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Die vier Hofertöchter

Welche taugt zur Opernfigur?

Die Sandwirtstochter Gertraud Hofer (1805–1834) unscharf hinter Glas im MuseumPasseier – und im Schatten ihres prominenten Vaters. Um sie und ihre drei Schwestern liegt der Nebel der Geschichte. Gertrauds Enkel war Gemeindesekretär in St. Leonhard und erwarb 1909 den Hof Thurnfeld bzw. Kassier in St. Leonhard. Dort fand sich dieses Porträt, welches heute im MuseumPasseier ausgestellt ist. Foto: MuseumPasseier.

 

Welche taugt zur Opernfigur?

Von MuseumPasseier


Andreas Hofer ist ein Opernheld. Bereits 1830 wird ihm in London die Oper “Hofer, oder: Der Tiroler Tell” gewidmet, 1835 in Paris die Opéra-comique “Alda”, in der er allerdings Max Hofer heißt. Im Grunde alles verstaubte Operngeschichten, die schon mal bessere Tage erlebt haben.

Was hat Passeier sonst noch in punkto Oper zu bieten? Da fallen wohl vielen drei Schwestern aus St. Leonhard ein, die sich als Opern- bzw. klassische Sängerinnen einen Namen gemacht haben. Eine davon, Ulrike Haller, hat sich kürzlich im Museum mit einer ungewöhnlichen Idee gemeldet. Als Hofer-Nachfahrin möchte sie eine Oper zu Hofers Töchtern singen. Und ist deshalb auf Stoffsuche.

Die Quellen sind spärlich und zweifelhaft. Während über die Mutter Anna Ladurner zumindest Gerichts- und Polizeiprotokolle sowie Bittschriften da sind, fehlen bei den Töchtern rekonstruierbare Berichte oder gar von ihnen verfasste Dokumente: Die “Fakten” sind mehr Erzählung als Forschung, schreibt Hoferbiograf Andreas Oberhofer zur Frage nach der Quellenlage.

Ein*e Opernregisseur*in allerdings will etwas anderes wissen: Sind diese Erzählungen spannend? Taugen sie für die Bühne? Und um welche markante Figur soll sich die Oper drehen? Es braucht sehnsüchtige Zweigesänge der Verliebten und schwelende Familienzwiste, leidende Heldenfiguren und zornige Bösewichte, unterhaltsame Wirtshausszenen und sterbende Schwäne. Die vielen historischen Lücken, die uns zu schaffen machen, sind für eine Operngeschichte vielleicht gar nicht relevant: Es zählt das Kopfkino bzw. die Kopfoper.

Deshalb die Frage: Welche der Hofertöchter taugt zur Opernfigur? Wobei – nebenbei – uns erst jetzt auffällt, dass es keine Hinweise gibt, ob Mitglieder der Hoferfamilie musikalisch bewandert waren oder Instrumente spielten. Und, was uns seit unserem Gespräch mit Ulrike Haller auch zum Nachdenken gebracht hat: Wer pflegte die alte, bettlägerige Mutter im Dezember 1836? Fakt ist nämlich, Anna Ladurner stirbt keinen klassischen Operntod mit Dolch oder Gift, sondern an Entkräftung und alleine, ihre vier Töchter sind zu dem Zeitpunkt bereits tot. Vielleicht schaffen auch diese Leerstellen Platz für musikalische Überraschungen.

Im Folgenden also nun – bunt gemischt – Dichtung und Wahrheit über die Sandhoftöchter, was der Schöpfung einer neuen Opernkomposition als Anregung dienen möge.

 

Notizen von Rudolf Granichstaedten-Czerva (1885–1767) zu den Sandwirtstöchtern, Originale im Archiv der Tiroler Matrikelstiftung in Innsbruck. Der Jurist und Genealoge hatte u.a. zu Hofers Kindern geforscht und 1926 das Buch “Andreas Hofer. Seine Familie, seine Vorfahren und seine Nachkommen” herausgegeben. Zu den vier Töchtern hat er allerdings auch nicht mehr als einige Eckdaten herausgefunden. Foto: Tiroler Matrikelstiftung.

 

Tochter 1
Maria, die gegen den Willen der Mutter einen armen Stallknecht heiraten will und dafür bis zum Kaiser schreibt.
Die älteste Tochter Maria (~*16.02.1797) durchlebte im Kriegsjahr 1809 mit ihrer Mutter mehrere Stationen der Flucht vom Sandhof. Laut den Gerichtsaussagen der Sandwirtin waren die jüngeren Mädchen zeitweise bei Bekannten in St. Martin untergebracht. Mit dem Sohn Johann und eben mit der zwölfjährigen Maria flüchtete sie angeblich im November 1809 “am Keller” (Hof in der Kellerlahn gegenüber von St. Martin) und war dann ab Andreastag (30. November) in Pfelders, in Stuls und auf der “Schönnaer Alp” (Schönau in Hinterpasseier).
1811, mit 14 Jahren, wurde Maria zu den Tertiarschwestern nach Bozen geschickt, womöglich nicht nur um ihr eine gute Unterkunft und Mädchenbildung zukommen zu lassen, sondern vielleicht auch, um sie von “weltlichen Gefahren” abzuschirmen. Sie war dort vielleicht eine der sogenannten “Kostfräulein”, die im Kloster Kost und Logis gefunden haben, geistlich erzogen und durch das Angebot der Mädchenschule rudimentär unterrichtet worden sind, meint Schwester Anna Elisabeth Rifeser, die sich intensiv mit den historischen Quellen beschäftigt hat. “Kostfräulein” halfen zudem in der Küche, im Garten oder im Haus mit, erledigten Botengänge und Besorgungen oder erlernten Techniken wie Goldstickereien usw. Wir wissen nicht, wie lange sie dort war. Der Passeirer Landrichter schreibt 1828, von den vier Töchtern sei nur Maria nicht überheblich geworden: Sie hätte ihrer Mutter im Gasthaus geholfen, mit schlichter Bildung und gutem Herzen. Als sich eine Beziehung mit dem fünf Jahre älteren Andreas Erb anbahnt, sind Mutter und Geschwister nicht begeistert. Er ist ein armer Bauernsohn aus dem Tal, dem die Landwirtschaft mehr liegt als die Gastwirtschaft und der bereits seit mehreren Jahren am Sandhof als Knecht arbeitet. Es kommt angeblich zu Drohungen und Intrigen, Andreas Erb muss das Haus verlassen. Maria wendet sich an den Kaiser höchstpersönlich, um von ihm eine Heiratserlaubnis zu bekommen. Der Richter bescheinigt, dass es keine moralischen Einwände gegen die Ehe gäbe. Ein Passus, der nicht in das offizielle Urteil übernommen worden ist, lautet: Man sieht nicht ein, warum Andrä Erb seine Blicke nicht auf eine Sandwirthstochter, welche keineswegs mit besonderen körperlichen Reitzen ausgestattet ist, oder wegen Reichthum oder Bildung eine glänzende Partie wäre, erheben dürfte. Er ist ihrer würdig, und schwerlich möchte sie je eine bessere Wahl treffen können. Maria heiratet also mit 33 Jahren Andreas Erb, führt den Sandhof ihrer Mutter Anna Ladurner pachtweise gemeinsam mit ihrem Ehemann weiter, bringt drei Töchter zur Welt und stirbt mit 38 Jahren am 22. Juli 1835. Ein gutes Jahr nach Marias Tod lässt die 71-jährige Mutter Anna Ladurner als Sandhof-Eigentümerin ein Testament aufsetzen. Der Sandhof hatte sich inzwischen ökonomisch einigermaßen erholt. Die Landwirtschaft samt Wirtshaus sollte Maria Hofer und Andreas Erbs ältester Tochter Anna Erb (bzw. als nächste Erbfolgerinnen deren jüngeren Schwestern Maria und Rosa Erb) um einen Kaufpreis von 9.000 Gulden zukommen. Die drei Schwestern bzw. Enkelinnen von Anna Ladurner sind zu diesem Zeitpunkt sieben, fünf und zwei Jahre alt. Trotz Testament wird es anders kommen, keine von Marias Töchtern wird den Sandhof als Erbin übernehmen.

Tochter 2
Rosa, die vom Sandwirt zum Brühwirt zieht und dort kein Glück hat….
Rosa (*~30.08.1798) ist beim Tod ihres Vaters zwölf Jahre alt. Über sie ist derzeit am wenigsten bekannt. Sie ist 1811 angeblich bei den “Englischen Fräulein” in Meran, bislang konnte im dortigen Archiv oder im Stadtarchiv Meran jedoch kein Schriftstück zu ihr gefunden werden. Mit 19 Jahren hat sie vielleicht am Nonsberg eine Arbeitsstelle, denn die Mutter Anna Ladurner schreibt im April 1817 an ihren Sohn (Rosas Bruder): Die Rosa, so in Einsperg ist, schreibt mir sehr offt, ob du nicht einmall herauf komest. Wie viele Informationen würden wir wohl aus Rosas Briefen erhalten, wenn sie denn auffindbar wären?
Mit 32 Jahren heiratet Rosa dann Josef Holzknecht, den Wirt vom Gasthaus Brühwirt in St. Leonhard. Neun Monate später wird der Sohn Josef geboren, der im Alter von 6 Tagen an Diphterie (Gichter) stirbt. Kurz darauf später ist sie wieder schwanger, der zweite Sohn Johann lebt nur sieben Tage (der Eintrag im Taufbuch lautet wiederum: Gichter; nach 12 Stunden gestorben). Elf Monate später kommt der dritte Sohn auf die Welt, der wie sein berühmter Großvater auf den Namen Andreas getauft wird. Rosa erkrankt kurz nach der Entbindung und stirbt 13 Tage später mit 34 Jahren (und als erste der vier Schwestern) am 23. September 1832, laut Taufbuch an “Nervenfieber”. Kurioserweise hat die Schriftstellerin Klara Pölt (1862–1926) 1917 in einer Anekdote ihre Begegnung mit Rosas Tochter festgehalten, wobei Rosa keine Töchter hatte. In der Erzählung zeigt ihr (die fiktive) Tochter als alte Frau eine silberne Dose mit dem eingravierten Namen ihrer Mutter und berichtet, was ein Zeitgenosse immer erzählt haben soll: A saubers Weibets ists gwesen, das Hofer Rosele, und grad souvl a schöns Haar hat sie ghabt, man sieht sie selten, die Farb, nöt braun und nöt rot.
Der Sohn Andreas Holzknecht jedenfalls überlebt als einziges Kind den frühen Tod seiner Mutter. Er zieht aus Passeier fort und wird Handelsmann in Meran, sein Vater hatte nämlich nach eineinhalb Jahren erneut geheiratet und sein jüngerer Halbbruder Vinzenz sollte 1874 den Brühwirt erben.

Tochter 3
Anna, die von ihrer Tante zu einem gebildeten Stadtmädchen erzogen werden soll und am Krankenbett ihrer Mutter sterben wird.
Die dritte Tochter Anna (*~13.03.1803) hat ihre Mutter wohl am wenigsten erlebt. 1811 – die Halbwaise ist gerade mal acht Jahre alt – schickt Anna ihre gleichnamige Tochter zum Kuraten in Platt, Magnus Prieth (1783–1832), als Haushaltshilfe. Von 1815 bis 1825 lebt sie in Brünn bei ihrer Tante Maria Ladurner (02.01.1782–17.07.1845), die eine Schwester ihrer Mutter ist und unter dem geistlichen Namen Cordula im dortigen Ursulinenkloster weilt. Anna bekommt eine “städtische Erziehung” und kehrt 1825 als 22-Jährige für fünf Jahre an den Sandhof zurück. In dieser Zeit schreibt der Landrichter von Passeier, obwohl Anna in “guten Häusern” in Österreich gelebt habe, könne ein Menschenkenner sehen, dass ihre Bildung nur Scheinbildung sei und der “Urstoff” einer Wirtstochter überall herausblicke. Anna lebt dann von 1830 bis 1835 in Wien, während dieser fünf Jahre sterben in Passeier ihre drei Schwestern Rosa (1832), Gertraud (1834) und Maria (1835). Zu Annas Aufenthalt in Wien ist bislang nichts Weiteres bekannt, auch nicht ob sie Kontakt zu ihrem Bruder Johann hat, der 1834 mit seiner Familie dorthin übersiedelt ist und einen k.k. Tabak-Hauptverlag führt. Als ihre Mutter Anna erkrankt, kommt die ledige Tochter im Herbst 1835 wieder heim, um sie zu pflegen. Vielleicht hat sie sich auch um die drei kleinen Töchter ihrer im Juli verstorbenen Schwester Maria gekümmert.
Zu dieser Zeit lässt die alte Mutter ihr Testament aufsetzen, in dem Anna 970 Gulden zugesprochen werden und zusätzlich 1.000 Gulden in bar für die geleistete Krankenpflege und gezeigte kindliche Liebe. Weiters sollte sie das Mobiliar und die Kleidung und Wäsche der Sterbenden zur freien Wahl erhalten und ein “Gastzimmer” am Sandhof immer zur Verfügung stehen. Doch dann erkrankt diese letzte noch lebende Tochter und stirbt am 28. November 1836 an “Lungensucht” (evtl. Tuberkulose). Wer sich danach um die kranke Hoferwitwe kümmern musste, ist nicht bekannt, vielleicht deren siebenjährige Enkelin und Halbwaise Maria Erb. Anna Ladurner stirbt jedenfalls acht Tage nach dem Tod ihrer Tochter an “Entkräftung”.

Tochter 4
Gertraud, die als einzige Tochter nach dem Tod ihres Vaters die trauernde Mutter erlebt.
Die jüngste Tochter Gertraud (*~15.02.1805) wird mit fünf Jahren Halbwaise: Eine knappe Woche nach ihrem fünften Geburtstag erschießt man Andreas Hofer in Mantua – dass ihr Vater tot ist, erfahren die Kinder (wie auch die Ehefrau Anna) allerdings erst Wochen später. Während Gertrauds ältere Schwestern bald darauf in geistliche Obhut gegeben werden, bleibt sie als Nesthäkchen wohl bei ihrer Mutter am Sandhof. Über diese Zeit ist bislang nichts bekannt. 1819/20 scheint in den Protokollen der “Englischen Fräulein” in Meran eine Gertrud Hofer, 15 Jahre als “Kostgängerin” auf, sie ist am 9. September 1820 in die dritte Klasse eingetreten. Das Alter würde passen, auch die Angabe im Feld zum Beruf des Vaters bzw. zur Herkunft: Wirth, Leonhart. Dann finden wir erst wieder 1830 Einträge, und zwar in den Kirchenbüchern der Pfarre St. Leonhard: Gertraud heiratet mit 25 Jahren den Mesner Johann Haller von St. Leonhard und bekommt drei Kinder: Anna, Johann und Georg. Ein halbes Jahr nach der letzten Entbindung stirbt sie, mit 29 Jahren, im Sterbebuch ist “Leberleiden” als Todesgrund angegeben. Somit ist sie die einzige Hofertochter, die ihren 30. Geburtstag nicht mehr erlebt, ihre Schwestern sind immerhin 38, 32 und 33 Jahre alt geworden. Vier Monate nach ihrem Tod stirbt der zweitgeborene Sohn Johann im Alter von zwei Jahren. Der jüngste Sohn Georg wird dann wieder einen Bezug zum Sandhof haben, an dem seine Mutter aufgewachsen ist: Er ist zunächst wie sein Vater Mesner von St. Leonhard (vulgo Messner Jörgl), wird dann dort Postmeister und als 1890 die Tiroler Matrikelstiftung den Sandhof erwirbt, wird er dessen Pächter.


Na? Wer ist für euch die Favoritin?


 

Auch wenn das Libretto erst geschrieben und eine Finanzierung gefunden werden muss (oder gar aus der Oper nichts werden sollte), Ulrike Haller und das Museum freuen sich auf geschichtliche Hinweise, aber auch über Anregungen fürs Drehbuch.

 
Quellen: 
Die Angaben stammen, sofern nicht angegeben, aus Kirchenbüchern und dem Kapitel “Das weitere Schicksal des Sandhofs und der Familie Hofers” in Oberhofer Andreas: Der Andere Hofer. Der Mensch hinter dem Mythos. Innsbruck 2009 (S. 363–395).
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Little Hofer

Ein Tabletopper plaudert aus dem Modellbaukästchen.

Andreas Hofer als Spielfigur. Foto: David Hofer

Ein Tabletopper plaudert aus dem Modellbaukästchen.

 

Von David Hofer

 
 

Es gibt heutzutage viele Hobbys, denen man nachgehen kann. Ich persönlich habe mich in meiner Innsbrucker Studienzeit für eine eher exotische Variante entschieden, wobei es unterschiedliche Bezeichnungen dafür gibt: Tabletop, Miniature Wargaming oder Mandlr såmmln. Außenstehenden kann man dieses Hobby am ehesten mit den Begriffen Zinnsoldaten – Modellbau – Schach erklären. Diese Freizeitbeschäftigung besteht aus Sammeln, Basteln, Malen und auch dem Spielen von Partien.

Üblicherweise werden Figuren als Bausätze bestellt, zusammengebaut und dann bemalt. Die Figuren bestehen neben Metall inzwischen aus Hartplastik, Resin (Kunstharz) und anderen Materialien. Neueste Entwicklung ist der moderne 3-D Drucker für den Haushalt, womit man sich die Figuren selber zuhause drucken kann. Hobbybegeisterte möchten die Figuren auch einsetzen und in einer Art Strategiespiel werden historische Auseinandersetzungen nachgestellt und das eigene taktische Geschick überprüft. Sehr beliebt ist dabei die sogenannte Franzosenzeit, also der Zeitraum Andreas Hofers.

Figuren des Tiroler Landsturms mit Heugabeln hinter selbstgebastelten Barrikaden. Link zum Originalbild


Es gibt mehrere verschiedene „Settings“ für dieses Produkt. Ob Antike, Mittelalter, Neuzeit oder Moderne, man wird Miniaturen und Zusatzmaterialien dafür finden. Gerade die Auseinandersetzung mit den jeweiligen geschichtlichen Begebenheiten machen zu einem großen Teil die Faszination dieses Hobbys aus. Ich persönlich habe in meiner Sammlung größtenteils spätmittelalterliche Figuren, ergänzt mit einigen fantastischen und mythologischen Elementen (wer kann schon einem Drachen widerstehen?).

Die Ära Napoleons gehört zu den populärsten Produktlinien. Bis heute denkt man bei Zinnsoldaten üblicherweise an die uniformierten französischen Truppen mit den großen Hüten. Zusätzlich hat dieser Zeitraum den Vorteil, dass es eine große Anzahl verschiedener Mächte gab, die an den Konflikten beteiligt waren und sich dadurch historisch korrekt abbilden lassen. Das historisch akkurate Darstellen ist ein gewichtiger Punkt. Es gibt Erzählungen, wie Leute dafür streng gerügt wurden, die Epaulette (Schulterbesatz einer Uniform) im falschen Farbton bemalt zu haben.

Tiroler Schützen, von Hand bemalt. Link zum Originalbild

Und wo passt hier nun der Andreas Hofer hinein? Da zahlreiche Hobbyisten und Hersteller leidenschaftliches Interesse für Napoleons Zeit haben, gibt es dazu sehr viele verschiedene Produkte. Unter anderem eben auch Figuren für Andreas Hofer und Tiroler. So ist es gar nicht so unwahrscheinlich, dass zwei US-Amerikaner an einem verregneten Nachmittag vielleicht das zweite Gefecht am Berg Isel nachstellen. Dafür brauchen sie Gelände, Miniaturen und Spielregeln. Größtes Problem beim Tiroler Volksaufstand, so entnimmt man es den Hobbyforen, ist dabei die authentische Darstellung des steilen Geländes.

Ein Gefecht des Tiroler Volksaufstands wird in den USA nachgespielt. (Link zum Originalbild und zu weiteren Fotos)

Den Andreas Hofer und die Tiroler gibt es von mehreren Herstellern. 2009, passend zum Gedenkjahr zu 1809, kam erstmalig eine Andreas Hofer Figur auf dem Markt. Überraschenderweise war Australien der Herkunftsort, wohl noch ein britisches Erbe. Sozusagen dr Andr von Down Under.

Der Andr vom Down Under – neben Josef Speckbacher. (Link zum Originalbild)

Selbstverständlich hat das Mutterland des modernen Miniaturenschmiedens nachgezogen und es gibt ebenso einen Andreas Hofer aus dem Vereinigten Königreich.

Der Andreas Hofer aus dem Vereinigten Königreich. (Link zum Originalbild)

In naher Zukunft wird es einen Andreas Hofer „Made in Germany“ geben. Über Crowdfunding finanziert versucht der Hersteller passende Miniaturen zu entwerfen. Dass Gemälde Vorlagen sein können, zeigen bereits diese Truppen aus dem Bild zu einem Gefecht bei Wörgl in Nordtirol.

Neue Tiroler aus Deutschland in Entstehung, bisher wurde nur an den Bayern gearbeitet. (Quelle: Pianowargames/Facebook)

Interessant zu lesen sind die Foren-Diskussionen der Hobbyisten. In diesen tauschen sich die Hobbyisten darüber aus, mit welchen Spielregeln sie Andreas Hofer und die Tiroler darstellen können. Gut durch das Gelände sollen sie sich bewegen können. Einen Bonus im Kampf gegen die Bayern erhalten. Und sehr tapfer sein. Dafür aber keine zu geordneten Schlachtordnungen und Formationen.

Ich persönlich besitze keine der offiziellen Tiroler-Figuren. Aber nach meiner Zeit in Innsbruck bekam ich von einem Freund eine von ihm gebastelte Miniatur. Dafür hat er verschiedene Teile aus passenden Gussrahmen kombiniert, um einen eigenen und einmaligen Andreas Hofer zu erschaffen. Und dazu gab es noch einen Trupp Tiroler von 1809, ebenfalls aus diversen Bausätzen selbst gebastelt.

Der Andreas Hofer und die Tiroler aus meiner eigenen Sammlung. Foto: David Hofer

 

UPDATE | 2. Dez. 2022
Mittlerweile steht das Design für “The Alps Aflame. The Tyrolean Rebellion of 1809” und die Crowfunding-Kampagne für die Produktion von 180 Figuren ist gestartet.

UPDATE | 30. Jan. 2024
Wir haben nun einen Tyrolean Captain aus dem 3-D-Drucker! Herzliches Danke an David, “Little Hofer” bekommt bald einen Platz in der Hoferausstellung.

Der Hofer aus der Serie “The Alps Aflame. The Tyrolean Rebellion of 1809”. Foto: MuseumPasseier

UPDATE | 12. Feb. 2024
Little Hofer ist jetzt farbig.

Der Hofer aus der Serie “The Alps Aflame. The Tyrolean Rebellion of 1809”. Foto: David Hofer

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Come Hofer finì al museo

Riaffermare immagini e modi di pensare ormai noti? La mostra Eroi & Hofer vuole di più.

Un museo dedicato ad Andreas Hofer nel cuore della Val Passiria?
Ci si aspetterebbe un luogo di pura celebrazione patriottica.

 

Testo: Josef Rohrer
Traduzione: Susanna Piccoli
Voce: Monika Gögele

 
 
 

Per i patrioti tirolesi il Sandhof è un luogo sacro. Qui è venuto al mondo Andreas Hofer. Qui il destino lo indusse ad assumere il ruolo di David contro il Golia Napoleone. Qui vicino, abbandonato da Dio, imperatore e patria, fu catturato dai soldati francesi dopo il fallimento dell’insurrezione del 1809.

Il Sandhof divenne in seguito meta di pellegrinaggio. In una saletta celebrativa si potevano vedere alcuni oggetti appartenuti a Hofer.
E nell’anniversario della sua morte gli Schützen celebrano tradizionalmente una messa commemorativa nella cappella di Hofer.

Sorprendentemente il potenziale museale di questo luogo rimase ignorato per molto tempo. Solo nel 1995 fu fondata un’associazione con l’obiettivo di istituire al Sandhof un museo della Passiria. Sul prato adiacente furono raggruppati vari edifici storici a creare un tipico maso contadino. Nel fienile del Sandhof trovò collocazione una raccolta di oggetti etnografici. E nell’antica stalla fu inaugurato un piccolo museo dedicato a Hofer con delle vetrine ricche di cimeli.

Un film fu una prima licenza a mostrare che la prospettiva stava cambiando. Con sottile ironia e una tecnica di animazione talvolta bizzarra racconta la vita di Hofer. Il film è stato criticato da più di un fervente patriota che lo ha definito irriverente.

Poi arrivò il 2009. Il Tirolo celebrò per un anno intero e con gran clamore l’insurrezione di 200 anni prima. Fu costruito un edificio adiacente e sotterraneo, con una superficie espositiva di 500 metri quadrati. Allo scopo di ospitare un’esposizione che mostrasse come si era arrivati alle insurrezioni tirolesi. Ma in realtà il concetto espositivo va oltre la mera rappresentazione dei fatti storici.

“Nessuno è eroe davanti al suo cameriere”. Delle citazioni come questa fanno intuire fin dall’inizio: in questo percorso museale non si troverà la glorificazione del barbuto eroe popolare. Si propone invece un approccio differenziato al culto dell’eroe in generale. All’ingresso viene proiettato un videoclip con eroi odierni in posa, accompagnato come colonna sonora da una canzone di David Bowie. “We can be heroes just for one day”, recita una frase del testo.

La figura di Andreas Hofer è posta al centro, ma in realtà costituisce un esempio. Quando nel film dedicato a Hofer si sente l’ultimo sparo del plotone d’esecuzione a Mantova, la voce narrante si chiede: “Cosa sarebbe diventato Hofer, se all’epoca Napoleone lo avesse graziato?”
Sicuramente non un eroe. Perché uno come lui doveva morire tragicamente per poter assurgere ad eroe. Una relativizzazione del suo ruolo, e un’anticipazione dell’ultima sezione del percorso. Quella che mostra la trasfigurazione di Hofer in eroe.

Le visitatrici e i visitatori si confrontano in prima istanza con la storia narrata in modo vivace. Possono osservare come le guerre napoleoniche spostarono i confini d’Europa. Apprendono che il Tirolo fu sottratto all’Austria e annesso alla Baviera. La Baviera che era alleata di Napoleone.

Erano due mondi che si scontravano: Da un lato il Tirolo contadino, chiuso e superstizioso. Dall’altro la Baviera illuminata, con un re che voleva creare uno stato moderno su modello di quello francese. Quali motivazioni stavano alla base delle riforme bavaresi in Tirolo? Come sono stata accolte dai e dalle tirolesi? L’incomprensione reciproca risulta palpabile.

Nonostante le difficoltà nell’utilizzare contemporaneamente quattro lingue, il museo fa un uso intenso del mezzo audio. È così che l’arciduca Johann promette ai Tirolesi incolleriti di inviare l’armata austriaca in loro aiuto. Nelle postazioni audio collocate lungo il percorso prendono anche la parola quattro significative figure di donne. Introducono un punto di vista femminile nella recezione quasi esclusivamente maschile dell’anno 1809.

Un famoso dipinto di Albin Egger-Lienz è stato riprodotto per il museo in un rilievo ligneo. Mostra Padre Haspinger che guida i contadini all’attacco. La sua croce è in alto come fosse un vessillo da battaglia. Dietro di lui i contadini tirolesi con scuri e correggiati. I tirolesi comandati da Andreas Hofer riuscirono per un certo tempo a preoccupare le truppe di Napoleone. Conseguirono alcune vittorie spettacolari. Hofer si insediò a Innsbruck come “reggente del Tirolo”. La sua bizzarra reggenza durò appena due mesi.

Le visitatrici e i visitatori si ritrovano in un labirinto. Sperimentano come doveva sentirsi Hofer. Hofer non sapeva cosa fare:
Lasciato senza notizie chiare da Vienna in merito alla pace che era stata conclusa. Circondato da voci contrastanti. Gli uni che vogliono convincerlo ad arrendersi. Gli altri che lo incitano a proseguire una lotta senza speranza. Hofer è un uomo dilaniato dall’incertezza.

Nonostante il fallimento, la sua ribellione fu esaltata in seguito come eroica. Il crescente sentimento nazionale del Diciannovesimo secolo necessitava di simboli. In uno di questi fu trasformato un uomo semplice e barbuto che per difendere le sue convinzioni non aveva esitato a sfidare una grande potenza. Un simbolo non solo per i tirolesi. Ma anche per i romantici tedeschi e inglesi.

Ai meccanismi che portano alla produzione di eroi è dedicato l’ultimo terzo dell’esposizione. Servendosi della letteratura, della pittura, della musica e della scultura fu plasmata la figura eroica da utilizzare a svariati scopi. Per ottenere prestiti di guerra durante la Prima guerra mondiale. Come testimonial per campagne antitaliane. Come logo per prodotti quali grappa e speck. Ad eroine ed eroi vengono attribuite forze sovrannaturali. Ma contro l’appropriazione essi sono impotenti.

Ad Andreas Hofer è stata almeno risparmiata una cosa: molte figure nell’incessante produzione di eroi cadono rapidamente nell’oblio. Hofer invece è ancora sorprendentemente vivo dopo 200 anni. Nell’ultima sala espositiva, un Pantheon moderno, Hofer è di nuovo uno tra tanti. Si trova in cerchio in compagnia di Superman, Juri Gagarin, Nelson Mandela e altri ancora. E cerca ancora di dare una risposta sul perché ogni epoca e ogni regione tendano a crearsi le proprie eroine e i propri eroi. 

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Tausend Kilometer bewegt

Ein halbes Jahr war ein Holzstecken aus Passeier unterwegs. Seine Touren sind dokumentiert. Von oben bis unten.

Im Mai 2021 startete ein Holzstecken aus Passeier seinen Weg durch die Europaregion. Sechs Monate später das Resümee: 24 Museen haben sich den GPS-STÄKKKN gegenseitig zugesteckt und Handarbeit hinein gesteckt.

Von MuseumPasseier

Das Euregio-Museumsjahr 2021 kam daher mit Ausstellungen, Filmen, Podcasts, Publikationen und Veranstaltungen. Und auch mit einem Wanderstecken, der von Museum zu Museum reiste. Wann, wie, wohin der Stecken wandern sollte, blieb den Museen überlassen – Hauptsache er bewegt sich, gemäß dem Jahresmotto „Museum bewegt“.

Also verbrachte er Nächte in Autokofferräumen und hatte Fotoshootings in prunkvollen Schlosssälen, fuhr S-Bahn durch das Unterinntal und mit dem Apotheker-Zustelldienst in entlegene Täler, wurde mit Weihwasser besprengt und steckte zwischen den Beinen einer nackten Statue, verschwand in Festungen und Tunnelwelten und hatte Auftritte bei Ausstellungseröffnungen, reiste an den Gardasee und begleitete einen Bergläufer auf 2.000 m Höhe, ließ sich mit einer Sackkarre durch Brixen kutschieren und geduldig Tassen, Steine, Eintrittskarten und Stocknägel an sich befestigen, hatte Tagesetappen zwischen wenigen Metern und 250 Kilometern, wurde mit Taschenmesser oder Profiwerkzeug beschnitzt, mit Tipp-Ex und Leuchtfarben bemalt, mit Brennstift gebrannt, mit Reiseerinnerungen umwickelt und beklebt.

Der Haselnuss-Stecken benötigte technische Betreuung, denn er war mit einem GPS-Tracker ausgestattet. Hansjörg Alber hat sich um den Sender samt Batterien gekümmert, Albert Pinggera um die Erfassung der Standorte und Routen auf Google Maps bzw. der GARGOOO-Website.

Die Orte und Museen: Innsbruck (Volkskunstmuseum), Vigo di Ton (Castel Thun), Rovereto (Museo della Città, Museo della Guerra), Riva (MAG), Schwaz (Rabalderhaus), Weerberg (Rablhaus), Jenbach (Jenbacher Museum), Rattenberg (Augustinermuseum), Wörgl (Erlebnisbahnsteig Brenner), Steinach am Brenner (Tunnelwelten), Franzensfeste (Festung Franzensfeste, BBT-Infopoint), Neustift (Kloster Neustift), Brixen (Pharmaziemuseum, Hofburg), Bruneck (Landesmuseum für Volkskunde), St. Lorenzen (Museum Mansio Sebatum), Bozen (Museumsverband, Abteilung Museen), St. Leonhard (MuseumPasseier), Levico (Colle delle Benne), Cavalese (Museo Palazzo Magnifica), Aldein (Dorfmuseum Aldein).

 
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Schreist du mit?

Ein eigenwilliger Startruf, mitten im Lockdown.

Mitten im Lockdown geht das MuseumPasseier an die Öffentlichtkeit.
Mit dem eigenwilligen Startruf GARGOOO für das gleichnamige Projekt.

Von MuseumPasseier

 

Für das Jahr 2021 rief die Europaregion ein Museumsjahr zum Thema „Transport–Transit–Mobilität“ aus, bei dem innovative und interdisziplinäre Initiativen gefördert werden sollen. Das MuseumPasseier ist mit dem Projekt „GARGOOO! Åbout Dialekt“ dabei.  

GARGOOO! bedeutet „Die Bahn ist frei“, „Lass die Sache wieder rollen“ oder auch „LOOOS!“. Passeirer Holztreiber brüllten das Wort von Posten zu Posten, wenn sie gefällte Baumstämme bergabwärts schickten. Mittlerweile sind Holztreiber und ihr Startruf aus dem Alltag verschwunden.

Warum das Wort nicht wiederbeleben? Beispielsweise um nach Winterpausen und Lockdowns von Museum zu Museum zu rufen: GARGOOO, wir sind wieder da! Und um das GoLive der neuen Website hinauszuposaunen, die das Dialektprojekt des MuseumPasseier durch das Themenjahr 2021 begleiten wird. 

Heute, am Internationalen Tag der Muttersprache, ist der verklungene Starturf erstmals wieder zu hören. Und damit kein vergangenes Wort mehr.

Mehr zum Wort GARGOOO
Mehr zum Projekttitel GARGOOO

Konzept: Albert Pinggera, Josef Rohrer, Judith Schwarz
Design: design.buero  
Web: Kreatif GmbH
Ton: Tonstube
Projektpartner: Ötztaler Museen
GARGOOO-Website: gargooo.museum.passeier.it

Gefördert von der Europaregion Tirol–Südtirol–Trentino und den Bildungsausschüssen St. Leonhard und St. Martin in Passeier.

 
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GARGOOO meldet sich zu Wort

Wie ein vergangenes Wort neu aufgeht.

Wie das vergangene Wort GARGOOO Titel unseres Dialektprojekts wurde.

Von Judith Schwarz

Der Gedanke, sich als Museum mit immateriellem Kulturgut wie Dialekt zu beschäftigen, reizt uns schon lange. Ebenso die Herausforderung, etwas auszustellen, was sich nicht ausstellen lässt. Was sich gegen das Ausstellen sperrt.

Allerdings ist Sprache halt ein endlos weites Feld. Schließlich ist sie überall – gleichzeitig ist sie auch nur ein flüchtiger Moment. Wir wussten in der Vergangenheit nicht „Womit fangen wir an?“ und in Folge kam es auch nicht zur Frage „Wann fangen wir an?“. Dann schrieb die Euregio das Museumsjahr 2021 aus. Der Schwerpunkt: Transport/Transit/Mobilität. Spontan fiel uns ein: Sprache ist ein Transportmittel. Sprache ist mobil und verändert sich. Wörter wandern ein und wandern aus. Sprachveränderung passiert (auch) durch Mobilität. Menschen übersetzen Sprachen, transferieren sie, switchen. Und natürlich sind da auch die Begriffe und Redewendungen, die Transport/Transit/Mobilität selbst zum Thema haben oder bezeichnen.

Welch schöne Herausforderung: Beweisen, dass der Dialekt, der sich von den klassischen Mobilitätsthemen abhebt, sehr gut zum Mobilitätsthema passt. Und abgesehen davon: Endlich war, dank der vorgegebenen Themen, dieses weite Feld Dialekt etwas eingegrenzt. Vor allem aber: Wir hatten endlich einen Startschuss. Wir mussten endlich beginnen, unsere Ideen niederzuschreiben, denn der 31. Jänner 2020 war Einreichschluss für die Museumsjahr-Projekte.

Dann fiel uns ein Wort in die Hände. Just in dieser Zeit, als wir auf die Startgenehmigung aus Bozen warteten, fanden wir eine Notiz zum Rufsignal „Gargo“ in einem Aufsatz über Waldarbeit von 1987. Der Autor Sepp Haller beschreibt es folgendermaßen:

Es ergibt sich oft die Notwendigkeit, den Holztransport für kurze Zeit einzustellen. Es geschieht dies durch den Zuruf von Posten zu Posten. In Passeier gibt es dafür eigene kurze Wörter. Das Rufsignal „Hebau“ bedeutet Stopp, kein Holz nachschicken. Der Angesprochene bestätigt es mit dem Ruf „Tschey“. Ist die Bahn wieder frei, dann schreit der untere zum oberen Posten hinauf „Gargo“. (…)
Bemerkenswert ist, dass keiner der von mir befragten erfahrenen Holzer über die Herkunft bzw. Ableitung dieser drei simplen Wörter nähere Angaben machen könnte. An und für sich handelt es sich um nicht sinntragende Wörter, die sich allerdings durch Jahrhunderte zu diesem Zweck im Tale behauptet haben; vermutlich aufgrund dessen, weil sich ihr Auslaut sehr langgezogen rufen lässt.

Was steckt in diesem Gargo? Möglicherweise lat. carrus (Wagen) oder ital. carico bzw. engl. cargo (Fracht, Ladung). Das alles, inklusive Holztransport-Background, passte wunderbar zum Themenjahr Transport/Transit/Mobilität. Und dass gargo auf italienisch mit schlau/schelmisch/spitzbübisch übersetzt werden kann, taugte uns ebenso: Schließlich hatten wir die Ambition, das Thema Dialekt mit Humor anzugehen. Der erste Lausbubenstreich folgte auch zugleich. Ein Blick ins Passeirer Wörterbuch von Franz Lanthaler und Harald Haller zeigte, dass Gargo dort als Gargoo gelistet ist. Wohl um zu betonen, dass die Betonung auf dem O liegt. Grafiker Albert Pinggera machte daraus GARGOOO! Nun war aus Gargo wahrlich ein Schrei geworden.

Sollten wir dieses längst verklungene Wort wieder in Umlauf bringen? Was würden sich die Leute denken und fragen?
Ist GARGOOO …
… schargoo oder gärguu?
… historisch oder modern?
… echt oder erfunden?
… tiefgründig oder sinnlos?
… Kindersprache? Psairisch? Englisch?
… ein Ort oder ein Gegenstand oder ein Zustand?

GARGOOO kann alles sein.
Wir fragten uns auch:
Ist GARGOOO …
… unübersetzbar?
Wie haben die Autoren des Passeirer Wörterbuchs die Bedeutung für das Wort GARGOOO herausgefunden oder/und festgelegt? Für den einen Holzer ist GARGOOO mehr die Entwarnung „Alles ok, wir haben den Fehler behoben“, für den anderen ist es mehr die Anweisung zum Weiterarbeiten „Lass los!“ oder auch „Stoß an!“. Was passiert in dieser Zwischen-Welt der Worte, die Übersetzer*innen betreten?

… tot?
Wer benutzt das Wort noch? Im Wörterbuch wurde es dokumentiert, an der Nichtmehr-Nutzung ändert das nichts. Außer das Museum „stellt das Wort aufs Podest“ (und straft damit den vorherigen Satz Lügen). Was passiert dann?

… heimatlos?
Oft soll mit Dialekt ein Produkt, eine Veranstaltung, ein Gebäude ecc. in den Kontext von Idylle, Tradition, Natur und Heimat gerückt werden. Funktionierte das auch bei einem Dialektwort wie GARGOOO, das „niemand“ kennt und nicht „psairerisch“ aussieht?

… ungehört?
Wie hört(e) sich der laute Ruf GARGOOO an? Wie passen Name und Ton zusammen? Der Autor Sepp Haller hat das Wort 1987 niedergeschrieben, als er es noch aus dem Mund der Holzer hörte. Ist ein gesprochenes GARGOOO von einem Holzarbeiter, der es in seinem Arbeitsleben verwendete, authentischer, als ein GARGOOO von jemandem, der es vorher noch nie benutzte?

… fremd?
Dieses fremde Wort, das sich nicht fassen ließ, gefiel uns ungemein. Wir wollten es benutzen (und sei es nur als „Startsignal“ um den PC-Bildschirm zu entsperren). Mit der Zeit wurde GARGOOO für uns dann zu einem neuen Begriff. Einem Wort, das wir mit Gefühlen und Erwartungen beladen/befrachtet haben, so dass es uns nun schwer fällt, bei GARGOOO an Holzarbeit zu denken. Uns ist die ursprüngliche Bedeutung fremd geworden, so wie einem Holzer unsere Deutung von GARGOOO fremd scheinen muss.

… männlich?
Kannten Frauen den Begriff überhaupt? Möglich. Haben sie ihn benutzt oder sogar geschrien, wie die Männer bei der Waldarbeit? Unwahrscheinlich. Ein schöner Gedanke, dass GARGOOO erstmals auch von Frauen und außerhalb der Passeirer Wälder in den Mund genommen werden würde.

… festgeschrieben?
Was spricht dagegen, GARGOOO auch in Bereichen außerhalb der Holzarbeit zu verwenden? Mit GARGOOO weckt die Mutter das Kind, das morgens verschlafen hat. Mit GARGOOO ruft der Verkäufer an der Fleischtheke die Person mit der nächsten Nummer auf. Mit GARGOOO jagt die Bäuerin die Kühe auf die Weide. Mit GARGOOO verkündet der Landeshauptmann das Ende des Lockdowns. Mit GARGOOO öffnet das Museum wieder seine Türen.  

Dann kam die Antwort aus Bozen. Die Geldmittel für die Museumsjahr-Projekte reichten nur für vier Projekte, schrieb man uns im Mai. Unser Dialektprojekt lag auf Platz 5. Es war klar: Wir hatten ein Hebau erhalten! Wir mussten warten: Ist die Bahn wieder frei, dann schreit der untere zum oberen Posten hinauf „Gargo“. Bis Juli blieb es still. Sollten wir mit unserem Dialektthema beim Euregio-Museumsjahr wirklich auf dem Holzweg sein? Dann begannen die Verhandlungen um den Nachtragshaushalt des Landes – und im August meldete der untere Posten endlich das ersehnte GARGOOO! Unser Dialektprojekt konnte wieder Fahrt aufnehmen, wie losgelassene Holzstämme im Wald.

Damit war klar: GARGOOO wird Titel und Startruf unseres Projekts. Und wer weiß? Vielleicht wird das vergangene Wort GARGOOO auch außerhalb des Dialektprojekts neu aufgehen: GARGOOO GARGOOO!

 
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Sopravissuto

293 opere d'arte degli Uffizi sono resiste in Passiria alla guerra mondiale. Durante il lockdown la mostra speciale "Uffizi in Passeier" ha ricevuto una seconda vita.

Foto: Charles Bernholz/ Yale University Library

La seconda vita di una mostra ridisegnata. In giugno, la mostra "Uffizi in Passeier" si sposterà: Dalle cantine storiche del Sandhof in Passiria nel tunnel stradale di Le Gallerie a Trento.

 

Di Judith Schwarz.
Traduzione: Tiziano Rosani

 
 

Nella mostra vi è una foto che sembra l'istantanea di un deposito d’arte. I dipinti sono disposti uno dopo l’altro, come fossero illustrazioni in un libro d’arte: Rubens e Cranach, Pollaiolo e Tintoretto, Caravaggio e Botticelli. Al centro è una porta e sopra un cartello: "Sala d'armi". Si tratta del vecchio carcere di San Leonardo in Passiria.

Durante la guerra, un'armeria ha custodito, al posto di armi, opere d’arte. Un mondo alla rovescia. 
UFFIZI IN PASSEIER pare quasi una parodia dei musei. Quando guardiamo l’arte, quando consumiamo l’arte nei musei che la ospitano, ne adoriamo la perfezione. Non solo la perfezione artistica delle opere, ma in fondo anche la perfezione della tecnologia espositiva: l'illuminazione, le modalità di presentazione, i sistemi di sicurezza. Nei musei, l’arte sotto vetro appare immutata ed eterna.

UFFIZI IN PASSEIER narra quello che non vediamo quando siamo davanti ad opere brillantemente restaurate.
Ci ricorda che l'arte conservata nei musei non è inviolata. Ha un passato composto di storie, che noi visitatori e visitatrici solitamente ignoriamo. Le opere d’arte dei musei fiorentini hanno intrapreso durante la guerra un viaggio rischioso, passando per le mani, anche sudate, di soldati, autisti, responsabili della tutela dell‘arte. Sono cadute a terra, si sono strappate, hanno sviluppato muffe a causa dell’umidità. E alcune, prima di arrivare in Alto Adige, sono pure sparite negli zaini dei soldati come souvenir. La storia narrata in UFFIZI IN PASSEIER non si conclude quindi nel luglio 1945 col ritorno di questi tesori a Firenze. Quando le opere hanno sfilato trionfalmente attraverso la città, come fa un condottiero vittorioso.

Però non tutte le opere sono tornate. E quindi l’Italia non ha potuto archiviare definitivamente la vicenda.
Vi è una cesura a metà della mostra. Non siamo più nella Seconda Guerra Mondiale. Siamo nel 2019. Gli Uffizi lanciano – con grande impatto mediatico – un appello alla Germania per la restituzione di un dipinto. Un dipinto, che - prima di giungere in Alto Adige - era stato spedito da un soldato della Wehrmacht alla moglie in Germania. Si tratta del “Vaso di fiori” di Jan Van Huysum. Per ricordare la perdita gli Uffizi hanno prodotto un video raffigurante una riproduzione con la scritta "rubato". Si è trattato quasi di un’azione artistica, che non solo ha ottenuto un grande impatto mediatico, ma che alla fine si è conclusa con il ritorno del dipinto agli Uffizi. Il dipinto originale “vaso di fiori” è divenuto oggetto di appropriazione reale e simbolica. Ma anche la riproduzione, che all'inizio era solo un ricordo di se stessa, in questo affare di stato tedesco-italiano ora è diventata molto di più. Anche la riproduzione è stata a sua volta riprodotta per questa mostra. Una copia della copia.

Foto: Albert Pinggera

Il direttore degli Uffizi, egli stesso tedesco, ha commentato il ritorno del quadro con queste parole: "È una grande vittoria per l'Italia e per tutta l'umanità". Non credo sia necessario vi dica che la parola “vittoria” non è mai stata menzionata nei media tedeschi. Le foto sulla stampa sono le medesime, invece le didascalie che le accompagnano non lo sono affatto. Chi siano i "buoni" in questa vicenda italo-tedesca dipende dal giornale che si sta sfogliando, dipende se è un giornale italiano o un giornale tedesco.

Ogni storia ha sempre almeno due facce, ed è questo l’aspetto più appassionante del racconto di questa mostra, il filo rosso che percorre UFFIZI IN PASSEIER.
Durante la guerra in Italia si affrontarono non solo tedeschi e americani, ma anche le squadre di protezione dell'arte di entrambe le parti. Entrambe col medesimo obiettivo: conservare i tesori d'arte dell'Italia occupata - e rappresentare il nemico come un barbaro in ambito culturale. Il messaggio da parte americana era: "I cattivi tedeschi rubano l'arte, i buoni americani salvano l'arte". Sul lato tedesco il messaggio era opposto: “I cattivi americani bombardano l'arte, i buoni tedeschi portano l’arte al sicuro“.

Foto: Albert Pinggera

UFFIZI IN PASSEIER è articolata in due stanze che presentano le due differenti prospettive, quella tedesca e quella americana. In entrambe le stanze troviamo sulle scrivanie la corrispondenza ufficiale e privata di alcune delle persone coinvolte nella vicenda. In entrambe le stanze emergono le preoccupazioni conseguenti all'immensa responsabilità di avere a che fare con capolavori dell’arte mondiale. E in entrambe le stanze si comprende che la contesa dei dipinti fu accompagnata da una veemente battaglia di propaganda. Una battaglia, in cui le foto sulla stampa erano le medesime, ma le didascalie che le accompagnavano non lo sono. Mentre la squadra TEDESCA di protezione dell’arte sfruttò la documentazione fotografica per contrastare la propaganda nemica, la squadra AMERICANA di protezione dell’arte utilizzò le stesse foto come prova dell’incuria nel maneggiare le opere.

Questa battaglia di immagini ha ovviamente poco a che fare con la tutela dell’arte. In questo modo UFFIZI IN PASSEIER evidenzia anche come fino al giorno d’oggi all’arte venga attribuito un grandissimo significato.
Infine, vi parlerò di un'altra foto del 1944. Mostra delle ombre scure sulle pareti degli Uffizi: durante la guerra nel famoso museo d’arte erano venute meno alcune delle opere. E con esse una parte del patrimonio culturale italiano. Potreste ora chiedervi cosa faccia parte del patrimonio culturale italiano e cosa no? Se un patrimonio culturale appartenga a un solo Stato - o a tutti noi? Oppure potreste chiedervi cosa sarebbe successo, se le opere d’arte non fossero state restituite. Se fossero diventate patrimonio culturale di altri? Sarebbe rimasta l’amarezza, perché il ricordo delle opere d’arte rubate non si cancella. Sarebbe rimasta un’ombra.

Per molto tempo la storia di UFFIZI IN PASSEIER è stata dimenticata. Ha vissuto un'esistenza nell'ombra. Può darsi che sia solo una storia secondaria nella grande storia della Seconda guerra mondiale. La mostra UFFIZI IN PASSEIER mira a farla uscire dall'ombra e a riportarla alla luce.

 

MOSTRA
UFFIZI IN PASSEIER è da vedere fino 1 novembre 2020 5 settembre 2021 in Le Gallerie di Piedicastello (Fondazione Museo storico del Trentino)

RASSEGNA STAMPA
Conferenza stampa (30.06.2020)
Il Dolomiti (30.06.2020)
Alto Adige Trentino (01.07.2020) di Katja Casagrande
The Journal of Cultural Heritage Crime (23.07.2020) di Nadia Pedot
HistoryLab (22.10.2020)

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Wer schützt Kunst im Krieg?

Den weltberühmten Uffizien fehlte im Zweiten Weltkrieg ihre Kunst. Ein Teil lagerte ausgerechnet im Passeier.

 

Foto: MuseumPasseier

Menschen ziehen in den Weltkrieg, um Kunst zu schützen? Das scheint abwegig und notwendig zugleich. Ein Blick auf die neue Sonderausstellung, die davon erzählt, wie 293 Kunstwerken aus Florenz nach Passeier und abwechselnd in die Hände zweier Kunstschutz-Einheiten gelangt sind.

 

Von Judith Schwarz

 
 

Eine Ausstellung über den Krieg ist normalerweise nie eine schöne Sache. Unsere neue Sonderausstellung handelt von Krieg, aber auch von Kunst. Sie erzählt, wie die Schönheit der Kunst und die Schrecken des Krieges sich überkreuzen. Als wir mit der Planung der Ausstellung begonnen haben, wussten wir drei Dinge:

Es wird eine Ausstellung ohne Originale.
Damit beantworte ich jetzt schon jene Frage, die wir in den letzten Wochen am Häufigsten zu Ohren bekommen haben: Und, kriegt ihr Leihgaben aus den Uffizien?

Es wird eine Ausstellung ohne Passeirer*innen in der Hauptrolle.
Der Rahmen für diese Ausstellung ist ein viel Größerer als Passeier.  

Es wird eine Ausstellung ohne klare Beweise.
Und auch die große Frage „Wurden die Kunstwerke in Südtirol versteckt, um sie später nach Deutschland zu bringen?“ müssen wir unbeantwortet lassen.

Warum haben wir diese Ausstellung dann überhaupt gemacht?
Einmal, weil die Geschichte fast unglaublich ist: 293 Meisterwerke aus dem Palazzo Pitti und den Uffizien werden im Zweiten Weltkrieg ein knappes Jahr lang in St. Leonhard in Passeier gebunkert! Was aber noch unglaublicher ist: Die Passeirer*innen hatten die Geschichte beinah vergessen. Wer in Passeier wusste vor der Ausstellungseröffnung etwas davon? Eine großteils unbekannte Geschichte erzählen, war also ein Grund. Ein weiterer Grund war, dass wir – passend zu dieser geheimnisvollen Story – einen noch viel passenderen Ausstellungsraum haben: Nämlich die verborgenen dunklen Kellerräume beim Sandwirt, die schon viel zu lange keine Ausstellung mehr gesehen haben. Sie sind ideal, um eine Lagersituation zu inszenieren. Der Hauptgrund aber war, dass wir von der Geschichte gefesselt waren, sobald wir davon gehört haben. Es geht um ein Gerangel um weltberühmte Gemälde, die im Zweiten Weltkrieg nach Südtirol kamen und – durch Zufall – in Passeier gelandet sind. Es geht um Botticellis, Cranachs, Caravaggios: Adolf Hitler hätte sie gerne als Geburtstagsgeschenk gehabt, ein SS-General benutzte sie für Kapitulationsverhandlungen und der US-Geheimdienst fahndete nach ihnen.

Lauter aufregende Geschichten tauchten da plötzlich auf.
Und die Spannendste, fanden wir, ist eigentlich jene über den Kunstschutz selbst: Im Italien stehen sich ab 1943 nämlich nicht nur alliierte und deutsche Militärs gegenüber, sondern auch deren Kunstschutz-Teams. Auf deutscher Seite ist das der DEUTSCHE MILITÄRISCHE KUNSTSCHUTZ. Auf alliierter Seite die FINE ARTS SUBCOMMISSION. Beide Teams haben jedoch dasselbe Ziel: Die Kunstschätze im besetzen Italien zu erhalten – und den Feind als Kulturbarbaren zu denunzieren. 

Die Botschaft auf amerikanischer Seite lautete:

BÖSE DEUTSCHE STEHLEN KUNST,
GUTE AMERIKANER RETTEN KUNST.

Auf der deutschen Seite klang das dann ungefähr so:

BÖSE AMERIKANER BOMBARDIEREN KUNST,
GUTE DEUTSCHE VERSTECKEN SIE DESHALB.

Damit hatten wir einen roten Faden für die Ausstellung gefunden – und damit bin ich beim Ausstellungskonzept: Wir erzählen die Geschichte aus drei verschiedenen Perspektiven in drei verschiedenen Räumen.

Der erste Raum

erzählt über den DEUTSCHEN MILITÄRISCHEN KUNSTSCHUTZ, der die Kunstwerke aus dem Frontabschnitt um Florenz rettet und nach Südtirol bringt.

Der zweite Raum

berichtet über die amerikanische FINE ARTS SUBCOMMISSION, die die Kunstwerke – zehn Monate später – aus den Händen der Deutschen rettet, und zurück nach Florenz bringt.

Der dritte Raum

informiert über die faschistischen Behörden, die natürlich zehn Monate lang ihre abhanden gekommenen Schätze zurückfordern, aber ohne Erfolg.

Und die Passeirer*innen? Die waren in diesem Stück nur Statist*innen.
Da ist der Feldbauern-Schneider aus St. Martin, der mehrmals über die Liertner Dorfbrücke humpeln musste, damit die Amerikaner einen authentischen Film über das Passeirer Kunstversteck drehen können. Da sind die Bauerntölpel – sie wurden wirklich so bezeichnet – die beim Umstellen der großformatigen Bilder helfen sollten – und angeblich mit den Originalen umgingen wie mit ihren Kühen. Da sind die zwei Zimmerleute, die im Theisstadl 109 Kisten gezimmert haben, in denen die Kunstwerke mit dem Zug zurück nach Florenz gebracht wurden. Und da sind die Kinder, die staunend beim Abladen der Gemälde zuschauten.

Eines dieser Kinder, Bruno Pichler (*1936) aus St. Leonhard, erinnert sich heute noch an die Amerikaner.
Er durfte mit ihnen und den Kunstwerken (aber letztere haben den Neunjährigen damals nicht interessiert) mit nach Meran fahren. Bruno ist in der Ausstellung die einzige Passeirer Stimme, die zu Wort kommt – seine erzählten Erinnerungen begleiten den Stummfilm der Amerikaner von 1945.

Was wird man noch in der Ausstellung finden?
Einige Kunstwerke, Reproduktionen, die man hier in Passeier so nah erleben und berühren kann, wie vor über 70 Jahren die Kunstschutzleute. Einige Zitate, die den Blick öffnen sollen für die Frage: Was bedeutet Krieg eigentlich für Kunstwerke? Wer schützt Kunst im Krieg? Oder auch: Wem gehört eigentlich Weltkulturerbe? Einige Schreibtische, die ganz private Einblicke geben: Welche Schwierigkeiten hatten die Beteiligten zu bewältigen, welche Erlebnisse haben sie niedergeschrieben, wie sind sie mit der großen Verantwortung umgegangen? Egal ob es ein Schreibtisch im deutschen, im italienischen oder im amerikanischen Ausstellungsraum ist – in allen Briefen oder Tagebucheintragungen klingt die eine Sorge, die eine Aufgabe, der eine Wunsch durch: Die Kunstwerke sollen erhalten bleiben.

Meine Wünsche sind:
Besichtigt die Ausstellung, vergesst danach zu fragen, wer denn jetzt die Guten waren und wer die Bösewichte, denkt in Zukunft beim Anblick von Botticellis, Cranachs und Caravaggios an das Passeier und bekommt Lust, die erhaltenen „Passeirer Gemälde“ in den Uffizien in Florenz zu besuchen.

 

PRESSEARTIKEL
DIE BAZ: Botticelli in Passeier von Josef Prantl (28.08.2018)
Passeirer Blatt: Sonderausstellung “Uffizi in Passeier” eröffnet von Kurt Gufler (Oktober 2018)

UPDATES
Am 1.1.2019 rief der Direktor der Uffizien Deutschland in einem Video dazu auf, das Gemälde “Vaso di fiori” von Jan Van Huysum zurückzugeben. Auf dem Video ist die Schwarz-Weiß-Reproduktion des Blumenbildes mit der Aufschrift rubato/gestohlen/stolen zu sehen. Sie soll auf das fehlende (1944 von einem Wehrmachtsoldaten nach Deutschland verschleppte) Originalgemälde aufmerksam machen. Das Video erhielt großes Echo und wurde nicht nur von Medien in Italien und Deutschland veröffentlicht, sondern auch in Kuba, Holland, Argentinien, Großbritannien, den Vereinigten Staaten, Israel usw. In vielen Medien wurde fälschlicherweise behauptet, das Gemälde habe sich 1944 auf der Jaufenburg in Passeier befunden, bevor es verschwunden sei.

Am 19.7.2019 wurde das Originalgemälde von der Bundesrepublik Deutschland an die Italienische Republik zurückgegeben und mit der Reproduktion ausgetauscht.

Im Juni 2020 erhielt die Sonderausstellung “Uffizi in Passeier” ein zweites Leben: Sie wurde abgebaut, umgebaut und kam nach Le Gallerie in Trient. Unter anderem ist jetzt in der Ausstellung eine Kopie der Reproduktion des “Vaso di fiori” zu sehen.

 
 
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Uffizi in Passeier

Eine fast vergessene Geschichte über Caravaggios und Botticellis in Passeier. Als Sonderausstellung.

Auch die zwei Altartafeln „Adam“ und „Eva“ von Lukas Cranach überstanden den Krieg in Passeier. Als Reproduktionen kehren sie für die Sonderausstellung UFFIZI IN PASSEIER zurück. Foto: Judith Schwarz für MuseumPasseier

 

Die Sonderausstellung widmet sich einer unglaublichen, aber dennoch fast vergessenen Geschichte, die zu ihrer Zeit die Deutsche Wehrmacht, Mussolinis faschistische Behörden und die US-Army mehr als bewegte. Es geht um Gemälde von unschätzbarem Wert, die während des Zweiten Weltkrieges in St. Leonhard in Passeier gelagert waren.

Von Judith Schwarz

 

Warum und wie kommen die Kunstwerke nach Südtirol? Warum hat man Passeier als Kunstdepot ausgewählt? Welche Meisterwerke waren darunter? Und: War es womöglich ein verschleierter Kunstraub? Ausgehend von diesen ersten Fragen rekonstruiert die Ausstellung die außergewöhnliche Episode, bei der sich Lokalgeschichte und Meisterwerke von Weltruhm verstricken.

Lokale Geschichte verstrickt sich mit wichtigen Ereignissen (und Kunstwerken) der Weltgeschichte: Die Sonderausstellung des MuseumPasseier handelt von einer unglaublichen und dennoch beinahe vergessenen Geschichte.
Foto: Ursula Ringler/ Casa Siviero, Firenze

Zeitgenössische Foto- und Filmaufnahmen versetzen die Besucher*innen ins provisorische Passeirer Kunstlager vor 70 Jahren, die gewölbten Kellerräume des Sandwirts sind hierfür die perfekte Ausstellungskulisse. Sie ähneln den Räumen des alten Gerichtsgebäudes in St. Leonhard, in denen am Ende des zweiten Weltkrieges 293 Gemälde aus den weltberühmten Uffizien und anderen Florentiner Museen rund zehn Monate lagerten.

Neben der Inszenierung des ehemaligen Kunstlagers mit Meisterwerken von Cranch bis Botticelli – drei Gemälde sind in Originalgröße reproduziert – bilden plakative grafische Elemente weitere optische Hingucker in der 150m2 großen Ausstellung.

Im Zentrum stehen jedoch die verschiedenen Perspektiven, die in drei Ausstellungsräumen mit den darin dargestellten Akteuren wechseln: Die Behörden im faschistischen Italien fordern ihre abhanden gekommenen Schätze zurück, die deutsche Militärverwaltung verteidigt ihren Kunsttransport als Rettungsaktion, die US-Army unterstreicht ihre professionelle Arbeit bei der erfolgreichen Rückführung der Meisterwerke nach Florenz.

Die Ausstellung nutzt drei Räume für drei verschiedene Perspektiven: In einem steht das frisch verheiratete Ehepaar Josef und Ursula Ringler im Zentrum. Er beaufsichtigt die Kunstwerke als Denkmalschutzbeauftragter, sie ist für die Fotodokumentation zuständig. Bildnachweis: Christof Ringler, Wien

Der amerikanische Kunstschutzoffizier Deane Keller (li.) mit seinem Chauffeur und Fotograf Charles Bernholz an einer Kehre zum Jaufenpass. Foto: Frederick Hartt. Fotonachweis: Eric Bernholz, New York

Anhand von Auszügen aus Akten, Briefen und Tagebüchern nähern sich die Ausstellungsmacher*innen den damals beteiligten Personen an – inszenierte Schreibtische mit offizieller und privater Korrespondenz legen Augenmerk auf die zu bewältigenden Schwierigkeiten, die besonderen Erlebnisse und die unvorstellbare Verantwortung im Umgang mit den Kunstwerken von Weltruhm.

UFFIZI IN PASSEIER handelt von einem provisorischen Kunstdepot in St. Leonhard, in dem vor über 70 Jahren Meisterwerke im Wert von etlichen Millionen gelagert waren. In vielen zeitgenössischen Dokumenten klingt die eine große Sorge durch: Werden die Kunstwerke erhalten bleiben? Fotonachweis: National Archives, Washington

So werden in der dreisprachig gehaltenen Ausstellung dank dieser Rahmengeschichten auch andere Fragen in den Mittelpunkt gerückt: Was bedeutet Krieg für Kunstwerke? Wer kümmert sich in Kriegszeiten um Kunst? Wem gehört Weltkulturerbe?

„Kinder und Greise und einmal sogar eine Kuhherde schauten zu, wie da die höchste Kunst enthüllt wurde!“, so berichtet eine Zeitzeugin über die Ankunft der Florentiner Meisterwerke vor dem alten Gerichtsgebäude (heute Forststation) in St. Leonhard in Passeier. Foto: Ursula Ringler. Fotonachweis: British School at Rome

Chronologie der Ereignisse

07/43
Die Alliierten landen auf Sizilien. Italien befürchtet einen Luftkrieg und leert seine Museen.
Die Kunstschätze von Florenz werden in Kirchen, Schlössern und Villen der Umgebung gebunkert.

06/44
Die Front steht südlich von Florenz.
Die faschistische Regierung will die Kunstwerke nach Norden verlagern, aber das Risiko ist ihr zu groß.

07/44
Der Krieg erreicht Florenz.
Auf Sonderbefehl der Wehrmacht räumt der Deutsche Kunstschutz die Depots. Und fährt gen Norden.

08/44
Die Alliierten besetzen die Stadt.
Die Kunstwerke erreichen Südtirol und werden in St. Leonhard in Passeier und Sand in Taufers untergebracht.

02/45
Das Kriegsende nähert sich. Der General der deutschen Wehrmacht in Italien verhandelt mit den Alliierten über einen Separatfrieden.
Italienische Partisanen helfen dem US-Geheimdienst bei der Suche nach den Kunstdepots.

05/45
Die deutsche Wehrmacht in Italien kapituliert. Amerikanische Truppen übernehmen die Verwaltung in Südtirol.
Der DEUTSCHE MILITÄRISCHE KUNSTSCHUTZ übergibt die Kunstwerke den Alliierten.

07/45
Die US-Army bringt die Kunstwerke mit dem Zug nach Florenz zurück.

Die Ausstellung “Uffizi in Passeier. Wer schützt Kunst im Krieg?” wird am Samstag, den 22.9.2018 eröffnet und ist zu den Öffnungszeiten des MuseumPasseier zugänglich.

Sonderausstellung
Uffizi in Passeier. Wer schützt Kunst im Krieg?
22. September 2018 – 31. Oktober 2019

Planungsteam  
Judith Schwarz (MuseumPasseier): Ausstellungskonzept, Texte
Albert Pinggera (design.buero): Ausstellungskonzept, Design

Finanzierung
Abteilung Museen der Provinz Bozen
Gemeinden von Passeier

Wir danken
Für die Bereitstellung der Kellerräume: Tiroler Matrikelstiftung, Innsbruck
Für Fotografien und Informationen: Artothek, Weilheim / Bernholz Eric, New York / British School at Rome / Botticini Nando, Meran / Casa Rodolfo Siviero, Firenze / Centro di Ateneo per la Storia della Resistenza, Padova / Consolati Stefano, Bozen / Franchi Elena, Trento / Institut für Zeitgeschichte München - Berlin / Keller William, West Newbury, Massachusetts / Manuscripts and Archives Yale University Library / Monument Men Foundation, Dallas Texas / National Archives, Washington / National Gallery of Art, Washington / Pichler Bruno, St. Leonhard / Ringler Christof, Wien / Ringler Jakob, Innsbruck / Schwazer Heinrich, Bozen / von Lingen Kerstin, Heidelberg
Für Leihgaben: Righi Karl, St. Leonhard / Schreibmaschinenmuseum Peter Mitterhofer, Partschins

 
 
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Die Schildhöfe: Richtig oder falsch?

Ihr Kennzeichen sind die Türme und Mussolinis Geliebte lebte auf einem. Stimmt das wirklich?

Anlässlich des Jubiläums 700 Jahre Schildhöfe Passeier arbeitete das Museum deren lange und verworrene Geschichte von 1317 bis 2017 in einer Publikation auf. Eine Auswahl an sieben Fragen und Antworten aus dem neuen Buch.

Von MuseumPasseier

 

Es war einmal die Idee zu einem Fragenbuch über die Schildhöfe in Passeier. Also haben wir die Leute gefragt „Was wollt ihr über die Schildhöfe wissen?“. Und wir haben die Schildhöfler gefragt „Was wisst ihr noch nicht über die Schildhöfler?“. Zusammengekommen sind 136 Fragen, von denen es knapp die Hälfte in die Publikation geschafft haben. Die haben es allerdings in sich, denn sie werden begleitet von Fotografien, Illustrationen oder sogar Bildergeschichten. Einige Fragen sind Richtig-oder-falsch-Fragen. Sieben davon gibt es hier zum Testen:

  • Falsch! Schildlehen und Schildhöfe sind im 14. und 15. Jahrhundert auch in anderen Landstrichen Tirols nachzuweisen: Schiltherrn zu Kunigsperg (Königsberg/Montereale, bei San Michele) bzw. acht oder zehen nachpawrn mit freyen schiltlehen bei der Burg Belasi im Nonsberg. In Kronmetz (Deutschmetz/ Mezzocorona) ist der Suntaghof mehrfach als Schildhof belegt.

  • Richtig! Wir dürfen uns allerdings von unserem modernen Wortverständnis nicht irreleiten lassen. Der Kellner oder Kellerer (lat. caniparius, von canipa = Keller) hatte nichts mit der Gastronomie zu tun. Vielmehr war er der Verwalter des landesfürstlichen Kellers und der dafür bestimmten Naturalabgaben.

  • Falsch, nicht alle hatten eine turmartige Baugestalt. Als mittelalterliche Wohntürme zeigten sich die Höfe am Eingang in das Passeier, nämlich Saltaus, Baumkirch und Lanthaler. Auch für Granstein und Gereut soll ein Turm überliefert sein. Der Rundturm von Steinhaus entstand erst in spätgotischer Zeit, vorher war Steinhaus nie turmförmig gestaltet, genauso wenig wie der Kolberhof und Gomion. Ihr mittelalterlicher Baukern hatte einen einfachen quadratischen oder rechteckigen Grundriss und reichte nur über zwei Geschoße. Somit unterschieden sie sich nicht von der restlichen dörflichen Bauweise. Die Frage kann also ganz klar mit nein beantwortet werden.

  • Falsch! Der Steuerkataster von 1694 führt die Jaufenburg ebensowenig als Schildhof wie der Grundsteuerkataster von 1777/78. Bereits ein im Marienberger Archiv verwahrtes Gutachten von 1598 vermerkt ausdrücklich: das schlosß Jaufenburg wirdet nit fir ain schilthof verlichen, sunder wirdet in lechen prieff genanndt de vessten am antrit des Jauffens, das ist nun merer als ain gemainer schilthoff. Lediglich eine Denkschrift des Passeirer Gerichtsanwalts Hans Kofler von 1723 rechnet Jauffenburg zu den Schildhöfen. Jaufenburg steht letztlich aber für den Schildhof Widersicht, wie sich einem Akt zum Fischereirecht der Schildhöfe von 1756 entnehmen lässt, wo vom Schild-Hof Widersicht oder Schloß Jaufenburg die Rede ist.

  • Dies ist zwar nicht auszuschließen, aber eher unwahrscheinlich. Auch scheint die topographische Lage einiger Schildhöfe hierfür wenig geeignet. In Tirol gab es bereits im 15. Jahrhundert Signalfeuer, um den militärischen Zuzug aufzubieten. Der Ausdruck Kreid(en)feuer hierfür taucht erstmals 1487 in Bozen aus. Der Begriff kommt wohl vom Lateinischen quiritare, einen Hilferuf erschallen lassen (vgl. ital. gridare). 1505 waren die Burgfrieder von Schloss Tirol angehalten, bei Kriegsgefahr mit Mannschaft bei den kreidfeurn zu sein. Nach dem Landlibell von 1511 erfolgte die Alarmierung nicht durch Feuersignale, sondern mittels Glockenstreich (gloggenstraich). Die gedruckte Tiroler Kreidfeuerordnung von 1647 kennt keinen Punkt in Passeier, an dem bei „gemeinem Landalarm“ ein Warnfeuer entzündet worden wäre. Diese waren vielmehr auf die am stärksten gefährdeten Einfalllinien konzentriert. Die Punkte, die Passeier räumlich am nächsten lagen, waren Rabland, Schloss Tirol und St. Hippolyt bei Tisens. Das Alarmsystem mittels Kreidfeuern wurde in Tirol mit der Zuzugsordnung von 1714 abgeschafft und durch Meldereiter ersetzt.

  • Richtig! Eine Gruppe von Fachleuten erstellte Anfang der 1940er Jahre im Auftrag der “Arbeitsgemeinschaft der Optanten” (AdO) Grundrisse, Schnitte und Ansichten von „nicht verpflanzbaren“ Bauernhöfen in Südtirol. Unter unvorstellbarem zeitlichem und personellem Arbeitsaufwand wurden vom Lageplan der Höfe bis hin zu aussagekräftigen Details zahllose bauliche Situationen festgehalten. Die Pläne waren gedacht als Basis für die Aufbauarbeit eines geschlossenen Siedlungsgebietes in der neuen Heimat, was sich aufgrund der politischen Ereignisse aber erübrigte. Auch der Bauzustand der Schildhöfe Baumkirch, Steinhaus und Psairer wurden zu diesem Zweck von der AdO dokumentiert.

  • Richtig, allerdings nicht in Passeier! Um 1907 ließ Gräfin Erdödy aus Ungarn in der Haslergasse (heute Naifweg) in Meran/Obermais einen Ansitz erbauen und nannte ihn Schildhof, wahrscheinlich in Anlehnung an die Passeirer Schildhöfe. 1943 erwarb Marcello Petacci die Villa und zog mit seiner Familie ein. Auch seine Schwester Claretta Petacci lebte kurzzeitig auf dem Schildhof, bevor sie - die Geliebte Benito Mussolinis - an den Gardasee übersiedelte und 1945 ermordet und neben der Leiche Mussolinis kopfüber aufgehängt wurde.

 

Mehr Fragen und Antworten im Buch:
MuseumPasseier (Hrsg.): Die Schildhöfe in Passeier. verlag.Passeier 2017. 180 Seiten, 17 Euro. ISBN 978-88-89474-242.

 
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Ein Himmel für Helden

Das Museum widmet sich einem für ein Talmuseum überraschenden Thema.

Foto: MuseumPasseier

Wie wird aus der Saga eines angestaubten Volkshelden des 19. Jahrhunderts ein Museum für das 21. Jahrhundert?

Von Josef Rohrer

 

Der Sandhof ist für Tiroler Patrioten ein ehrwürdiger Ort. Hier kam Andreas Hofer zur Welt. Hier zwang das Schicksal ihn in die Rolle des David, der dem Goliath Napoleon die Stirn bieten musste. Hier in der Nähe, von Gott, Kaiser und Vaterland verlassen, nahmen französische Soldaten ihn nach der gescheiterten Rebellion von 1809 gefangen. In der Folge entwickelte sich der Sandhof zur Pilgerstätte. In einem kleinen Gedenkraum waren einige Hofer-Objekte zu sehen. An seinem Todestag halten Schützen vor einer Hofer-Kapelle traditionsgemäß Gedenkfeiern ab.

Das museale Potenzial dieses Ortes blieb aber überraschend lange ungenützt.
Erst 1995 entstand ein Verein mit dem Ziel, am Sandhof ein Talmuseum einzurichten. Nebenan auf einer Wiese wurden historische Gebäude, anderswo vom Abriss bedroht, zu einem für Passeier typischen Haufenhof vereint. In der Scheune des Sandhofs fand 2001 eine Sammlung volkskundlicher Objekte ihren Platz, und im ehemaligen Stall eröffnete ein kleines Hofer-Museum, bestehend aus reich bestückten Vitrinen.

Ein erstes Zugeständnis an die sich ändernden Sehgewohnheiten: Ein Film von knapp 20 Minuten erzählt mit feiner Ironie und teils schräger Animationstechnik Hofers Leben. (Stramme Patrioten kritisierten den Film umgehend als Frechheit.) Zwei Außenstellen – ein kleines Almmuseum in einem Seitental und eine Ausstellung über die Talgeschichte in der oberhalb von St. Leonhard stehenden Jaufenburg – unterstrichen die auf das Tal konzentrierte Ausrichtung des Museums.

Dann kam 2009.
Tirol gedachte ein ganzes Jahr lang mit viel Tamtam der Rebellion 200 Jahren zuvor. Eine gute Gelegenheit, Politik und Wirtschaft außertourlich um Geld anzugehen. Der Museumsverein erreichte für seine Hofer-Sektion einen unterirdischen Zubau mit rund 500 Quadratmetern Ausstellungsfläche. Darauf sollte laut Grobkonzept „frei von übertriebenem Patriotismus und auch aus der Sicht der ehemaligen Feinde“ aufgezeigt werden, wie es zu den Aufständen gekommen war. Die Basis lieferten Historiker*innen aus mehreren Ländern, die den neuesten Stand der Geschichtsforschung zusammenfassten. Für die Umsetzung ließ Albin Pixner, der überaus rührige Präsident des Museumsvereins, mutig einem kleinen Team freie Hand (dem Passeirer Grafiker Albert Pinggera, der Schweizerin Marina Morard und dem früheren Journalisten Josef Rohrer). Dieses nutzte den Freiraum und ging weit über das ursprüngliche Konzept einer Darstellung der geschichtlichen Ereignisse hinaus.

„Für Helden gilt die umgekehrte Perspektive: sie werden immer kleiner, je näher man ihnen kommt.“
Zitate wie dieses lassen bereits am Eingang erahnen, dass auf diesem Museumsparcours keine Huldigung an den bärtigen Volkshelden zu erwarten ist, sondern eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Heldenkult im Allgemeinen. Dass Andreas Hofer zwar im Zentrum steht, letztlich aber nur ein Beispiel ist (daher der Titel „Helden & Hofer“), zeigt am Eingang auch ein Videoclip mit Posen heutiger Helden, unterlegt mit einem Hit von David Bowie. „We can be heroes just for one day“, lautet eine Textzeile.

Der bereits erwähnte, mit einem neuen Schluss versehene Hofer-Film ist nun fester Bestandteil des Parcours und führt in die Vita Hofers ein. Wenn nach dem letzten Schuss des Exekutionskommandos zu Mantua die Projektionsfläche zur Seite rollt und den Weg freimacht für die folgenden Räume, fragt jetzt die Erzählstimme, was aus Hofer wohl geworden wäre, hätte Napoleon ihn damals begnadigt. Mit Sicherheit kein Held. Denn einer wie er musste dramatisch sterben, damit er als Held weiterleben konnte. Eine Relativierung seiner Rolle und Vorgriff auf den letzten Teil des Rundganges, der die posthume Herrichtung Hofers zum Heroen zeigt.

Die Besucher erleben erst einmal lebendig aufbereitete Geschichte. Auf einer interaktiven Karte können sie beobachten, wie sich als Folge der Napoleonischen Kriege die Grenzen verschoben, wie Tirol von Österreich abgetrennt und zu dem mit Napoleon verbündeten Bayern geschlagen wurde. Zwei Welten stießen in der Folge aneinander: Hier das bäuerliche, verschlossene, von Aberglauben durchzogene Tirol, dort das aufgeklärte Bayern, dessen König nach französischem Vorbild einen modernen Staat formen wollte. In einer Trennwand – helle, weiche Farben im Stil des Empire auf der einen Seite, dumpfes Halbdunkel einer Bauernstube auf der anderen – sind kleine Texttafeln integriert. Um ihre Achse drehbar, enthalten sie auf der einen Seite die Begründung für die bayerischen Reformen, auf der anderen Seite die Wirkung dieser Reformen auf die Tiroler. Das gegenseitige Unverständnis ist greifbar.

Die näselnde Stimme von Robert Palfrader (Wir sind Kaiser) lässt den Erzherzog Johann lebendig werden. Johann hatte leichtes Spiel, die wütenden Tiroler zur Rebellion gegen Napoleon und seine bayerischen Vasallen zu überreden. Die österreichische Armee, so versprach er in einem historisch belegten Aufruf, würde ihnen zu Hilfe kommen. Die gleiche Stimme ist später noch einmal zu hören: In einem inneren Monolog des Erzherzogs, als er den Tirolern schreiben muss, der Kaiser habe allen Beteuerungen zum Trotz mit Napoleon Frieden schließen und auf Tirol verzichten müssen. Trotz des schwierigen Umgangs mit gleich vier Sprachen nutzt das Museum intensiv das Audio. So kommen in Hörstationen entlang des Parcours vier zentrale Frauentypen zu Wort. Sie bringen eine weibliche Sichtweise in die fast nur maskuline Rezeption von Anno 1809 ein.

Eines der bekannteren Gemälde von Albin Egger-Lienz zeigt den voran stürmenden Pater Haspinger, ein Kreuz wie eine Gefechtsfahne emporgestreckt, Tiroler Bauern mit Beilen und Dreschflegeln hinterdrein. Für das Museum wurde es als raumfüllendes Holzrelief ausgearbeitet. Mit ihrer Guerrilla-Taktik, gestärkt von blindem Gottvertrauen, haben die Tiroler den ortsunkundigen Truppen Napoleons einige Zeit das Fürchten gelehrt. Den von Andreas Hofer kommandierten Rebellen gelangen einige spektakuläre Siege. Zuletzt am Bergisel. Hofer zog als Landeshauptmann in Innsbruck sein. Seine bizarre Regentschaft dauerte gerade mal zwei Monate.

Die Besucher finden sich in einem Labyrinth wieder und erleben, wie es Hofer zuletzt wohl ergangen sein muss.
Von Wien lange im Unklaren gelassen über den bereits vereinbarten Frieden, daher Opfer von sich widersprechenden Gerüchten, wusste er bald nicht mehr ein noch aus. Die einen versuchten, ihn zum Aufgeben zu überreden, andere zwangen ihn, den aussichtslosen Kampf weiterzuführen. Hofer, ein Zerrissener, ein Zweifler.

Trotz des Scheiterns wurde seine Rebellion später zur Heldengeschichte umgedeutet.
Das wachsende Nationalgefühl des 19. Jahrhunderts brauchte Symbole, und die Tiroler, aber auch deutsche und englische Romantiker, fanden sie in dem bärtigen einfachen Mann, der sich für seine Überzeugung mit einer Großmacht anlegte. Den Mechanismen der Heldenproduktion ist das letzte Drittel des Parcours gewidmet. Mit Hilfe der Medien, bei Hofer vor allem Literatur, Malerei, Musik und Bildhauerei, entstand eine heroische Figur, die sich für vielerlei gebrauchen ließ: als Werbung für Kriegsanleihen im Ersten Weltkrieg, als Testimonial für antiitalienische Kampagnen, als Logo für Schnaps und Speck. Helden werden übernatürliche Kräfte zugesprochen. Gegen ihre Vereinnahmung aber sind sie machtlos.

Andreas Hofer ist wenigstens eines erspart geblieben: Viele der Figuren aus der ständigen Heldenproduktion fallen, kaum auf dem Sockel angelangt, schon wieder in Vergessenheit. Hofer dagegen ist auch nach 200 Jahren noch erstaunlich präsent. Im letzten Raum des Museums, einem modernen Pantheon, steht er im Kreis mit Superman, Juri Gagarin, Nelson Mandela und anderen und versucht eine Antwort zu geben, warum jede Zeit und jede Region sich ihre Helden macht.

„Einfach fantastisch, wie aus einem abgedroschenen Thema etwas absolut Neues und Spektakuläres entsteht.“
Solche Kommentare stehen häufig im Gästebuch. Die Jury des European Museum Forum, für dessen Preis das MuseumPasseier 2012 nominiert war, lobte den interessanten Bogen von Hofer zu den Helden heutiger Zeit – „für die Besucher eine angenehme Überraschung am Ende eines abgelegenen Alpentales“.

Von den Reaktionen ermutigt, ging der Museumsverein 2013 noch einen großen Schritt weiter. Die Abteilung für Volkskunde wurde aus der Scheune des Sandhofs ausgelagert, um Platz zu schaffen für „Helden & Wir“, eine logische Ergänzung zu „Helden & Hofer“. Wir, das ist das Publikum im Allgemeinen in seiner Bewunderung für Helden, Stars und Vorbildern, die heute in scheinbar immer schnellerem Tempo von der Medienmaschinerie hervorgebracht werden. Wieder gab es außerordentlich viel Freiheit für das Gestalterteam (den grafischen Part bei diesem Projekt spielte Gruppe Gut, Bozen). Es nutzte die große Raumhöhe der ehemaligen Scheune und hängte sechs große Konusse in den Giebel – Symbol für die Lichtkegel, in denen Helden und Stars für gewöhnlich stehen. Ihre Position im Giebel zwingt zum Aufschauen.

Jeder Lichtkegel handelt von einer Facette des komplexen Themas der Heldenverehrung: Was unterscheidet Helden von Stars, und wer ist auch ein Vorbild? Woher rührt Courage? Und wofür stehen eigentlich diese Figuren, zu denen wir aufschauen? Philosophische Fragen, auf die „Helden & Wir“ keine Antworten präsentiert. Die wenigen Texte in der Ausstellung versuchen vielmehr, die Besucher zur Reflexion über ihre eigenen Helden- und Vorbilder anzuregen. Das Wesentliche soll im Kopf passieren. Passend dazu hat das Museum spezielle Materialien für Schulen aufgelegt, die das Hinterfragen von Vorbildern in den Unterricht einbauen.

Als Ausgleich zur Kopflastigkeit sammelt das Museum persönliche Objekte heutiger Stars und Helden.
Von Hermann Maier zum Beispiel ist bis auf Weiteres ein Ski zu sehen, den er bei seinem legendären Sturz in der Kombi-Abfahrt von Nagano getragen hat, vom Dalai Lama eine kleine Gebetsmühle und von dem in Südtirol als Sporthelden gefeierten Geher Alex Schwazer ein Paar Turnschuhe, in denen er in Peking olympisches Gold über 50 Kilometer gewann. Dass Schwazer dann vor den Spielen in London wegen Doping gesperrt wurde, zeigt die Brüchigkeit vieler Heldenbilder.

Als nächstes steht am Sandhof ein neues Konzept für die Volkskunde an. Damit dem Tal in diesem Talmuseum von all den Helden nicht ganz die Show gestohlen wird.


Der Artikel ist erschienen in:
Neues Museum 14-1, Graz: S. 14-18, Ein Himmel für Helden

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Abenteuer Jaufenstraße

Die Sonderausstellung erzählt vom strenghen Perg und über die Zeit der ersten Automobile im Passeier.

Bis vor kurzem war Besucher*innen der Zutritt in den Sandwirtskeller verwehrt. Seit Juni dieses Jahres präsentiert sich hier die Sonderausstellung „Abenteuer Jaufenstraße 1912-2012“.

Von Albin Pixner

 

Eingangs sehen wir, wie Reisende aus vergangenen Zeiten den Jaufen gesehen haben. So schreibt ein deutscher Maler, er habe auf Händen und Füßen kriechen müssen, ein Schriftsteller berichtet von einem Bärenwetter und wieder andere lamentieren über den schrecklichen Weg und die Riesenbollwerke aus Felsen. Übrigens: Während wir heute mit dem Auto bequem in 45 Minuten von St. Leonhard nach Sterzing gelangen, berichten diese Quellen von 7 bis 8 Stunden Gehzeit.

Ein Passeirer fährt nicht.
Seit Urzeiten führte nur ein Saumweg über den Pass und der Verkehr wurde von Säumern und Kraxenträgern bestimmt, die Waren transportierten. Wie der alte Jaufenweg verlief, liegt teilweise immer noch im Dunkeln. Auf alle Fälle spricht man von vier Varianten des alten Jaufenweges, was die Nordseite betrifft. Ab St. Leonhard führten vermutlich zwei Wege bis nach Walten.

Die Passeirer waren seit jeher als Wanderhändler unterwegs, passend dazu auch der Spruch: „Ein Passeirer geht und trägt, aber er fährt nicht.“ Eine naheliegende Notwendigkeit, denn das Tal bot für die ärmliche Bevölkerung nur bedingt Lebensmittel und Arbeitsmöglichkeiten, verbindet aber das Burggrafenamt mit dem Inn- und oberen Eisacktal. Und lange Zeit konnten Waren zu Fuß oder mit Saumpferden rascher über den Jaufen befördert werden, als es der Straßenverkehr über Bozen imstande war.

Bärenstarke Kraxenträger
Die Passeirer Kraxenträger waren im alten Tirol bekannt. Auf ihren Kopfkraxen trugen sie Waren vom Burggrafenamt über den Jaufen ins Inntal und bis nach Bayern. Es gibt kaum eine Ware mit der Kraxenträger und Säumer nicht hausierten, von Salz, Obst, Getreide, Wein und Schnaps bis zu Vogelkäfigen, Geschirr, Uhren, Bildern und verbotenen Büchern. Auch wenn die Zölle oft umgangen wurden, blieb ihr Verdienst mehr als bescheiden. Ihre Lasten waren aber umso höher: Frauen trugen durchschnittlich bis zu 65 kg, Männer bis zu 85 kg auf dem Rücken. In Erzählungen und Anekdoten sind sie bisweilen zu Bärenkräften gekommen: So soll der große Ultner über 280 kg  getragen und die Lasten der anderen Träger auf sich genommen haben, so dass diese keinen Zoll zu zahlen brauchten.

Die Passeirer Säumer hingegen lieferten mit ihren Pferden Waren über den Jaufen und besorgten auch den Transport von Lebensmittel, Holz und Erzen für und vom Bergwerk Schneeberg in Hinterpasseier. Im Mittelalter waren die Passeirer Säumer die offiziellen Hoflieferanten für die Landesfürsten auf Schloss Tirol bzw. in Innsbruck. Im Gegenzug erhielten sie zahlreiche Privilegien. Die Bedeutung des Saumwesens zeigt sich auch daran, dass es in Passeier teilweise über 300 Pferde gab. Weil der Jaufen so „streng“, will heißen so beschwerlich war, erhielten die Passeirer im Mittelalter sogar ein besonderes Privileg vom Landesfürsten: Für fünf geladene Pferde wurden ihnen am Zolll nur vier berechnet. Ebenfalls im Mittelalter wurde auf der Passhöhe das Jaufenhaus errichtet, das für die Verpflegung und Unterbringung von Pilgernden und Reisenden zuständig war. Der Wirt am Jaufenhaus hatte unter anderem die Verpflichtung, abends und bei schlechten Wetter von der Passhöhe aus dreimal zu schreien und abzuwarten, ob er Hilferufe hört. Einige illustre Gäste sind über den Jaufen gereist, so zog Kaiser Ludwig von Brandenburg mit zahlreichem Gefolge über den Jaufen nach Meran. Dort fand die Hochzeit seines Sohnes mit der Landesfürstin Margarethe „Maultasch“ von Tirol statt. Der Bischof von Freising, der die Trauung vollziehen sollte, stürzte dabei auf dem Jaufen vom Pferd und starb.

Ab dem 15. Jahrhundert ging der Verkehr über den Jaufen zurück. Der Kunterweg durch die Eisackschlucht war zum Fahrweg ausgebaut worden, die Jaufenroute konnte damit weder finanziell noch zeitlich mithalten.

Zeitweise gab es sogar einen eigenen Postbotenlauf über den Jaufen. Die Jaufenpost konnte sich aber nicht lange halten. Kurios auch die Vermessung des Jaufens aus dem Jahre 1725. Ein gewisser Amandus Platter hatte von Hand (!) sämtliche Entfernungen, Brücken, Schranken (Geländer) und Firlegbamb gemessen und sogar die Schneestangen gezählt. Im 17. Jahrhundert verfiel der Jaufenweg zunehmend. Selbst gut gepflasterte Abschnitte waren teilweise zerstört, dass sie nur noch mit Mühe zu Fuß zu passieren waren. Der Passeirer hält jedes Künsteln am Wege als verlorene Liebesmüh, schreibt ein Zeitgenosse dazu treffend. Um 1830 versiegte der Saumhandel über den Jaufen. In der Folge ging der Umsatz der Wirtshäuser stark zurück. Die Anzahl der Pferde in Passeier fiel von 230 Tieren im 18. Jahrhundert auf elf Pferde um 1850. Viele Passeirer verloren ihre Einnahmequelle und fanden im Tal keine Arbeit mehr. In diese Zeit fiel auch der stärkste Bevölkerungsrückgang im Passeier.

Bereits 200 Jahre vor dem Bau der Jaufenstraße tauchten die ersten Pläne für eine Wagenstraße über den Jaufen auf.
Alle Pläne scheiterten aber an den Passeirern selbst. Sie brachten stets zahlreiche Gegenargumente vor – der Nutzen sei  nicht von Belang, der Verkehr könnte die Wiesen schädigen, durch eine Straße würden sich  Sittenverderbnis und Unglaube einschmuggeln .... Ihr Hauptgrund für den Widerstand war aber stets die Sorge vor den Baukosten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts drängte vor allem die Stadt Meran auf die Errichtung der Jaufenstraße, um für die Touristen bequemer erreichbar zu sein sowie den Gästen ein neues Ausflugsziel in der Umgebung anbieten zu können. Als die Passeirer dann endlich die Vorteile einer Straße erkannten, begannen die Streitigkeiten über die Beteiligung der Kosten sowie über den Straßenverlauf.

Leider haben wir keinerlei Notizen, Tagebuchaufzeichnungen oder Pläne vom Bau der Jaufenstraße.
Die einzigen Quellen sind die zeitgenössischen kurzen Berichte in den Lokalzeitungen. Sie erzählen von Felssprengungen, von über 900 Arbeitern, von Problemen wie brüchiges Gestein, rauhes Klima und Schwierigkeiten bei der Verpflegung und Unterbringung der Arbeiter. 1907 wird sogar von einer Demonstration berichtet, bei der die Arbeiter eine Lohnerhöhung erreichten. Obwohl zu Beginn mit der Fertigstellung im Jahr 1909 gerechnet worden war, konnte erst 1911 die erste Probefahrt gemacht werden. In dreieinhalb Stunden fuhren 11 Automobile von Meran nach Sterzing (heute benötigt man hierfür 2 Stunden weniger). Im Jahr darauf, am 15. Juni 1912 erfolgte auf dem Jaufenpass die offizielle feierliche Eröffnung der Jaufenstraße. Der Bau der Straße – 35 km lang und 5 m breit – hatte also acht Jahre gedauert und über 3.000 Kronen (das sind zirka 10 Mio. Euro) gekostet (diese Summe entsprach zwei Drittel mehr als veranschlagt).

Im Anschluss an die Eröffnung der Jaufenstraße wurde das Automobilverbot auf der Strecke Meran – St. Leonhard aufgehoben. Dagegen protestierten die Passeirer vergeblich wegen der großen Gefahr für Mensch und Tier. Ein Jahr nach der Eröffnung erhielt die Jaufenstraße eine Postautolinie. In den Sommermonaten verkehrte zweimal täglich ein Postauto mit 13 Sitzplätzen von Meran nach Sterzing und retour.

Lange Zeit fuhren auf der neuen Jaufenstraße noch zahlreiche Kutschen und Fuhrwerke.
Auch die  Stellwagen des Theis- und Stroblwirtes von St. Leonhard waren anfangs neben den Postautos im Einsatz. Die Stadt Meran organisierte Gesellschaftsausflüge für Einheimische und Gäste. Zeitungen und Werbebroschüren beschrieben die Straße als eine der schönsten Hochalpenstraßen, als eine Kunststraße mitten über die Berge. Im ersten Sommer wurden knapp 570 Automobile über den Jaufen gezählt. Während des Ersten Weltkrieges war der Verkehr eingestellt. Nach dem Weltkrieg übernahm eine Trentiner Gesellschaft den Postautoverkehr über den Jaufen, auch das Privatbusunternehmen Johann Kofler besorgte diesen Dienst.

Ab 1931 fuhren die roten Busse der SAD und die gelben Autocars des Landesverkehrsamtes Innsbruck über den Jaufen.
Die Betreuung der Jaufenstraße unterstand ab 1919 dem Staatsbauamt („Genio civile“), ab 1928 der „Azienda Autonoma Statale della Strada“ (A.A.S.S. – von den Einheimischen mit „Avanti avanti senza soldi“ übersetzt), ab 1948 der „Azienda Nazionale Autonoma delle Strade“ (ANAS) und seit 1997 der Autonomen Provinz Bozen.

Im Winter wurde die Jaufenstraße auf Ratschingser Seite für Bobrennen (Rodelsport) genützt. Die Straße wurde täglich mehrere Stunden lang für diesen Sport (teilweise waren es internationale Rennen) reserviert. Das erweckte den Unmut der Bauern, die den verschneiten Weg auch für Holzfuhren und als Gehweg nutzen wollten.

Ab 1960 wurde die Jaufenstraße geteert.
Auch der Tunnel bei der Glaitner-Kehre wurde geschlossen, die Schutzgalerie beim Vermaltal und mehrere Kehren wurden ausgebaut. Im Laufe der Jahrzehnte spuken in einigen Köpfen auch verschiedene Gedanken wie Jaufentunnel, Luftkissen und sogar einer Autobahn herum, die jedoch nie konkret wurden. In den 80er Jahren kam es zu mehreren Überfällen auf bundesdeutsche Touristen am Jaufen. Die Tourismusvereine veröffentlichten hierzu Warnungen. Seit 1989 ist der Jaufenpass auch im Winter mit Nachtsperre geöffnet. Große Probleme verursacht der Wind mit seinen Verwehungen mit Schneehöhen von drei bis vier Metern. Schon kleine Lawinen können für die Arbeiter verhängnisvoll sein. Auch Autofahrer, welche die Lage unterschätzten, sind samt Auto schon eingeweht worden und mussten von den zuständigen Straßenarbeitern ausgeschaufelt werden. In den letzten Jahren wurden mehrere Lawinenschutzbauten errichtet. Bis 2015 sollen die Lawinen- und Steinschlagschutzbauten verbessert bzw. eine Galerie erbaut werden.

Interessantes aus der Zeit der Anfänge des Automobils.
Die Autokennzeichen waren bis 1920 mit dem Buchstaben „T“ (Trient)  versehen, danach galt die Kennzahl „73“. Die erste Fahrschule in Meran gab es ab 1925 (Puccini). Zu dieser Zeit gab es in St. Leonhard drei Lastwagen und zwei Motorräder, aber noch keine Autos. Erst 1928 musste jedes Kraftfahrzeug mit einer Hupe versehen sein. Das Automobil war für die Leute einerseits ein Wunder  („dass eppis ohne Ross fohren konn...?), andererseits aber ein Monster („Der Staab und der Höllenlärm! Hennen stiabm assnonder und die Resser  werden wilde“). Die Stellwagenkutscher verparkten ihnen auch teilweise absichtlich den Weg. Die Fußgänger liefen panisch in die falsche Richtung und überhaupt mussten sich die Leute an „beschleunigte Reaktionen“ auf dem Dorfplatz erst gewöhnen, wenn ein Automobil daherkam.

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Goaßerstolz & Huarnfiich

6.000 Ziegen und 9.000 Menschen leben im Passeier. Nun kriegen die eigensinnigen Tiere eine Sonderausstellung.

Ziegen gehören zum Passeier wie Andreas Hofer, Speck und Schildhöfe. Knapp 6.000 Gebirgsziegen leben hier – gemeinsam mit 9.000 Menschen. Und das in Zeiten, in denen niemand mehr eine Goaß braucht und die Ziegenhaltung keinen Gewinn bringt.

 

Text: Judith Schwarz
Zeichnungen: Albert Mair

 
 

Irgendetwas scheinen die Goaßer, die Goaßer sein wollen, von ihren Vätern und Großvätern, die es sein mussten, geerbt zu haben. Es ist nicht der wirtschaftliche Zwang, die "Kuh des armen Mannes" zu halten, sondern die Leidenschaft für dieses Huarnfiich. Eine Sonderausstellung des MuseumPasseier versuchte 2011, diese unerklärliche Begeisterung zu erklären.

Wir starten mit Almidylle und Hirtenromantik.
Furmente, Tånderpuschn und Tschurschlin-Stallile (Murmeltier, Alpenrose und ein von Kindern gebauter „Stall“ mit Tieren aus Baumzapfen) sind Klischees einer idealen Almwelt. Ihr Anblick verzückt Tourist*innen und Einheimische. Erinnerungen an „Sommerfrische“, Wanderurlaub und die gute alte Zeit lassen im Kopf eine Gegenwelt zur Alltagshektik entstehen. Am Liebsten möchte man auch Hirte sein inmitten einer herrlichen Alpenlandschaft und friedlich grasenden Ziegen – und den ganzen Tag auf einem Grashalm kauen.

Viele Erwachsene erzählen heute stolz vom Gefühl der Verantwortung und des Erwachsenseins, wenn sie als Sechsjährige alleine Ziegen hüten mussten.
Ein Gefühl, das vielen Kindern heute fehlt – der Stolz auf die Pflicht. Es ist eine einfache Welt, und dennoch (oder deswegen) ist sie Luxus. Ganz besonders die Welt der Goaßer: Gerade, weil man Ziegen nicht mehr braucht, weil sie keinen finanziellen Gewinn bringen, weil sie einfach nur schön sein sollen und weil sie wertvolle Zeit kosten, die heute angeblich niemand mehr hat. Die in Ruhe genossene Pfeife, das Fernrohr, mit dem stundenlang beobachtet wird, die geduldige Schnitzarbeit aus Steckhölzchen, in der Zeit versteckt ist. Sie stehen für die Kunst, die Hirten beherrschen und viele Manager vergeblich zu lernen versuchen: Die Kunst des in sich Hineinhörens und Genießens. Das Hirtentum ist ein Überbleibsel einer der ältesten Kulturformen und verkörpert eine eigene Lebenshaltung und Weltanschauung.

Hirten waren angesehen als Viehdoktoren, Pflanzenkenner, Wetterfrösche, Handwerker und mitunter Erfinder.
Viele waren über das Tal hinaus bekannt, aber selten gaben sie ihr Wissen schriftlich weiter. Aber alles hat eine Kehrseite. So wurden Hirten im Laufe der Zeit auch als ungepflegte Nichtstuer, sonderbare Einsiedler, unstete Gauner und einfältige Sonderlinge gesehen. Genauso war das Leben als Hütbub kein Honiglecken. Oft waren die Kinder sich selbst und dem Drwailång (Heimweh) überlassen. Der Goaßer-Alltag sieht auch anders aus als romantisch: Im Winter täglich die eintönige Stallarbeit mit Dreck und Gestank. Auf der Alm unterbrechen Unwetter und verschwundene Tiere die Routine. Mühsame Wege bei jedem Wetter und oft gefährliche Situationen. Karge Kost im Mittoogkandele, raue Arbeitskleidung aus Lodenstoff, Sorgen um die Existenz und den Naturgewalten schutzlos ausgeliefert: Das gehört genauso zum Hirtendasein.

Auch um den Tod der Ziegen kommt der Goaßer nicht umhin: Totgeborene Kitze im Frühling, erfrorene oder unter Lawinen begrabene Ziegen im Winter, Abstürze und Schlachtungen.
Zum Thema Schlachtungen wird in der Ausstellung ein historischer Exkurs zum Handwerk des Struuzers aufgetan: Die Passeirer waren als Struuzer (Wandermetzger) bekannt. Sie handelten weithin mit Vieh und schlachteten es bei den Fleischmärkten in Meran und anderswo. Für die Struuzer war es ein guter Verdienst, für die Stadt Meran brachten die Fleischmärkte Gewinn, aber auch Beschwerden: Feuersgefahr, Schmutz, Gesundheitsgefährdung, Tierquälerei, Sittenverwilderung und lahmgelegte Geschäfte der Stadtmetzger. „Es ist eine schauderhafte Metzelei in der Stadt Meran, die im ganzen Kaiserstaate sonst gewiss nirgends vorkommt“, schreibt ein Zeitzeuge.

Während bei gefährlichen Ziegenkrankheiten heute der Tierarzt zur Stelle ist, hieß es für den Goaßer früher „Learning by doing“.
Behandlungen wie der Aderlass mit Fliëdn (Messer) und der Pansenstich mit dem Trokar (Eisenspitz) erfordern Fourtl und Schnaide (Know-how und Courage), da sie tödlich für die Tiere ausgehen können. Auf Abwehrzauber und alte Opferbräuche zurückgeführt wird der Glaube, ein alter lebender Ziegenbock im Stall (oder zumindest der Kopf oder die Hörner von einem geschlachteten Bock an der Stalltür) solle alle Krankheiten fernhalten. An besonderen Tagen wurde auch das Kraftfutter geweiht und den Tieren unters Heu gemischt, damit sie vor Krankheit und Unglück verschont blieben. Schwere Tierseuchen waren und sind auch heute noch Thema: Früher hatten sie harmlos klingende Namen wie Rausch und Trunk und waren Zauberwerk der Nörggeler. Heute heißen Ziegenkrankheiten CAE und Brucellose und werden mit „Ausmerzprogrammen“ bekämpft. Eine neue Sorge sind Bär und Wolf, die vermehrt auftauchen und für die ohne Aufsicht weidenden Ziegen gefährlich werden können.

Irgendwo zwischen diesen beiden Gegensätzen liegt die Realität.
In der Ausstellung ist dies der Film zwischen den Ausstellungsbereichen „Almidylle“ und „schauderhafte Metzeleien“. Die Aufnahmen zeigen die Gelassenheit der Hirten, die Stille, die unendliche Zeit und Muße, das Miteinander von Mensch und Tier, eine eigene Welt aber auch die tagtägliche Arbeit, den Dreck, den Gestank usw. Im zweiten Teil der Ausstellung wird es konkreter: Die Themen sind die „Psairer Goaß“, die „Goaßer-Kultur“ und „di schiane Goaß“. Seit einigen Jahren ist die "Passeirer Gebirgsziege" eine offizielle Rasse. Aber DIE Psairer Goaß gibt es nicht: Vielfältige Farbkombinationen machen verschiedene Abstammungen sichtbar. Das tut dem Stolz auf die Psairer Goaß keinen Abbruch. Zucht ist nicht nur Tierhaltung, sondern auch ein Stück Ideologie.

Passeier ist Südtirols Hochburg der Ziegen. Jede vierte Ziege lebt hier.
Sie sind der Stolz von über 300 Goaßern, die den Ziegenzuchtvereinen "Passeier" bzw. "Hinterpasseier" angehören. Auch Frauen halten Goaße. In Passeier sind es über 40. Die Frau auf der Spielkarte Schellsieben ist übrigens keine Goaßerin, sondern eine Karikatur auf die „Weiberherrschaft“.

Aber warum gab und gibt es gerade in Passeier so viele Ziegen?
Weil die schwer zugänglichen und kargen Passeirer Felsgegenden ideal für die Ziegenhaltung sind? Weil sich die vorwiegend armen Passeirer auf ihren kleinen Höfen dank Ziegen über Wasser halten konnten? Allein daraus lässt sich die Passeirer Ziegenleidenschaft nicht erklären, denn diese Voraussetzungen wären auch anderswo gegeben. Letztendlich ist die Goaß-Passion nicht reduzierbar auf bestimmte Faktoren und gehorcht keiner Logik.

Zur Frage, warum manche Menschen Tiere lieben und andere nicht, streiten Wissenschaftler*innen schon lange.
Ein Goaßer hat es simpel aber treffend erklärt: Entweder men isch a Goaßnårr oodr men isch kuander! Die Liebe der Goaßer zu den Tieren zeigt sich auch in den Ziegennamen. Viel mehr als Schafe werden Goaße als Individuen gesehen und erhalten traditionelle oder moderne Namen. Auch kennen Goaßer ihre Tiere auseinander, denn Goaßgesicht ist nicht Goaßgesicht! Trotzdem hat das Mårch – das Einzwicken von Kennzeichen in den Ohren Tradition. Mittlerweile sind Plastikplaketten und elektronische Magenkapseln Pflicht.

Es ist eine eigene Kultur – die Goaßerkultur.
Vor allem die Goaßer haben sich vieles von der Hirtenmentalität bewahrt: Die Bekleidung, die Gebärden, die Sprache. Höhepunkte im Goaßer-Jahr sind die Ziegenausstellungen, die wie Misswahlen ablaufen: Bärte biegen, Fell kämmen, Hörner polieren. Wie a schiane Goaß auszusehen hat, ist ein wandelnder Trend, den in Südtirol vor allem die Passeirer setzen.

Fatal für die Zucht ist es, wenn ein schiacher Pock mit einer schianen Goaß verkehrt.
Noch kurioser als es klingt, muss es ausgesehen haben, wenn Ziegenböcke zur Vermeidung solch einer unerwünschten Liasion „Bockhosen“ trugen. Sicherer war da das Ooziëchn (Kastrieren). Trotzdem bleibt die Zucht ein Glückspiel, und deshalb wahrscheinlich interessant. Der Goaßer weiß nie, werden die Kitze einfärbig, stroolit (Stahlenzeichnung am Kopf) oder gånsit (hell-dunkle Mantelfärbung) bzw. bloob (grau-bläulich), roat (rötlich), geel (gelblich), pråntlt (dunkelbraun), griislt (grau-braun), verbrennt (beige), schwarz oder liëcht (weiß). Die verschiedenen "Goaß-Typen", Untergruppen und Farbkombinationen, die die Goaßer-Sprache kennt, sind selbst für Einheimische mit gutem Dialektverständnis verwirrend.

Zur schönen Ziege gehört auch eine Schelle.
Schellen sind Schmuck, Signalinstrument, Besitzkennzeichen, Ehrengabe, Lärminstrument und Souvenir. Sie sind außerdem der Stolz der Goaßer und begehrtes Sammelobjekt. Schellen von alten bekannten Schmieden sind rar. Wenn bisweilen eine Kranzschelle oder Fakklschälle verkauft wird, erzielt sie fantastische Preise von 2.000 Euro oder mehr. Eine Besonderheit sind die alten Schellbögen aus Nussbaumholz mit Blechverzierungen. Heute sind Lederriemen gebräuchlich. Die älteste Passeirer Viehschelle ist übrigens über 1.000 Jahre alt. Archäologen vermuten, dass der Klang der Schellen ursprünglich vor bösen Almgeistern schützen sollte. Passend zu dieser Fülle an Goaßerliebe und Schellen-Sammelleidenschaft zeigt auch der zweite Film zu Beginn die innigen Momente der Goaß-Goaßer-Beziehung und die Miër-sein-Miër-Mentalität der Goaßer, die mitunter auch ins Folkloristische ausschlägt, alles untermalt von den Klängen von „Heidi“ (Wenn du uns Goaßer verstehen willst, schau dir einen Heidi-Film an, hat mir mal ein Goaßer empfohlen!). Und dann wechselt der Film vom „Goaßerstolz“ zu Huernfiich (voilà der Titel der Ausstellung) und zeigt die andere Seite der Goaß.

Anders als die friedfertigen Schafe, die geschlossene Herden bilden, haben die gewitzten Ziegen einen sehr individuellen und widerspenstigen Charakter.
Kein Goaßer, der nicht auf seine Lieblinge schimpft und sie verflucht. Schließlich sind sie immer dort, wo sie nicht sein sollen. Zäunt man die Goaß in ein Grundstück mit schönster Wiese ein, sucht sie nach einem Ausweg, um außerhalb des Zauns zu kommen. Zäunt man das selbe Stück Wiese ein und stellt die Goaß davor, versucht sie alles um innerhalb des Zaunes zu kommen. Verständlich, dass Huernfiich in Passeier so etwas wie ein zweiter Name ist (obwohl das Fluchwort mitunter von den Goaßern nicht so gemeint ist – sie sind ja auch stolz darauf, dass ihre Goaße einen eigenen Grint haben). Viele Ziegen, die den ganzen Sommer ohne Aufsicht auf der Alm verbracht haben und „verwildern“ sind im Herbst relativ schwer einzufangen. Deshalb melden die Passeirer Fundämter im Spätherbst nicht nur verlorene Schlüssel und Ohrringe, sondern informieren über zugelaufene Kitze und vermisste Böcke. So lustig, wie es sich anhört, ist es aber nicht: Vor allem das „Ausheben“ einer Goaß, die sich in einer Felswand verstiegen hat, ist eine immense körperliche und gefährliche Herausforderung für den Goaßer und fordert auch Todesopfer.

Willsche a Ggstriit, når richt der Goaße“, sagte stets mein Opa.
Vielleicht erzählen deshalb so viele Geschichtsquellen von den "Weidenei-Streite" in der Ziegenhochburg Passeier. Ob es wegen der Ziegen auch vermehrt „Ehe-Streite“ in Passeier gibt, lässt sich nicht sagen. Aber so manche Goaßer-Ehefrau wird mitunter über das Hobby ihres Mannes schimpfen. Vor allem wenn der Gatte Feierabend, Wochenende und Urlaub seinen Goaßen widmet und täglich den unverwechselbaren Ziegenduft nach Hause bringt.

Aber Ziegen sind zäh.
Wegen ein paar strafzettelschreibenden Förstern oder nudelholzschwingenden Ehefrauen lassen sie sich nicht unterkriegen. Und dass es Goaße auch weiterhin geben wird, prophezeit ein altes Passeirer Sprichwort:

„Goaße unt Huarn weern sii nit oodrschåffn!“
(Ziegen und Huren wird man nicht abschaffen können)

Sonderausstellung ab 15. Mai 2011
Goaßerstolz & Huarnfiich. Die Passeirer Gebirgsziege

Impressum der Ausstellung
Idee: Harald Haller
Konzept und Texte: Judith Schwarz
Inhaltliche Mitarbeit: Albin Pixner
Grafik: design.buero
Zeichnungen: Albert Mair
Filmschnitt: Stefan Holzknecht

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