirol versteckt, um sie später nach Deutschland zu bringen?“ müssen wir unbeantwortet lassen.
Warum haben wir diese Ausstellung dann überhaupt gemacht?
Einmal, weil die Geschichte fast unglaublich ist: 293 Meisterwerke aus dem Palazzo Pitti und den Uffizien werden im Zweiten Weltkrieg ein knappes Jahr lang in St. Leonhard in Passeier gebunkert! Was aber noch unglaublicher ist: Die Passeirer*innen hatten die Geschichte beinah vergessen. Wer in Passeier wusste vor der Ausstellungseröffnung etwas davon? Eine großteils unbekannte Geschichte erzählen, war also ein Grund. Ein weiterer Grund war, dass wir – passend zu dieser geheimnisvollen Story – einen noch viel passenderen Ausstellungsraum haben: Nämlich die verborgenen dunklen Kellerräume beim Sandwirt, die schon viel zu lange keine Ausstellung mehr gesehen haben. Sie sind ideal, um eine Lagersituation zu inszenieren. Der Hauptgrund aber war, dass wir von der Geschichte gefesselt waren, sobald wir davon gehört haben. Es geht um ein Gerangel um weltberühmte Gemälde, die im Zweiten Weltkrieg nach Südtirol kamen und – durch Zufall – in Passeier gelandet sind. Es geht um Botticellis, Cranachs, Caravaggios: Adolf Hitler hätte sie gerne als Geburtstagsgeschenk gehabt, ein SS-General benutzte sie für Kapitulationsverhandlungen und der US-Geheimdienst fahndete nach ihnen.
Lauter aufregende Geschichten tauchten da plötzlich auf.
Und die Spannendste, fanden wir, ist eigentlich jene über den Kunstschutz selbst: Im Italien stehen sich ab 1943 nämlich nicht nur alliierte und deutsche Militärs gegenüber, sondern auch deren Kunstschutz-Teams. Auf deutscher Seite ist das der DEUTSCHE MILITÄRISCHE KUNSTSCHUTZ. Auf alliierter Seite die FINE ARTS SUBCOMMISSION. Beide Teams haben jedoch dasselbe Ziel: Die Kunstschätze im besetzen Italien zu erhalten – und den Feind als Kulturbarbaren zu denunzieren.
Die Botschaft auf amerikanischer Seite lautete:
BÖSE DEUTSCHE STEHLEN KUNST,
GUTE AMERIKANER RETTEN KUNST.
Auf der deutschen Seite klang das dann ungefähr so:
BÖSE AMERIKANER BOMBARDIEREN KUNST,
GUTE DEUTSCHE VERSTECKEN SIE DESHALB.
Damit hatten wir einen roten Faden für die Ausstellung gefunden – und damit bin ich beim Ausstellungskonzept: Wir erzählen die Geschichte aus drei verschiedenen Perspektiven in drei verschiedenen Räumen.
Der erste Raum
erzählt über den DEUTSCHEN MILITÄRISCHEN KUNSTSCHUTZ, der die Kunstwerke aus dem Frontabschnitt um Florenz rettet und nach Südtirol bringt.
Der zweite Raum
berichtet über die amerikanische FINE ARTS SUBCOMMISSION, die die Kunstwerke – zehn Monate später – aus den Händen der Deutschen rettet, und zurück nach Florenz bringt.
Der dritte Raum
informiert über die faschistischen Behörden, die natürlich zehn Monate lang ihre abhanden gekommenen Schätze zurückfordern, aber ohne Erfolg.
Und die Passeirer*innen? Die waren in diesem Stück nur Statist*innen.
Da ist der Feldbauern-Schneider aus St. Martin, der mehrmals über die Liertner Dorfbrücke humpeln musste, damit die Amerikaner einen authentischen Film über das Passeirer Kunstversteck drehen können. Da sind die Bauerntölpel – sie wurden wirklich so bezeichnet – die beim Umstellen der großformatigen Bilder helfen sollten – und angeblich mit den Originalen umgingen wie mit ihren Kühen. Da sind die zwei Zimmerleute, die im Theisstadl 109 Kisten gezimmert haben, in denen die Kunstwerke mit dem Zug zurück nach Florenz gebracht wurden. Und da sind die Kinder, die staunend beim Abladen der Gemälde zuschauten.
Eines dieser Kinder, Bruno Pichler (*1936) aus St. Leonhard, erinnert sich heute noch an die Amerikaner.
Er durfte mit ihnen und den Kunstwerken (aber letztere haben den Neunjährigen damals nicht interessiert) mit nach Meran fahren. Bruno ist in der Ausstellung die einzige Passeirer Stimme, die zu Wort kommt – seine erzählten Erinnerungen begleiten den Stummfilm der Amerikaner von 1945.
Was wird man noch in der Ausstellung finden?
Einige Kunstwerke, Reproduktionen, die man hier in Passeier so nah erleben und berühren kann, wie vor über 70 Jahren die Kunstschutzleute. Einige Zitate, die den Blick öffnen sollen für die Frage: Was bedeutet Krieg eigentlich für Kunstwerke? Wer schützt Kunst im Krieg? Oder auch: Wem gehört eigentlich Weltkulturerbe? Einige Schreibtische, die ganz private Einblicke geben: Welche Schwierigkeiten hatten die Beteiligten zu bewältigen, welche Erlebnisse haben sie niedergeschrieben, wie sind sie mit der großen Verantwortung umgegangen? Egal ob es ein Schreibtisch im deutschen, im italienischen oder im amerikanischen Ausstellungsraum ist – in allen Briefen oder Tagebucheintragungen klingt die eine Sorge, die eine Aufgabe, der eine Wunsch durch: Die Kunstwerke sollen erhalten bleiben.
Meine Wünsche sind:
Besichtigt die Ausstellung, vergesst danach zu fragen, wer denn jetzt die Guten waren und wer die Bösewichte, denkt in Zukunft beim Anblick von Botticellis, Cranachs und Caravaggios an das Passeier und bekommt Lust, die erhaltenen „Passeirer Gemälde“ in den Uffizien in Florenz zu besuchen.
PRESSEARTIKEL
DIE BAZ: Botticelli in Passeier von Josef Prantl (28.08.2018)
Passeirer Blatt: Sonderausstellung “Uffizi in Passeier” eröffnet von Kurt Gufler (Oktober 2018)
UPDATES
Am 1.1.2019 rief der Direktor der Uffizien Deutschland in einem Video dazu auf, das Gemälde “Vaso di fiori” von Jan Van Huysum zurückzugeben. Auf dem Video ist die Schwarz-Weiß-Reproduktion des Blumenbildes mit der Aufschrift rubato/gestohlen/stolen zu sehen. Sie soll auf das fehlende (1944 von einem Wehrmachtsoldaten nach Deutschland verschleppte) Originalgemälde aufmerksam machen. Das Video erhielt großes Echo und wurde nicht nur von Medien in Italien und Deutschland veröffentlicht, sondern auch in Kuba, Holland, Argentinien, Großbritannien, den Vereinigten Staaten, Israel usw. In vielen Medien wurde fälschlicherweise behauptet, das Gemälde habe sich 1944 auf der Jaufenburg in Passeier befunden, bevor es verschwunden sei.
Am 19.7.2019 wurde das Originalgemälde von der Bundesrepublik Deutschland an die Italienische Republik zurückgegeben und mit der Reproduktion ausgetauscht.
Im Juni 2020 erhielt die Sonderausstellung “Uffizi in Passeier” ein zweites Leben: Sie wurde abgebaut, umgebaut und kam nach Le Gallerie in Trient. Unter anderem ist jetzt in der Ausstellung eine Kopie der Reproduktion des “Vaso di fiori” zu sehen.