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Abenteuer Jaufenstraße

Die Sonderausstellung erzählt vom strenghen Perg und über die Zeit der ersten Automobile im Passeier.

Bis vor kurzem war Besucher*innen der Zutritt in den Sandwirtskeller verwehrt. Seit Juni dieses Jahres präsentiert sich hier die Sonderausstellung „Abenteuer Jaufenstraße 1912-2012“.

Von Albin Pixner

 

Eingangs sehen wir, wie Reisende aus vergangenen Zeiten den Jaufen gesehen haben. So schreibt ein deutscher Maler, er habe auf Händen und Füßen kriechen müssen, ein Schriftsteller berichtet von einem Bärenwetter und wieder andere lamentieren über den schrecklichen Weg und die Riesenbollwerke aus Felsen. Übrigens: Während wir heute mit dem Auto bequem in 45 Minuten von St. Leonhard nach Sterzing gelangen, berichten diese Quellen von 7 bis 8 Stunden Gehzeit.

Ein Passeirer fährt nicht.
Seit Urzeiten führte nur ein Saumweg über den Pass und der Verkehr wurde von Säumern und Kraxenträgern bestimmt, die Waren transportierten. Wie der alte Jaufenweg verlief, liegt teilweise immer noch im Dunkeln. Auf alle Fälle spricht man von vier Varianten des alten Jaufenweges, was die Nordseite betrifft. Ab St. Leonhard führten vermutlich zwei Wege bis nach Walten.

Die Passeirer waren seit jeher als Wanderhändler unterwegs, passend dazu auch der Spruch: „Ein Passeirer geht und trägt, aber er fährt nicht.“ Eine naheliegende Notwendigkeit, denn das Tal bot für die ärmliche Bevölkerung nur bedingt Lebensmittel und Arbeitsmöglichkeiten, verbindet aber das Burggrafenamt mit dem Inn- und oberen Eisacktal. Und lange Zeit konnten Waren zu Fuß oder mit Saumpferden rascher über den Jaufen befördert werden, als es der Straßenverkehr über Bozen imstande war.

Bärenstarke Kraxenträger
Die Passeirer Kraxenträger waren im alten Tirol bekannt. Auf ihren Kopfkraxen trugen sie Waren vom Burggrafenamt über den Jaufen ins Inntal und bis nach Bayern. Es gibt kaum eine Ware mit der Kraxenträger und Säumer nicht hausierten, von Salz, Obst, Getreide, Wein und Schnaps bis zu Vogelkäfigen, Geschirr, Uhren, Bildern und verbotenen Büchern. Auch wenn die Zölle oft umgangen wurden, blieb ihr Verdienst mehr als bescheiden. Ihre Lasten waren aber umso höher: Frauen trugen durchschnittlich bis zu 65 kg, Männer bis zu 85 kg auf dem Rücken. In Erzählungen und Anekdoten sind sie bisweilen zu Bärenkräften gekommen: So soll der große Ultner über 280 kg  getragen und die Lasten der anderen Träger auf sich genommen haben, so dass diese keinen Zoll zu zahlen brauchten.

Die Passeirer Säumer hingegen lieferten mit ihren Pferden Waren über den Jaufen und besorgten auch den Transport von Lebensmittel, Holz und Erzen für und vom Bergwerk Schneeberg in Hinterpasseier. Im Mittelalter waren die Passeirer Säumer die offiziellen Hoflieferanten für die Landesfürsten auf Schloss Tirol bzw. in Innsbruck. Im Gegenzug erhielten sie zahlreiche Privilegien. Die Bedeutung des Saumwesens zeigt sich auch daran, dass es in Passeier teilweise über 300 Pferde gab. Weil der Jaufen so „streng“, will heißen so beschwerlich war, erhielten die Passeirer im Mittelalter sogar ein besonderes Privileg vom Landesfürsten: Für fünf geladene Pferde wurden ihnen am Zolll nur vier berechnet. Ebenfalls im Mittelalter wurde auf der Passhöhe das Jaufenhaus errichtet, das für die Verpflegung und Unterbringung von Pilgernden und Reisenden zuständig war. Der Wirt am Jaufenhaus hatte unter anderem die Verpflichtung, abends und bei schlechten Wetter von der Passhöhe aus dreimal zu schreien und abzuwarten, ob er Hilferufe hört. Einige illustre Gäste sind über den Jaufen gereist, so zog Kaiser Ludwig von Brandenburg mit zahlreichem Gefolge über den Jaufen nach Meran. Dort fand die Hochzeit seines Sohnes mit der Landesfürstin Margarethe „Maultasch“ von Tirol statt. Der Bischof von Freising, der die Trauung vollziehen sollte, stürzte dabei auf dem Jaufen vom Pferd und starb.

Ab dem 15. Jahrhundert ging der Verkehr über den Jaufen zurück. Der Kunterweg durch die Eisackschlucht war zum Fahrweg ausgebaut worden, die Jaufenroute konnte damit weder finanziell noch zeitlich mithalten.

Zeitweise gab es sogar einen eigenen Postbotenlauf über den Jaufen. Die Jaufenpost konnte sich aber nicht lange halten. Kurios auch die Vermessung des Jaufens aus dem Jahre 1725. Ein gewisser Amandus Platter hatte von Hand (!) sämtliche Entfernungen, Brücken, Schranken (Geländer) und Firlegbamb gemessen und sogar die Schneestangen gezählt. Im 17. Jahrhundert verfiel der Jaufenweg zunehmend. Selbst gut gepflasterte Abschnitte waren teilweise zerstört, dass sie nur noch mit Mühe zu Fuß zu passieren waren. Der Passeirer hält jedes Künsteln am Wege als verlorene Liebesmüh, schreibt ein Zeitgenosse dazu treffend. Um 1830 versiegte der Saumhandel über den Jaufen. In der Folge ging der Umsatz der Wirtshäuser stark zurück. Die Anzahl der Pferde in Passeier fiel von 230 Tieren im 18. Jahrhundert auf elf Pferde um 1850. Viele Passeirer verloren ihre Einnahmequelle und fanden im Tal keine Arbeit mehr. In diese Zeit fiel auch der stärkste Bevölkerungsrückgang im Passeier.

Bereits 200 Jahre vor dem Bau der Jaufenstraße tauchten die ersten Pläne für eine Wagenstraße über den Jaufen auf.
Alle Pläne scheiterten aber an den Passeirern selbst. Sie brachten stets zahlreiche Gegenargumente vor – der Nutzen sei  nicht von Belang, der Verkehr könnte die Wiesen schädigen, durch eine Straße würden sich  Sittenverderbnis und Unglaube einschmuggeln .... Ihr Hauptgrund für den Widerstand war aber stets die Sorge vor den Baukosten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts drängte vor allem die Stadt Meran auf die Errichtung der Jaufenstraße, um für die Touristen bequemer erreichbar zu sein sowie den Gästen ein neues Ausflugsziel in der Umgebung anbieten zu können. Als die Passeirer dann endlich die Vorteile einer Straße erkannten, begannen die Streitigkeiten über die Beteiligung der Kosten sowie über den Straßenverlauf.

Leider haben wir keinerlei Notizen, Tagebuchaufzeichnungen oder Pläne vom Bau der Jaufenstraße.
Die einzigen Quellen sind die zeitgenössischen kurzen Berichte in den Lokalzeitungen. Sie erzählen von Felssprengungen, von über 900 Arbeitern, von Problemen wie brüchiges Gestein, rauhes Klima und Schwierigkeiten bei der Verpflegung und Unterbringung der Arbeiter. 1907 wird sogar von einer Demonstration berichtet, bei der die Arbeiter eine Lohnerhöhung erreichten. Obwohl zu Beginn mit der Fertigstellung im Jahr 1909 gerechnet worden war, konnte erst 1911 die erste Probefahrt gemacht werden. In dreieinhalb Stunden fuhren 11 Automobile von Meran nach Sterzing (heute benötigt man hierfür 2 Stunden weniger). Im Jahr darauf, am 15. Juni 1912 erfolgte auf dem Jaufenpass die offizielle feierliche Eröffnung der Jaufenstraße. Der Bau der Straße – 35 km lang und 5 m breit – hatte also acht Jahre gedauert und über 3.000 Kronen (das sind zirka 10 Mio. Euro) gekostet (diese Summe entsprach zwei Drittel mehr als veranschlagt).

Im Anschluss an die Eröffnung der Jaufenstraße wurde das Automobilverbot auf der Strecke Meran – St. Leonhard aufgehoben. Dagegen protestierten die Passeirer vergeblich wegen der großen Gefahr für Mensch und Tier. Ein Jahr nach der Eröffnung erhielt die Jaufenstraße eine Postautolinie. In den Sommermonaten verkehrte zweimal täglich ein Postauto mit 13 Sitzplätzen von Meran nach Sterzing und retour.

Lange Zeit fuhren auf der neuen Jaufenstraße noch zahlreiche Kutschen und Fuhrwerke.
Auch die  Stellwagen des Theis- und Stroblwirtes von St. Leonhard waren anfangs neben den Postautos im Einsatz. Die Stadt Meran organisierte Gesellschaftsausflüge für Einheimische und Gäste. Zeitungen und Werbebroschüren beschrieben die Straße als eine der schönsten Hochalpenstraßen, als eine Kunststraße mitten über die Berge. Im ersten Sommer wurden knapp 570 Automobile über den Jaufen gezählt. Während des Ersten Weltkrieges war der Verkehr eingestellt. Nach dem Weltkrieg übernahm eine Trentiner Gesellschaft den Postautoverkehr über den Jaufen, auch das Privatbusunternehmen Johann Kofler besorgte diesen Dienst.

Ab 1931 fuhren die roten Busse der SAD und die gelben Autocars des Landesverkehrsamtes Innsbruck über den Jaufen.
Die Betreuung der Jaufenstraße unterstand ab 1919 dem Staatsbauamt („Genio civile“), ab 1928 der „Azienda Autonoma Statale della Strada“ (A.A.S.S. – von den Einheimischen mit „Avanti avanti senza soldi“ übersetzt), ab 1948 der „Azienda Nazionale Autonoma delle Strade“ (ANAS) und seit 1997 der Autonomen Provinz Bozen.

Im Winter wurde die Jaufenstraße auf Ratschingser Seite für Bobrennen (Rodelsport) genützt. Die Straße wurde täglich mehrere Stunden lang für diesen Sport (teilweise waren es internationale Rennen) reserviert. Das erweckte den Unmut der Bauern, die den verschneiten Weg auch für Holzfuhren und als Gehweg nutzen wollten.

Ab 1960 wurde die Jaufenstraße geteert.
Auch der Tunnel bei der Glaitner-Kehre wurde geschlossen, die Schutzgalerie beim Vermaltal und mehrere Kehren wurden ausgebaut. Im Laufe der Jahrzehnte spuken in einigen Köpfen auch verschiedene Gedanken wie Jaufentunnel, Luftkissen und sogar einer Autobahn herum, die jedoch nie konkret wurden. In den 80er Jahren kam es zu mehreren Überfällen auf bundesdeutsche Touristen am Jaufen. Die Tourismusvereine veröffentlichten hierzu Warnungen. Seit 1989 ist der Jaufenpass auch im Winter mit Nachtsperre geöffnet. Große Probleme verursacht der Wind mit seinen Verwehungen mit Schneehöhen von drei bis vier Metern. Schon kleine Lawinen können für die Arbeiter verhängnisvoll sein. Auch Autofahrer, welche die Lage unterschätzten, sind samt Auto schon eingeweht worden und mussten von den zuständigen Straßenarbeitern ausgeschaufelt werden. In den letzten Jahren wurden mehrere Lawinenschutzbauten errichtet. Bis 2015 sollen die Lawinen- und Steinschlagschutzbauten verbessert bzw. eine Galerie erbaut werden.

Interessantes aus der Zeit der Anfänge des Automobils.
Die Autokennzeichen waren bis 1920 mit dem Buchstaben „T“ (Trient)  versehen, danach galt die Kennzahl „73“. Die erste Fahrschule in Meran gab es ab 1925 (Puccini). Zu dieser Zeit gab es in St. Leonhard drei Lastwagen und zwei Motorräder, aber noch keine Autos. Erst 1928 musste jedes Kraftfahrzeug mit einer Hupe versehen sein. Das Automobil war für die Leute einerseits ein Wunder  („dass eppis ohne Ross fohren konn...?), andererseits aber ein Monster („Der Staab und der Höllenlärm! Hennen stiabm assnonder und die Resser  werden wilde“). Die Stellwagenkutscher verparkten ihnen auch teilweise absichtlich den Weg. Die Fußgänger liefen panisch in die falsche Richtung und überhaupt mussten sich die Leute an „beschleunigte Reaktionen“ auf dem Dorfplatz erst gewöhnen, wenn ein Automobil daherkam.

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Goaßerstolz & Huarnfiich

6.000 Ziegen und 9.000 Menschen leben im Passeier. Nun kriegen die eigensinnigen Tiere eine Sonderausstellung.

Ziegen gehören zum Passeier wie Andreas Hofer, Speck und Schildhöfe. Knapp 6.000 Gebirgsziegen leben hier – gemeinsam mit 9.000 Menschen. Und das in Zeiten, in denen niemand mehr eine Goaß braucht und die Ziegenhaltung keinen Gewinn bringt.

 

Text: Judith Schwarz
Zeichnungen: Albert Mair

 
 

Irgendetwas scheinen die Goaßer, die Goaßer sein wollen, von ihren Vätern und Großvätern, die es sein mussten, geerbt zu haben. Es ist nicht der wirtschaftliche Zwang, die "Kuh des armen Mannes" zu halten, sondern die Leidenschaft für dieses Huarnfiich. Eine Sonderausstellung des MuseumPasseier versuchte 2011, diese unerklärliche Begeisterung zu erklären.

Wir starten mit Almidylle und Hirtenromantik.
Furmente, Tånderpuschn und Tschurschlin-Stallile (Murmeltier, Alpenrose und ein von Kindern gebauter „Stall“ mit Tieren aus Baumzapfen) sind Klischees einer idealen Almwelt. Ihr Anblick verzückt Tourist*innen und Einheimische. Erinnerungen an „Sommerfrische“, Wanderurlaub und die gute alte Zeit lassen im Kopf eine Gegenwelt zur Alltagshektik entstehen. Am Liebsten möchte man auch Hirte sein inmitten einer herrlichen Alpenlandschaft und friedlich grasenden Ziegen – und den ganzen Tag auf einem Grashalm kauen.

Viele Erwachsene erzählen heute stolz vom Gefühl der Verantwortung und des Erwachsenseins, wenn sie als Sechsjährige alleine Ziegen hüten mussten.
Ein Gefühl, das vielen Kindern heute fehlt – der Stolz auf die Pflicht. Es ist eine einfache Welt, und dennoch (oder deswegen) ist sie Luxus. Ganz besonders die Welt der Goaßer: Gerade, weil man Ziegen nicht mehr braucht, weil sie keinen finanziellen Gewinn bringen, weil sie einfach nur schön sein sollen und weil sie wertvolle Zeit kosten, die heute angeblich niemand mehr hat. Die in Ruhe genossene Pfeife, das Fernrohr, mit dem stundenlang beobachtet wird, die geduldige Schnitzarbeit aus Steckhölzchen, in der Zeit versteckt ist. Sie stehen für die Kunst, die Hirten beherrschen und viele Manager vergeblich zu lernen versuchen: Die Kunst des in sich Hineinhörens und Genießens. Das Hirtentum ist ein Überbleibsel einer der ältesten Kulturformen und verkörpert eine eigene Lebenshaltung und Weltanschauung.

Hirten waren angesehen als Viehdoktoren, Pflanzenkenner, Wetterfrösche, Handwerker und mitunter Erfinder.
Viele waren über das Tal hinaus bekannt, aber selten gaben sie ihr Wissen schriftlich weiter. Aber alles hat eine Kehrseite. So wurden Hirten im Laufe der Zeit auch als ungepflegte Nichtstuer, sonderbare Einsiedler, unstete Gauner und einfältige Sonderlinge gesehen. Genauso war das Leben als Hütbub kein Honiglecken. Oft waren die Kinder sich selbst und dem Drwailång (Heimweh) überlassen. Der Goaßer-Alltag sieht auch anders aus als romantisch: Im Winter täglich die eintönige Stallarbeit mit Dreck und Gestank. Auf der Alm unterbrechen Unwetter und verschwundene Tiere die Routine. Mühsame Wege bei jedem Wetter und oft gefährliche Situationen. Karge Kost im Mittoogkandele, raue Arbeitskleidung aus Lodenstoff, Sorgen um die Existenz und den Naturgewalten schutzlos ausgeliefert: Das gehört genauso zum Hirtendasein.

Auch um den Tod der Ziegen kommt der Goaßer nicht umhin: Totgeborene Kitze im Frühling, erfrorene oder unter Lawinen begrabene Ziegen im Winter, Abstürze und Schlachtungen.
Zum Thema Schlachtungen wird in der Ausstellung ein historischer Exkurs zum Handwerk des Struuzers aufgetan: Die Passeirer waren als Struuzer (Wandermetzger) bekannt. Sie handelten weithin mit Vieh und schlachteten es bei den Fleischmärkten in Meran und anderswo. Für die Struuzer war es ein guter Verdienst, für die Stadt Meran brachten die Fleischmärkte Gewinn, aber auch Beschwerden: Feuersgefahr, Schmutz, Gesundheitsgefährdung, Tierquälerei, Sittenverwilderung und lahmgelegte Geschäfte der Stadtmetzger. „Es ist eine schauderhafte Metzelei in der Stadt Meran, die im ganzen Kaiserstaate sonst gewiss nirgends vorkommt“, schreibt ein Zeitzeuge.

Während bei gefährlichen Ziegenkrankheiten heute der Tierarzt zur Stelle ist, hieß es für den Goaßer früher „Learning by doing“.
Behandlungen wie der Aderlass mit Fliëdn (Messer) und der Pansenstich mit dem Trokar (Eisenspitz) erfordern Fourtl und Schnaide (Know-how und Courage), da sie tödlich für die Tiere ausgehen können. Auf Abwehrzauber und alte Opferbräuche zurückgeführt wird der Glaube, ein alter lebender Ziegenbock im Stall (oder zumindest der Kopf oder die Hörner von einem geschlachteten Bock an der Stalltür) solle alle Krankheiten fernhalten. An besonderen Tagen wurde auch das Kraftfutter geweiht und den Tieren unters Heu gemischt, damit sie vor Krankheit und Unglück verschont blieben. Schwere Tierseuchen waren und sind auch heute noch Thema: Früher hatten sie harmlos klingende Namen wie Rausch und Trunk und waren Zauberwerk der Nörggeler. Heute heißen Ziegenkrankheiten CAE und Brucellose und werden mit „Ausmerzprogrammen“ bekämpft. Eine neue Sorge sind Bär und Wolf, die vermehrt auftauchen und für die ohne Aufsicht weidenden Ziegen gefährlich werden können.

Irgendwo zwischen diesen beiden Gegensätzen liegt die Realität.
In der Ausstellung ist dies der Film zwischen den Ausstellungsbereichen „Almidylle“ und „schauderhafte Metzeleien“. Die Aufnahmen zeigen die Gelassenheit der Hirten, die Stille, die unendliche Zeit und Muße, das Miteinander von Mensch und Tier, eine eigene Welt aber auch die tagtägliche Arbeit, den Dreck, den Gestank usw. Im zweiten Teil der Ausstellung wird es konkreter: Die Themen sind die „Psairer Goaß“, die „Goaßer-Kultur“ und „di schiane Goaß“. Seit einigen Jahren ist die "Passeirer Gebirgsziege" eine offizielle Rasse. Aber DIE Psairer Goaß gibt es nicht: Vielfältige Farbkombinationen machen verschiedene Abstammungen sichtbar. Das tut dem Stolz auf die Psairer Goaß keinen Abbruch. Zucht ist nicht nur Tierhaltung, sondern auch ein Stück Ideologie.

Passeier ist Südtirols Hochburg der Ziegen. Jede vierte Ziege lebt hier.
Sie sind der Stolz von über 300 Goaßern, die den Ziegenzuchtvereinen "Passeier" bzw. "Hinterpasseier" angehören. Auch Frauen halten Goaße. In Passeier sind es über 40. Die Frau auf der Spielkarte Schellsieben ist übrigens keine Goaßerin, sondern eine Karikatur auf die „Weiberherrschaft“.

Aber warum gab und gibt es gerade in Passeier so viele Ziegen?
Weil die schwer zugänglichen und kargen Passeirer Felsgegenden ideal für die Ziegenhaltung sind? Weil sich die vorwiegend armen Passeirer auf ihren kleinen Höfen dank Ziegen über Wasser halten konnten? Allein daraus lässt sich die Passeirer Ziegenleidenschaft nicht erklären, denn diese Voraussetzungen wären auch anderswo gegeben. Letztendlich ist die Goaß-Passion nicht reduzierbar auf bestimmte Faktoren und gehorcht keiner Logik.

Zur Frage, warum manche Menschen Tiere lieben und andere nicht, streiten Wissenschaftler*innen schon lange.
Ein Goaßer hat es simpel aber treffend erklärt: Entweder men isch a Goaßnårr oodr men isch kuander! Die Liebe der Goaßer zu den Tieren zeigt sich auch in den Ziegennamen. Viel mehr als Schafe werden Goaße als Individuen gesehen und erhalten traditionelle oder moderne Namen. Auch kennen Goaßer ihre Tiere auseinander, denn Goaßgesicht ist nicht Goaßgesicht! Trotzdem hat das Mårch – das Einzwicken von Kennzeichen in den Ohren Tradition. Mittlerweile sind Plastikplaketten und elektronische Magenkapseln Pflicht.

Es ist eine eigene Kultur – die Goaßerkultur.
Vor allem die Goaßer haben sich vieles von der Hirtenmentalität bewahrt: Die Bekleidung, die Gebärden, die Sprache. Höhepunkte im Goaßer-Jahr sind die Ziegenausstellungen, die wie Misswahlen ablaufen: Bärte biegen, Fell kämmen, Hörner polieren. Wie a schiane Goaß auszusehen hat, ist ein wandelnder Trend, den in Südtirol vor allem die Passeirer setzen.

Fatal für die Zucht ist es, wenn ein schiacher Pock mit einer schianen Goaß verkehrt.
Noch kurioser als es klingt, muss es ausgesehen haben, wenn Ziegenböcke zur Vermeidung solch einer unerwünschten Liasion „Bockhosen“ trugen. Sicherer war da das Ooziëchn (Kastrieren). Trotzdem bleibt die Zucht ein Glückspiel, und deshalb wahrscheinlich interessant. Der Goaßer weiß nie, werden die Kitze einfärbig, stroolit (Stahlenzeichnung am Kopf) oder gånsit (hell-dunkle Mantelfärbung) bzw. bloob (grau-bläulich), roat (rötlich), geel (gelblich), pråntlt (dunkelbraun), griislt (grau-braun), verbrennt (beige), schwarz oder liëcht (weiß). Die verschiedenen "Goaß-Typen", Untergruppen und Farbkombinationen, die die Goaßer-Sprache kennt, sind selbst für Einheimische mit gutem Dialektverständnis verwirrend.

Zur schönen Ziege gehört auch eine Schelle.
Schellen sind Schmuck, Signalinstrument, Besitzkennzeichen, Ehrengabe, Lärminstrument und Souvenir. Sie sind außerdem der Stolz der Goaßer und begehrtes Sammelobjekt. Schellen von alten bekannten Schmieden sind rar. Wenn bisweilen eine Kranzschelle oder Fakklschälle verkauft wird, erzielt sie fantastische Preise von 2.000 Euro oder mehr. Eine Besonderheit sind die alten Schellbögen aus Nussbaumholz mit Blechverzierungen. Heute sind Lederriemen gebräuchlich. Die älteste Passeirer Viehschelle ist übrigens über 1.000 Jahre alt. Archäologen vermuten, dass der Klang der Schellen ursprünglich vor bösen Almgeistern schützen sollte. Passend zu dieser Fülle an Goaßerliebe und Schellen-Sammelleidenschaft zeigt auch der zweite Film zu Beginn die innigen Momente der Goaß-Goaßer-Beziehung und die Miër-sein-Miër-Mentalität der Goaßer, die mitunter auch ins Folkloristische ausschlägt, alles untermalt von den Klängen von „Heidi“ (Wenn du uns Goaßer verstehen willst, schau dir einen Heidi-Film an, hat mir mal ein Goaßer empfohlen!). Und dann wechselt der Film vom „Goaßerstolz“ zu Huernfiich (voilà der Titel der Ausstellung) und zeigt die andere Seite der Goaß.

Anders als die friedfertigen Schafe, die geschlossene Herden bilden, haben die gewitzten Ziegen einen sehr individuellen und widerspenstigen Charakter.
Kein Goaßer, der nicht auf seine Lieblinge schimpft und sie verflucht. Schließlich sind sie immer dort, wo sie nicht sein sollen. Zäunt man die Goaß in ein Grundstück mit schönster Wiese ein, sucht sie nach einem Ausweg, um außerhalb des Zauns zu kommen. Zäunt man das selbe Stück Wiese ein und stellt die Goaß davor, versucht sie alles um innerhalb des Zaunes zu kommen. Verständlich, dass Huernfiich in Passeier so etwas wie ein zweiter Name ist (obwohl das Fluchwort mitunter von den Goaßern nicht so gemeint ist – sie sind ja auch stolz darauf, dass ihre Goaße einen eigenen Grint haben). Viele Ziegen, die den ganzen Sommer ohne Aufsicht auf der Alm verbracht haben und „verwildern“ sind im Herbst relativ schwer einzufangen. Deshalb melden die Passeirer Fundämter im Spätherbst nicht nur verlorene Schlüssel und Ohrringe, sondern informieren über zugelaufene Kitze und vermisste Böcke. So lustig, wie es sich anhört, ist es aber nicht: Vor allem das „Ausheben“ einer Goaß, die sich in einer Felswand verstiegen hat, ist eine immense körperliche und gefährliche Herausforderung für den Goaßer und fordert auch Todesopfer.

Willsche a Ggstriit, når richt der Goaße“, sagte stets mein Opa.
Vielleicht erzählen deshalb so viele Geschichtsquellen von den "Weidenei-Streite" in der Ziegenhochburg Passeier. Ob es wegen der Ziegen auch vermehrt „Ehe-Streite“ in Passeier gibt, lässt sich nicht sagen. Aber so manche Goaßer-Ehefrau wird mitunter über das Hobby ihres Mannes schimpfen. Vor allem wenn der Gatte Feierabend, Wochenende und Urlaub seinen Goaßen widmet und täglich den unverwechselbaren Ziegenduft nach Hause bringt.

Aber Ziegen sind zäh.
Wegen ein paar strafzettelschreibenden Förstern oder nudelholzschwingenden Ehefrauen lassen sie sich nicht unterkriegen. Und dass es Goaße auch weiterhin geben wird, prophezeit ein altes Passeirer Sprichwort:

„Goaße unt Huarn weern sii nit oodrschåffn!“
(Ziegen und Huren wird man nicht abschaffen können)

Sonderausstellung ab 15. Mai 2011
Goaßerstolz & Huarnfiich. Die Passeirer Gebirgsziege

Impressum der Ausstellung
Idee: Harald Haller
Konzept und Texte: Judith Schwarz
Inhaltliche Mitarbeit: Albin Pixner
Grafik: design.buero
Zeichnungen: Albert Mair
Filmschnitt: Stefan Holzknecht

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Andreas-Hofer-Bus

1809 zog Andreas Hofer kreuz und quer durch Tirol. 200 Jahre später nahm eine Ausstellung auf Rädern den gleichen Weg.

15.000 Kilometer auf den Spuren des Tiroler Volkshelden. 1809 zog Andreas Hofer kreuz und quer durch Tirol, um den Aufstand gegen Bayern und Franzosen zu organisieren. 200 Jahre später nahm eine Ausstellung auf Rädern den gleichen Weg.

Von Josef Rohrer

 

Von Jänner 2009 bis Februar 2010 hat der auffällig gestaltete Kleinbus über 70 Routen und rund 15.000 Kilometer abgefahren: Einerseits wurden jene Orte in den drei Landesteilen des historischen Tirol (Nord- und Südtirol sowie Trentino) angefahren, an denen sich Andreas Hofer vor 200 Jahren aufgehalten hat. Hier standen Vorträge zu den geschichtlichen Ereignissen vor Ort, Exkursionen, Besuche von Schulklassen, Quiz mit Verlosungen und die Zusammenarbeit mit kulturellen Vereinen und Einrichtungen im Vordergrund. Neben Unterlagen, Büchern und Shopartikel, die der Infobus stets bei sich hatte, verteilte das MuseumPasseier bei jeder historischen Route zweisprachige Faltblätter mit Informationen zu den lokalen Ereignissen vor 200 Jahren.

Andererseits bot das MuseumPasseier mit dem Kleinbus Abendvorträge an. Insgesamt über 3.000 Interessierte haben das Angebot wahrgenommen und diese Art der lebendigen und modernen Geschichtsvermittlung positiv bewertet. Für das MuseumPasseier war das Projekt mit sehr viel Organisation, historischen Recherchen und Aufwand verbunden. Die begeisterten Rückmeldungen und der Werbeeffekt für das Museum waren aber der Lohn für das arbeitsreiche Gedenkjahr 2009/2010. Das Projekt wurde in Zusammenarbeit mit dem Kulturressort der Autonomen Provinz Bozen Südtirol durchgeführt.

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