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Wer findet Emmy?

Eine Frauenverein-Obmännin im frühen 20. Jahrhundert.

Da von der Schriftstellerin und Fotografin Emmy Ludolph bislang Abbildungen fehlen, muss ein Symbolbild herhalten. Es zeigt eine Illustration der Arbeiter-Zeitung vom 20.03.1911 zum ersten Frauentag am 8. März 1911, der in Österreich mit Massenkundgebungen abgehalten wurde. Abbildung: ÖNB

 

Eine Frauenverein-Obmännin am Anfang des 20. Jahrhunderts. 

Von Judith Schwarz  

 

Emmy hat uns am 26. November 2022 gefunden. Es war ein Samstagnachmittag und ein paar Leutchen hatten sich zum Workshop “Gemeinsam in alten Fotos lesen" getroffen. Von den Postkarten, die die Teilnehmer*innen mitgebracht hatten, fielen viele auf und gingen wieder unter. Dann: Eine Ansichtskarte von St. Leonhard, 1914 verschickt an eine Madame Louise Lahodny in Paris. Eine Madame in Paris... das schien interessant! Aber da sich bei der Eingabe des Namens auf Google nichts rührte, verflog diese meine erste Spannung ziemlich bald.  

Trotzdem blieb die Postkarte etwas länger in meinen Händen. Warum genau diese, und nicht eine andere, ist schwer zu erklären. Vielleicht wegen der speziellen Kombination Paris und St. Leonhard. Vielleicht wegen des Rätsels im Kartentext: Wer war dieser verstorbene Spielgefährte Hansi, ein Familienmitglied oder ein Kanarienvogel? Ganz sicher aber reizte mich in keiner Weise der Personennamen, mit dem die Karte unterzeichnet war: Von einer oder einem gewissen E. Meyer Ludolph, wohnhaft in Meran.  

Liebe Frau Lahodny! Es hat mich gefreut, zu hören, daß Ihnen das Bild von unseren Kleinen gefallen hat. Der Tod Ihres lieben Kleinen hatte uns alle tief bewegt. Denn wir hatten alle Ihren Hansi so besonders lieb. Mercedes spricht noch oft von ihrem kleinen Spielgefährten. Hoffentlich sehen wir Sie noch einmal in Meran wieder, ich würd mich freuen, wenn Sie mich einmal besuchen würden. Herzliche Grüße Ihnen u. Ihrer Schwester von Ihrer E. Meyer-Ludolph. Postkarte, gelaufen 1914. Foto: Manuel Thoma.

E. steht für Emmy. Und Emmy für Emilia. Das spuckte das online Zeitungsportal der Landesbibliothek Teßmann im Zusammenhang mit Meyer Ludolph aus. Und dazu noch diese kurze Notiz von Juni 1912: Die Beilage zum “Berliner Lokalanzeiger” zeigt die Vergrößerung der in S. Pötzelbergers Kunsthandlung ausgestellten Aufnahme der Frau Meyer-Ludolph von der Jaufenkapelle mit den Festgästen davor, während des kirchlichen Weiheaktes [der Straße]. Nicht schlecht, eine Frau hat bei der Eröffnung der Jaufenstraße fotografiert! Und ich ertappte mich bei dem Gedanken, dass mich die Reaktionen der damals anwesenden Passeirer*innen mehr interessierten, als die beschriebene Fotografie von Emmy Ludolph.  

Von Fragen zu Paris und Kanarienvögeln war ich nun zwar weit entfernt. Aber mein Interesse für diese Frau war geweckt. Ohne ein Indiz dafür zu haben, gehe ich davon aus, dass Emmy Ludolph nicht nur dieses eine Mal diese eine Fotografie gemacht hat. Da es für Südtirol keine Gesamtdarstellung von Fotografinnen gibt, fehlt auch das Wissen über fotografierende Frauen speziell vor dem Ersten Weltkrieg. Emmy Ludolph muss jedenfalls eine der wenigen gewesen sein, die es damals gegeben hat. Und eine der allerwenigen, die es geschafft haben, dass nicht nur ihre Fotografie, sondern auch ihr Name abgedruckt wird.  

Wie sucht man diese Emmy, die Passeirer Motive nach Berlin und Paris sandte? Sie ist – typisch für die Zeit – weniger mit ihrem Nachnamen Ludolph, als unter dem Nachnamen und Titel ihres Ehemannes auffindbar: Als Frau Professor Meyer. Ihr Gatte Max Wilhelm Meyer (1853–1910) war Astronom und Schriftsteller, aber hauptsächlich war er der “Urania-Meyer”: Einer der drei Gründerväter der ersten Urania 1888 in Berlin. Es wird nicht viele geben, denen sein Name ganz fremd ist, schrieb einst das Berliner Tageblatt – ich gebe zu, sein Name war mir nicht geläufig. Auch nicht, dass Meyers Grab im Evangelischen Friedhof in Meran zu finden ist. Aber zu einer Zeit, als es unter Akademikern verpönt war, naturkundliches Wissen an die Gesellschaft weiterzugeben, war der “Popularisator der Wissenschaft” und ”Erfinder des wissenschaftlichen Theaters” wohl bekannt wie ein bunter Hund.

Wann die Hochzeit der beiden gewesen ist, müsste man noch rausfinden. Max Wilhelm Meyer hatte nämlich vor Emmy eine Wienerin geheiratet, eine bekannte Schönheit, deren Namen ebenfalls noch fehlt. Den Sommer 1901 verbrachte er – behufs Ausruhens seiner Nerven und Fertigstellung eines wissenschaftlichen Werkes – mit seiner Gemahlin in Meran. Ob die damalige Gemahlin nun die “Wiener Schönheit” war oder bereits unsere Emmy, wissen wir nicht.

Jedenfalls wurde das Ehepaar in Meran überfallen. Es sollen zwei Burschen gewesen sein, die sie auf dem Heimweg gegen Mitternacht mit Knüppeln auflauerten. Meyers Filzhut verhinderte angeblich eine gefährliche Kopfverletzung, berichtete die Dresdner Zeitung. Wenig später erschien in der Berliner Börsenzeitung die Meldung, dass Meyers Unternehmen in Konkurs gegangen sei. Meyer war, in Folge eines Streits, aus der Berliner Urania ausgestiegen und hatte seine eigene “Internationale Urania” gegründet. Möglich, dass angesichts dieser zwei Ereignisse das mit dem Ausruhen seiner Nerven nicht so ganz geklappt hat in Meran.

Später entdeckte ich noch zwei weitere Ehemänner bzw. Nachnamen von Emmy. Ja, richtig gelesen: Eine Frau, die dreimal verheiratet war, hatte im Laufe ihres Lebens vier verschiedene Namen, Varianten mit Doppelnamen nicht eingerechnet. Dementsprechend schwieriger ist es, eine Frau in den Quellen zu finden, als einen Mann, dessen Name sich im Normalfall nicht änderte.

Sie nannte sich Emmy Rogge, bevor sie den “Urania-Meyer” heiratete. Und Emmy Gurlitt, nachdem Professor Meyer 1910 in Meran verstorben war. Als sie das Foto am Jaufen aufnahm (1912) bzw. die Postkarte der Dorfansicht von St. Leonhard verschickte (1914) war ihr zweiter Ehemann Meyer also bereits verstorben. Und nur zu ihm fand ich bislang einen Hinweis auf fotografische Tätigkeiten: Seine Privatliebhaberei war die Fotografie, für die er eine große Meisterschaft als kunstverständiger Amateur entwickelte, schreibt die Meraner Zeitung in Meyers Nachruf. Es könnte also sein, dass die Witwe die Privatliebhaberei ihres Mannes samt dessen Fotoapparat übernommen hat – entweder freiwillig oder aus finanziellen Gründen.

 

Emmys Ehemann, Max Wilhelm Meyer, und ihre gemeinsame Tochter Mercedes, die 1906 auf Capri geboren ist. Gut möglich, dass Emmy Ludolph die Aufnahme gemacht hat. Foto: Eurhinosaurus https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=91583350.

 

Dann stieß ich endlich auf Emmys Geburts- und Sterbejahr: 1863 bis 1929. Als Emmy Gurlitt veröffentlichte sie drei Jahre vor ihrem Tod einen Aufsatz über ihren dritten Ehemann, den Reformpädagogen und Karl-May-Forscher Ludwig Gurlitt (1855–1931). Und die Karl-May-Gesellschaft ergänzte nachträglich dankenswerter ihre Lebensdaten. Ludwig Gurlitt war übrigens der Onkel jenes berühmt-berüchtigten Kunstsammlers, dessen versteckten Gemälde vor einigen Jahren auftauchten. Emmy verbrachte mit dem 23 Jahre älteren Ludwig Gurlitt ihre letzten Lebensjahre auf Capri, wo sie auch schon mit ihrem zweiten Ehemann zeitweise gelebt und 1906 ihre gemeinsame Tochter Mercedes Meyer zur Welt gebracht hatte. Doch woher Emmy eigentlich stammte, wer ihr erster Ehemann Rogge war und ob sie mit ihm Kinder hatte, dazu schweigen meine Quellen bislang.  

Meran war also nur eine Zwischenstation. 1909 weilte Max Wilhelm Meyer (mit oder ohne Emmy) in Messina und dokumentierte gemeinsam mit Maxim Gorki die Folgen des verheerenden Erdbebens in Südkalabrien. Dann, im September 1910, schrieb die Bozner Zeitung, Meyer sei aus dem Meraner Krankenhaus entlassen und in die Villa Alpenheim, Majastraße 2 (heute 7), gezogen. Drei Monate später starb er, Emmy war 47, ihre Tochter Mercedes vier Jahre alt. Als alleinerziehende Witwe scheint Emmy dann bis in die ersten Kriegsjahre hinein im Postgebäude in Obermais gewohnt zu haben, im Adressbuch ist sie als Schriftstellerin eingetragen. Im Jänner 1916 soll sie bereits nach Deutschland gezogen sein, ihre dritte Heirat mit Ludwig Gurlitt muss schließlich nach 1917, dem Tod von dessen ersten Frau, stattgefunden haben. Capri, Meran und Deutschland – das alles klingt nach turbulentem Leben.  

Aber das Beste ist noch nicht erzählt: Meran war nämlich doch mehr als eine Zwischenstation. Im März 1913 berichtete die Meraner Zeitung über eine öffentliche Frauenversammlung und die Gründung des Verein der Erwerbenden Frauen Meran, einer Zweigorganisation des gleichnamigen Hauptvereins in Wien. Und die frisch gebackene Präsidentin ist unsere Emmy Ludolph! Man stelle sich das vor: Wir haben eine Zeit, in der gemäß Eherecht die Frau den Nachnamen des Ehemannes anzunehmen, ihm als “Haupt der Familie” zu seinem Wohnsitz zu folgen und seine Maßregeln zu befolgen hat. Für bestimmte Frauenberufe wie Lehrerinnen galt ein Heiratsverbot, Frauen durften im Normalfall auch nicht wählen und laut Vereinsgesetz weder politischen Vereinen beitreten, geschweige denn sie gründen.  

Emmy erfuhr als Obfrau wohl einigen Gegenwind. Ausdrücklich hatte sich der Verein als Bildungs- und Berufsverein von politischen Aktivitäten zu distanzieren, dementsprechend wurde auch die Anfrage eines “Sozialistenführers” beantwortet, nämlich dass der Kampf um die höchsten Rechte der Frau den Kolleginnen draußen im Reich und in Wien überlassen wird. Was man “draußen im Reich” bzw. die Deutsche Volkszeitung wiederum umgehend zum Anlass für spöttische Bemerkungen nahm: Es mag ja sein, dass die Mitglieder dieses Vereins es nicht so nötig haben, sich um soziale und politische Fragen zu kümmern, aber in den sozialdemokratischen Frauenorganisationen, wo wirklich [sic!] arbeitende Frauen und Mädchen sich zusammenfinden, denkt man über solche Fragen anders. Dass die Deutsche Volkszeitung – im selben Artikel – die erste gewählte Obfrau ohne Namen, sondern lediglich als Gattin des verstorbenen Doktor Mayer vorstellt, spricht dann wieder weniger für die “höchsten Rechte der Frau”.

Schließlich dann nochmal eine Randnotiz zu Passeier. Vier Monate nach der Vereinsgründung schrieb Emmy einen Leserbrief an die Meraner Zeitung – und signierte mit Emmy Meyer-Ludolph, Waldheim bei St. Leonhard. Gemeint ist das ehemalige Gasthaus Waldheim, etwas außerhalb von St. Leonhard bei Hinteregg, auf dem Weg nach Platt gelegen. Im Grunde musste Emmy mit Zuschriften als Reaktion auf den Leserbrief rechnen – wenn sie also Waldheim als Adresse angab, war sie wohl länger dort, vielleicht den ganzen Sommer über.

 

Gleich an eine Waldheim-Affäre zu denken, wäre eine glatte Unterstellung. Es war für die Vereinsobfrau Emmy wohl ein Sommerfrisch-Aufenthalt, verbunden mit Arbeit: Im Juli 1913 weilte sie im Gasthaus Waldheim und schrieb einen Leserbrief über die Frauenrechtlerinnen aus England. Ansichtskarte, gelaufen 1913, Foto: Manuel Thoma.

 

Emmy fand unterstützende Worte für die angefeindeten, aber tapfersten Frauenrechtlerinnen. Man hatte sie als Vereinsobfrau wohl um eine Stellungnahme zu den Suffragettes gebeten, jenen Frauen in England, die teilweise auch mit Hungerstreiks und Widerstand für das Frauenwahlrecht kämpften. Sie hätten gerne ein paar verurteilende Zeilen, schreibt sie gleich in ihrer Einleitung an die Redaktion gerichtet, diesem Wunsche kann ich nicht nachkommen, […] da ich […] deren Ausfälle mit anderen Augen anschaue. Ob sie im Gasthaus Waldheim mit anderen Gästen oder auch Passeirer*innen offen über ihre Meinung zum Frauenwahlrecht gesprochen hat, wäre zu schön zu wissen.

Zurück zum Verein. Der öffentliche Frauenabend im März 1913 schien ein Erfolg gewesen zu sein, man gewann prompt 52 Mitglieder, die jeweils einen jährlichen Mitgliedsbeitrag von 3 Kronen und 40 Heller beisteuerten. Wie sich der Verein weiters finanzierte, lässt sich aus der Presse nur bedingt herauslesen, es hat wohl auch Förderungen der Gemeinde Untermais gegeben. Bei der ersten Generalversammlung im Jänner 1914 werden dann die Gönner*innen (die Geld oder mal eben 230 Bücher für die Vereinsbibliothek spendierten) namentlich erwähnt.

Bald wurden die ersten kostenlosen Abendkurse angeboten: Französisch, Englisch, Italienisch, Stenographie, Kleider- und Weißnähen, Schreibmaschine ecc. Später kam auch ein Modistenkurs dazu (Modistinnen waren das Pendent der männlichen Hutmacher, sie fertigten Damenhüte und überarbeiteten Kleider nach der neuesten Mode). Angesprochen waren nicht nur berufstätige Frauen, sondern auch Mädchen ab 14 Jahren. Für junge Frauen – ausgenommen für “höhere Töchter” mit bezahltem Privatunterricht – gab es nach der Pflichtschule wohl nur sehr wenige erschwingliche Bildungsangebote in Meran.  

Dann kam der Krieg. Während die Vorträge an den vierzehntägig abgehaltenen Vereinsabenden anfangs Titel trugen wie “Aus dem Leben einer arbeitenden Frau”, “Unser Körper und seine Pflege” oder “Wohnungsfürsorge”, gab es nun im Vereinslokal in der Gemeindeschule in Untermais Diskussionen über die Kriegslage und sogar Li Fischer-Eckert (1882–1942), eine Pionierin der Sozialarbeit und des Frauenrechts, sprach in einem Vereinsvortrag über “Die Frauen und der Krieg”.

Nun stand Kriegshilfe im Mittelpunkt der Vereinstätigkeit. Im Sommer 1914 – die Gründung war gerade mal ein gutes Jahr her – besorgte der Verein die Einrichtung und Leitung des Kindergartens in Untermais, der als Kriegs-Kinderfürsorgestelle bald aufblühte. Im Herbst 1914 führten die “arbeitenden Frauen” die Volksküche für den Kurbezirk Meran, lasen den Verwundeten in den Spitälern Briefe vor und halfen beim Briefeschreiben, organisierten Kleider- und Liebesgabensammlungen für Flüchtlinge und schufen eine Notnähschule im Kriege, eine Strick- und Nähschule für zirka 30 arbeitslose Frauen.

Der Verein hat also in jeder Hinsicht das den Frauen offene Feld bebaut, berichtete die Südtiroler Landeszeitung 1921. Wobei Emmy Ludolph zu diesem Zeitpunkt bereit aus Meran fortgezogen ist und diese Zeilen einen Rückblick darstellen: Unter der ersten Obmännin Frau E. Meyer entfaltete [der Verein] eine rege Tätigkeit [und gründete] in richtiger Einsicht von einem diesbezüglichen Mangel das alkoholfreie Speisehaus, das bei Rauchverbot vegetabilische Kost zu mäßigen Preisen vielen Gästen eine willkommene Stätte bot. Abgesehen vom Wort Obmännin klingt das alles sehr modern.

In Meran ist Emmy Ludolph heute eine Unbekannte. Doch auch im weltweiten Netz ist sie nicht wirklich aufspürbar. Obwohl es zu zwei ihrer Ehemänner lange Artikel auf Wikipedia gibt, hat sie dort nicht mal eine Nennung als namenlose Ehefrau. Was sich, wenn Wikipedia will, natürlich schnell ändern lässt. Kniffliger sind die Antworten auf Fragen wie: Wenn sie Schriftstellerin war, wo sind ihre Werke? Wo ihre Fotografien? Wie sah sie aus und was erinnert in Meran oder Passeier noch an sie?

Das Erinnern gehört zum weltweiten Frauentag. Klassischerweise haben, jährlich am 8. März, historische und aktuelle Frauenrechtlerinnen ins Licht gerückt zu werden. Und manchmal werden hierfür auch die Artikel vom Vorjahr – vollständig unverändert – wiederverwendet. So wie ich an dieser Stelle nochmal das Titelbild dieses Blogartikels abbilde, verbunden mit dem Aufruf:


Helft uns, Emmy zu finden!
Auf dass unter diesem Symbolbild irgendwann Fotos und Texte von Emmy Ludolph zu sehen sein werden.
Auf dass dieser Artikel nicht unverändert bleibt…

 

Illustration der Arbeiter-Zeitung zum 8. März 1911 in Wien, als Frauen für die Gleichberechtigung auf die Straßen gingen, um den ersten Frauentag in Österreich abzuhalten. Es ist nicht auszuschließen, dass Emmy dabei gewesen ist. Abbildung: ÖNB

 
 

UPDATES:

11.04.2023: Emmys veröffentlichtes Foto von der Eröffnung der Jaufenstraße haben wir gefunden! Allerdings ist sie nicht – wie im Blogartikel beschrieben – mit ihrem Namen als Fotografin genannt. Danke an Larissa Peters von der Staatsbibliothek Berlin bzw. Matthias Klemm von der Zentral- und Landesbibliothek Berlin, die uns die Artikel geschickt haben: "Nationale Sommerfahrten in Südtirol" von Alfred Geiser aus der „Daheim“, 48. Jahrgang, Heft Nr. 41, 1912 vom 13. Juli, Seite 4ff. (Bild links) bzw. die Beilage „Bilder vom Tage“ aus dem "Berliner Lokalanzeiger", Heft Nr. 315, 1912 vom 22. Juni (Bild rechts).

18.04.2023: Endlich ein Foto von Emmy! Giuseppe Aprea vom Centro Documentale dell’Isola di Capri hat uns Kopien der Zeitschrift “Il Gabbiano” geschickt, in denen Emmy Meyer erwähnt bzw. abgebildet ist.

Emmy mit Tochter Mercedes auf Capri, 1906. Aus: Il Gabbiano di Capri, Heft Nr. 52, Frühjahr/Sommer 2012, S. 12.

Aus den verschiedenen Artikeln der Zeitschrift geht hervor, dass Emmy bereits mit ihrem ersten Ehemann einen Sohn hatte, Georg Rogge, zirka um 1900 geboren. Mit Max Meyer, mit dem sie im November 1905 nach Capri gezogen ist, hatte Emmy neben Mercedes (geboren am 1. August 1906) noch eine weitere Tochter, Hildegard (geboren am 5. April 1909), die jedoch 1916 verstirbt. 1913, als sie den Meraner Frauenverein gründete, hatte sie also drei Kinder, der Tod von Hildegard ist in den Meraner Sterbebüchern nicht verzeichnet, sie war zu dem Zeitpunkt wohl schon von Meran fortgezogen. Mercedes wiederum hatte zwei Töchter, Ingeborg (geboren am 17. Februar 1925 auf Capri) und Barbara.

Emmy heiratete ihren dritten Ehemann Ludwig Gurlitt im September 1922, zog mit ihm im Februar 1924 wieder nach Capri, wo sie – ganz im Sinne ihres Meraner Frauenvereins – eine „Kulturschule für junge Mädchen“ errichteten und bis 1926 führten. In der Zeitschrift „Il Gabbiano“ ist nur von Ludwig Gurlitt als Gründer die Rede, was aufgrund seiner Vorgeschichte als Lehrer, Reformpädagoge und Herausgeber von Schulbüchern ja naheliegt. Tatsächlich wird auch Emmy ihrerseits als Gründerin des Meraner Frauenvereins einiges von ihren Erfahrungen und Ideen eingebracht haben. Laut Zeitschrift „Il Gabbiano“ stirbt Emmy 1929 in München, Ludwig Gurlitt 1931 in Freudenstadt.

21.04.2023: Lügt der Grabstein von Mercedes Meyer? Emmys Tochter Mercedes Meyer, verehlichte (später geschiedene) Gurlitt, ist laut Grabstein im Evangelischen Friedhof von Meran am 22. August 2007 mit 101 Jahren in Überlingen gestorben.

 

Grabstein am Evangelischen Friedhof in Meran. Quelle: wikimedia.

 

Warum sie, die ja Kinder hatte, in Meran beigesetzt worden ist, wissen wir nicht. Auch der Sterbeort Überlingen, der auf dem Meraner Grabstein angegeben ist, ist fraglich. Zumindest hat das Stadtarchiv Überlingen (Bodenseekreis, PLZ 88662) weder in den Sterbebüchern noch in den alten Ausgaben der Stadtzeitung einen Sterbeeintrag oder eine Sterbeanzeige gefunden. Auch von Überlingen am Ried in der Gemeinde Singen (Landkreis Konstanz, PLZ 78224) kam die Antwort, dass weder in den Kirchenbüchern, noch im Melderegister oder den Archivkarteien ein Sterbefall mit dem Namen Mercedes Meyer oder Gurlitt eingetragen sei. Eine weitere Ortschaft oder Gemeinde mit dem Namen Überlingen konnten wir nicht finden.

07.10.2023: Emmy ist auf Wikipedia!
Endlich haben wir mehr Material beisammen und einen Wikipedia-Artikel zu Emmy, sowie einen zum Verein der erwerbenden Frauen Meran verfasst. Zu unserer Freude sind sie gesichtet und für relevant befunden worden. Also eine weibliche Biografie mehr in der deutschsprachigen Wikipedia, deren Frauenanteil bislang erst bei 17% liegt. >>> Emmy auf Wikipedia

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Es war einmal ein Doktorhaus

Über eine Villa der Jahrhundertwende, die nicht mehr ist.

Das Doktorhaus in St. Leonhard in Passeier um 1930. Foto: Palais Mamming Museum.

Über eine Villa der Jahrhundertwende, die nicht mehr ist.

Text und Fotos: Manuel Thoma

 

Vier Jahrzehnte und einen Besitzerwechsel mit Renovierungsplänen später steht es nun vor dem Abriss, lese ich Anfang Jänner 2023 im Artikel Liegengebliebenes von Judith Schwarz in diesem Blog des MuseumPasseier. Die Rede ist vom sogenannten Doktorhaus, Ebnerhaus oder auch Neurauterhaus, einer alten Villa, die bis vor kurzem am unteren Ende der Kohlstatt in St. Leonhard in Passeier stand.  

Für mich war es immer schon das „Neurauterhaus“, ohne jedoch irgendetwas Genaueres über dessen Geschichte oder den Namensgeber zu wissen. In meinen Erinnerungen war es nie bewohnt, es stand halt einfach da. Dann jedoch, im Wissen, dass es eben nicht mehr lange dastehen wird, entstand die Enttäuschung, niemals erfahren zu können, was es noch im Inneren beherbergte. Ich hatte nämlich schon immer diese kindliche Neugier, genau das wissen zu wollen. War es noch eingerichtet oder komplett leer? Wurde es irgendwann nochmal renoviert oder war alles noch so, wie vor 50, 60 Jahren? Gab es dort wirklich eine Turnhalle, wie es früher unter uns Kindern erzählt wurde? 

Glücklicherweise bekam ich noch die Möglichkeit, mir das Haus anzusehen, sogar in Ruhe bis in die oberen Etagen spazieren zu können. Und nein, es gab dort keine Turnhalle, jedoch wunderbar hohe Räume mit alten Dielenböden, mehrere Kachelöfen, Möbel, teils im Stile der 50er, 60er Jahre, ein Stiegenhaus mit angenehm niedrigen Stufen und einem massiv gearbeiteten Holzgeländer… gute Handarbeit eben. Alles in einem Zustand, als wäre das Haus bis vor kurzem noch bewohnt gewesen. Dieser Besuch war der Auslöser, mich genauer mit der Geschichte dieses Hauses und seiner Bewohner*innen zu befassen.  

Ich begann also meine Recherchen in Büchern und verschiedenen Online-Archiven. Meine Ausgangspunkte waren: Doktorhaus, Ebnerhaus, Neurauterhaus. Und ich hatte einen Namen:  

 

Dr. Ed(uard) Neurauter

 

Doctorhaus, neu. So kurz und bündig beschreibt Josef Tarneller das Haus in seinem Werk über die Hofnamen im Burggrafenamt von 1909. Doch bereits 1895 fällt einem Zeitgenossen die rege Bautätigkeit in St. Leonhard auf und er bemerkt dazu Folgendes: Der Arzt Dr. Neurauter baut eine Villa in der Nähe des Bräuhauses, sowie auch in der Nähe des Gasthof Theis gebaut wird. Ebenso hat der neue Stroblwirth einen Stock aufgebaut.

Die Zeichen standen auf Aufbruch in jener Zeit. Die Talstraße von Meran bis St. Leonhard war gerade im Entstehen, nichtsdestotrotz hatte sich der Tourismus bereits Jahre vorher schon bis in die hintersten Ortschaften des Passeiertals ausgebreitet. Neue touristische Strukturen wurden gebaut, bestehende erweitert. Vor allem die Sommerfrischler*innen aus den Städten zog es in den Sommermonaten in die höhergelegenen Täler. Die Kurstadt Meran war gerade inmitten eines wirtschaftlichen und kulturellen Höhenflugs. Grandhotels und unzählige Villen entstanden in Meran, viele davon Bauten des Historismus und des Jugendstils. Vielleicht dienten sie als Vorbild für unser Doktorhaus?  

Das Doktorhaus am 22.01.2023.

Das Doktorhaus war einzigartig für das Passeiertal, brachte es doch ein Stück städtisches Flair in ein Gebirgstal, welches zur Zeit der Erbauung noch nicht einmal über eine Straße nach Meran verfügte. Mit seinen verzierten Rundbögen und dem gusseisernen Geländer des überdachten Balkons, der Eingangstür mit kunstvoll gestaltetem Oberlicht oder dem mit Zinnen versehenen Turm war es immer schon anders als alle anderen Gebäude des Tales. Insofern dürfte das Haus bereits als Neubau die Aufmerksamkeit vieler Talbewohner*innen und Durchreisenden auf sich gezogen haben, führte doch der damalige Talweg direkt am Haus vorbei.  

Oberlichte der Eingangstür des Doktorhauses.

Vom Doktorhaus tauchen nur sehr wenige detaillierte Fotoaufnahmen älteren Datums auf. Die erhaltenen Abbildungen zeigen jedoch, dass sich das Gebäude von 1895 bis Jänner 2023, also 128 Jahre lang, kaum verändert hat.

In den Zeitungsartikeln jener Zeit wurde das Haus nur sehr selten erwähnt, höchstens in nebensächlichen Bemerkungen. So zum Beispiel 1902 anlässlich des 25 Jahr-Jubiläums von Dr. Neurauter, als am Vorabend eine Lampionsbegleitung zum Doctorhaus, veranstaltet wurde, wo eine kleine Serenade stattfand und der Jubilar am nächsten Tag mittags von seinem schön geschmückten Wohnhause abgeholt und in feierlichem Zug zum Gasthof Theis geführt worden war. Eine weitere Erwähnung fand das Haus 1907 in einer Meuchelmordgeschichte, als der Wirt des Bräuhauses den betrunkenen Johann Plattner (ehemaliger Bauer auf dem Aignerhof) gegen das sogenannte Doktorhaus hin begleitete, in dessen Nähe Plattner kurze Zeit später von Josef Pixner, einem ledigen Knecht aus St. Martin, erschossen wurde. Nochmal kurz erwähnt wurde das Haus im Jahr 1919 in der Zeitung Der Tiroler: Die Villa Dr. Neurauter in St. Leonhard in Passeier ist durch Kauf um 12.000 Lire an die Gemeinde übergegangen. Über diesen Verkauf konnte ich jedoch keine weitere Dokumentation finden, auch ist im Grundbuch dazu nichts eingetragen worden.   

Links das alte Bräuhaus, rechts das Doktorhaus, im Vordergrund ein Mann. Ansichtskarte um 1909 aus dem Archiv von Manuel Thoma, Fotograf Otto Mathaus.  

Ganz anders verhält es sich bei seinem Erbauer Dr. Eduard Neurauter. Sein Leben kann durch Berichte in Zeitungen und Dokumenten über viele Stationen hinweg nachverfolgt werden. Wer war also dieser Mann, der kurz vor der Jahrhundertwende in einem kleinen, bäuerlichen Dorf eine Jugendstil-Villa errichten ließ?  

Eine herzensgute Seele. Ein Artikel in der Ausgabe vom 24.02.1912 der Tiroler Stimmen berichtet vom Tod des Dr. Eduard Neurauter, Arzt in Passeier. Im Nachruf wird ein Mann beschrieben, der, allen Schwierigkeiten zum Trotz, seine gesamte ärztliche Laufbahn im Passeiertal verbracht hatte. Bei der Bevölkerung war er beliebt, bekannt für seine Gastfreundschaft und Geselligkeit, angesehen und geschätzt für seine Bemühungen als Arzt, Ehrenbürger von St. Leonhard und St. Martin.  

 

Der Gesundheitszustand ist gegenwärtig recht gut, während im April und Mai Alles voll Lungenentzündung mit Influenza war, welche beide schlimmen Gäste aber an unserem geschickten Gemeindearzte Dr. Neurauter einen unerbittlichen Gegner fanden, vor dem sie schließlich die Waffen streckten. Aus dem Volksblatt vom 27.07.1892 

 

Eduard Neurauter entstammt einer Bauernfamilie aus Längenfeld im Ötztal, er wurde dort 1845 geboren. Und obwohl er nicht aus einem bürgerlichen Hause kommt, hat er die Möglichkeit bekommen, das k.k. Gymnasium in Brixen zu besuchen und anschließend in Innsbruck das Medizinstudium zu absolvieren. Er kommt 1876, gleich nach Abschluss seines Studiums, als Gerichtsarzt ins Passeiertal, wo er 1879 Maria Wilhelm aus St. Leonhard heiratet. Sie wohnen damals noch im Deluccahaus. Maria Wilhelm stirbt dann jedoch 1887 im Alter von nur 30 Jahren an einer Leberentzündung. Bereits ein Jahr danach ist Eduard Neurauter mit Maria Linhart aus Meran verheiratet, 1889 kommt die gemeinsame Tochter Aloisa auf die Welt. Sie wird das einzige Kind des Paares bleiben. 

An die “Neurauter-Frauen” erinnert heute nur noch das Familiengrab an der südlichen Mauer der Pfarrkirche. Auch die Mutter von Eduard Neurauter, Maria Plörer, ebenfalls aus Längenfeld, ist in diesem Grab bestattet worden. Sie starb nur zwei Wochen vor Maria Wilhelm, seiner ersten Frau. Über die einzelnen Familienmitglieder konnte ich aus den zeitgenössischen Quellen leider nur sehr wenig herausfinden. Es dominiert die Persönlichkeit des Gemeindearztes.  

 

Links: Vermutlich Maria Wilhelm, erste Ehefrau von Dr. Eduard Neurauter, geboren am 10. Mai 1857 in St. Leonhard in Passeier, gestorben am 30. Juni 1887 in St. Leonhard in Passeier. Rechts: Vermutlich Maria Plörer, Mutter von Dr. Eduard Neurauter, geboren 1801 in Gries bei Längenfeld, gestorben am 15. Juni 1887 in St. Leonhard in Passeier.  

 

Ein Arzt im Gebirge. Was es heißt, in dieser Zeit Gemeindearzt eines Hochgebirgstales zu sein, können wir mehreren Zeitungsartikeln entnehmen. Ein unbekannter Zeitgenosse schrieb dazu am 27.02.1912 in den Tiroler Stimmen als Nachruf eine persönlich erlebte Geschichte mit dem Arzt, welche über die Beschwerlichkeit jener Tage berichtet, dabei aber auch den Charakter Neurauters beschreibt: 

 

Südtirol, 25. Februar. (Eine herzensgute Seele.)

Im Berichte der „T. St.“ Nr. 45 vom Tode des Dr. Neurauter von St. Leonhard i. P. schreiben Sie: „Er war eine herzensgute Seele“. Zum Beweise dieses Satzes kann folgende Erinnerung dienen.

Vor ungefähr 25 Jahren war ich einmal an einem Winterabend bei ihm auf Besuch. Er hatte gerade seine Pfeife angezündet und seine schneeigen Stiefel in der Küche ausgezogen; denn er war von einem Gange von Schlattach zurückgekehrt. Da kam ein Bauer von Obertall und bat ihn, zu seinem Weibe, welches im Wochenbett war, zu gehen. Er sei, so erzählt er, schon in der Früh vom Hause fortgegangen und sei den ganzen Tag herumgelaufen, um einen Arzt zu bekommen, habe aber keinen auftreiben können. Der Arzt in Schönna sei unwohl und könne nicht gehen und in Meran habe er mehrere Ärzte aufgesucht, aber keiner sei gegangen. Endlich habe er sich noch entschlossen, nach St. Leonhard in Passeier zu gehen.

Dr. Neurauter wandte ein, Tall gehöre nicht zu seinem Sprengel, man brauche über 4 Stunden, er sei schon ganz abgehetzt und müde, es schneie. Da unterbrauch ich ihn mit der Bitte: „Mein lieber Doktor, sei so gut und geh. Es gilt eine Frau im Wochenbett.“ Er schien dies erwartet zu haben, denn sogleich erwiderte er recht gutmütig: „Wenn du ihm auch noch hilfst, muss ich nachgeben. Gehen wir also in Gottes Namen.“ Ich wusste aus Erfahrung, dass man seinem Edelmute sehr viel und seiner Leistungsfähigkeit im Gehen Außerordentliches zutrauen konnte.

Indem nun seine Frau ihm ein Glas Wein vorstellte, schaute sie ihn mit einem Seitenblick auf den Bauer fragenden Blickes an. „Natürlich, sagte er, er braucht es notwendiger als ich.“ Sogleich brachte sie auch dem Bauer ein Glas Wein und suchte für ihn etwas aus dem Speisekasten heraus. Während der Doktor die Stiefel anzog, steckte ihm die Frau ein kleines Fläschchen „Holer“ und ein Stück Brot in die Rocktasche; dann ging es in die Winternacht hinaus, durch Schneegestöber in die Berge, Tall zu.

Als mir der Doktor am folgenden Tage begegnete, rief er mir schon von weitem zu: „Gott sei gedankt, dass ich gestern nach Tall gegangen bin; drei Personen habe ich das Leben gerettet; die Mutter und zwei Büblein sind frisch und gesund“ und sein ganzes Gesicht leuchtete vor Freide. Ich musste dann mit ihm gehen, um ein kleines Freudenfest zu feiern. Die Rechnung des Doktors an den Tallerbauern war dann so mäßig, dass sie selbst dem armen Bäuerlein zu niedrig schien. – Ja ja, der verstorbene Dr. Neurauter war wirklich eine herzensgute Seele.  

 

Dies ist der einzige Bericht, in dem auch die Frau des Arztes erwähnt wird. Wobei unklar ist, ob es sich um seine erste Frau Maria Wilhelm oder um Maria Linhart handelt. Sicher ist jedoch, dass das Ehepaar Neurauter zu der beschriebenen Zeit noch im Deluccahaus wohnte. Der Artikel gibt außerdem eine Vorstellung davon, welche körperlichen Anstrengungen ein Arzt in unserer Gegend auf sich nehmen musste, besonders im Winter und zu einer Zeit, als es noch keine Talstraße gab und die Wege allgemein in sehr schlechtem Zustand waren.

 

Wer den schwierigen Beruf eines Arztes im Gebirge kennt, wird auch die Ovation begreifen, die dem Jubilanten von der Bevölkerung dieses Thales bei dieser Gelegenheit dargebracht wurde und die von dessen Beliebtheit Zeugnis gibt. Aus den Innsbrucker Nachrichten vom 08.01.1902 anlässlich der Feier zum 25 Jahr-Jubiläum von Dr. Neurauter als Arzt im Passeiertal. 

 

Fein sein, gemütlich sein, fröhlich sein bei Sang und Klang. Ein vielbeschäftigter Mensch brauchte natürlich auch einen Ausgleich zu seiner anstrengenden Arbeit. Und die fand Eduard Neurauter, wie öfters berichtet wird, bei Musik und Geselligkeit, und im Besonderen bei einer Vereinigung namens Vince luna, auch genannt „Die Umgestülpten“, welche von Dr. Neurauter, genannt „Zeus“, 1898 gegründet wurde, und der er lange Zeit als Obmann vorstand. Dabei handelte es sich um eine Gesellschaft, welche aus Bürgern und Beamten des Dorfes bestand. So wurden neben regelmäßigen Treffen der Mitglieder auch besondere Feierlichkeiten mit dem vereinseigenen Streichorchester musikalisch begleitet, so z.B. die Feier für den neu ernannten Landesgerichtsrat Bezirksrichter Karl Delago. Auch Johann Wallnöfer, der ehemalige Hutmann am Schneeberg, war auf einer Durchreise Gast bei einer Sitzung von Vince luna: Die Sitzung dauerte aber sehr lange – der Mond hatte gesiegt, war aber schon im VerblassenDa Eduard Neurauter in seiner Studienzeit Mitglied der Tiroler Studentenverbindung Corps Gothia war und von daher bereits mit dem Verbindungswesen vertraut war, könnte man Vince luna als eine Art „Weiterführung“ der Verbindungstätigkeit sehen.  

 

 In dieser Gesellschaft lebt noch der Geist Dr. Neurauters, der bis in sein Alter ein jugendfrisches, frohes Studentenherz bewahrte und wegen seiner Liebenswürdigkeit und Tüchtigkeit auch heute noch in der Erinnerung der Passeirer fortlebt. Aus dem Volksbote vom 17.05.1923, anlässlich der Feier zum 25jährigen Jubiläum von Vince luna

 

Die selbsternannte „Intelligenz u. Halbintelligenz von St. Leonhard“, welche sich im Jahr 1907 beim Sandwirt zusammenfand und auf einem Foto verewigt wurde, schlug vermutlich in eine ähnliche Kerbe wie Vince luna: Eine Versammlung von lokalen Persönlichkeiten, Beamten und Vertretern der Geistlichkeit. Mit dabei ist auch Dr. Neurauter (sitzend, Dritter von rechts). Postkarte aus dem Jahr 1907 von Karl Gögele, dem späteren Dekan von St. Leonhard, an seinen Bruder Peter Gögele in Innsbruck. Mehr zur Postkarte

Dr. Neurauther leidet wahrscheinlich an Gehirnerweichung, berichtete am 02.02.1912 der Tiroler Volksbote. Zwanzig Tage später verstarb er im Alter von 67 Jahren in St. Leonhard. Er wurde unter großer Beteiligung der Bevölkerung, Geistlichkeit, Verwaltung und Politik zu Grabe getragen. Einige der Gäste reisten dafür sogar mit dem Automobil aus Meran an. 

 

Sterbebild Dr. Eduard Neurauter aus dem Archiv von Harald Haller.  

 

Nach seinem Tod lebten die Witwe Maria Neurauter und die Tochter Aloisia (genannt die „Doktor Luise“) zurückgezogen im Doktorhaus. Maria Neurauter wurde bis zu ihrem Tod am 11.09.1937 von ihrer Tochter umsorgt. Danach erbte Tochter Aloisia das Haus und verkaufte es 1944 an den Gemeindearzt Dr. Romedius Ebner. Damit zog eine neue Arztfamilie ins Doktorhaus ein. Mit Aloisa Neurauter stirbt am 08.02.1966 das letzte Mitglied der Familie Neurauter, weitere Nachfahren sind bisher nicht bekannt. 

Mittlerweile ist auch das Doktorhaus verschwunden, womit die Kohlstatt in St. Leonhard wieder einmal um ein historisches Gebäude ärmer geworden ist. Nach dem Schmiedhaus, dem alten Kindergarten und dem Lodenwalcherhaus musste nun auch das Doktorhaus einem Neubau weichen. Zumindest wurde so die Aufarbeitung der Geschichte dieses Hauses und seiner Bewohner*innen angestoßen, um das Doktorhaus auch der Nachwelt, wenigstens in dieser Form, erhalten zu können. Ja, das Doktorhaus, das war einmal…

Doktorhaus am 22.01.2023 – 28.01.2023 – 04.02.2023.  

 Falls du Fotos zum Doktorhaus hast, melde dich!
Wir würden sie sehr gerne sehen.
info@museum.passeier.it


Interessiert dich weitere Lektüre zum Doktorhaus?
Lies auch den Blogartikel zur Arzttochter Berta Ebner, die von 1930 bis 1980 im Doktorhaus lebte.

 

Liegengebliebenes

Über Berta Ebner, die mehr einzustecken hatte, als eine Bombe an ihrem Lebensende.

 
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aufgesammelt MuseumPasseier aufgesammelt MuseumPasseier

147 Nägel und ein Brett

Wissenswertes über ein längst vergessenes Gerät.

Wissenswertes über ein längst vergessenes Gerät.

Von Annelies Gufler


Das Museum ist doch in Winterpause, oder etwa nicht? Winterpause ja, Winterschlaf nein. Hinter den Museumsmauern wird weiterhin fleißig gearbeitet. Aber was? Die Museumsobjekte werden inventarisiert. Denn auch hier muss Ordnung herrschen. Jedes Teil wird hervorgekramt, vermessen, gewogen und genau unter die Lupe genommen. Eines davon ist die Hachl.

 
Hachl. Ein Werkzeug bestehend aus einem geschweiften Brett aus Hartholz mit mittig rund angeordneten spitzen Eisennägeln, die zusätzlich durch einen Eisenring verstärkt sind. Es dient dem Reinigen der gebrochenen Flachsfasern.
 

lese ich als Objektbeschreibung in den Museumsunterlagen.

Soweit so gut, aber was macht man mit einer Hachl? Ich selbst habe bis dato keinerlei Erfahrung mit diesem Gerät, außer dass man sich mit den spitzen Eisennägeln hervorragend stechen kann. Daher werfe ich die Suchmaschine an und das Abenteuer Recherche kann beginnen!

Der Flachs, der Lein, der Hoor, die Hechel, das Werg, der Hechler, der Hechelkrämer usw. All diese Begriffe und noch viele mehr spuckt die Suchmaschine aus. Ganz schön viel Unbekanntes auf einmal, aber der Reihe nach.

Was hat die Hachl mit Haaren zu tun? Der Flachs wird auf psairerisch der Flåx oder auch der Hoor genannt. Flachs ist eine einjährige Krautpflanze, die zwischen 60 cm und 100 cm hoch wird. Die Blüte besteht aus fünf lanzenförmigen blauen Blättern. Die Aussaat soll am 100sten Tag des Jahres erfolgen, die Ernte ca. drei Monate später. Wichtig ist, dass der Flachs sorgsam gejätet wird. Zu Dreikönig sollte der Flachs fertig gesponnen sein. Flachs wird im Allgemeinen in Verbindung mit Haar gebracht, z.B. flachsblondes Haar, daher kommt wohl auch der Dialektbegriff der Hoor.

Flachsblüte im Acker des MuseumPasseier, Aufnahme von 2012. Foto: MuseumPasseier

Der Flachsanbau in Passeier geht bereits Anfang des 20. Jahrhunderts stark zurück. In alten Zeitungen finde ich, dass um 1888 auf dem Katharinamarkt in Meran noch mit Flachs gehandelt worden ist. Zwei Säcke Flachs hatten damals ungefähr den gleichen Wert wie 1kg Fleisch. Die Hachl gibt es heute noch auf den Höfen, haben mir Passeirer*innen älterer Generation erzählt. Dass Flachs angebaut bzw. verarbeitet wurde, haben sie selbst nie erlebt. Unter den Objekten bezüglich Flachsverarbeitung finden sich im MuseumPasseier eine Hachl aus Hinterpasseier und eine vom Kammerveithof in St. Leonhard. Warum der Flachsanbau bereits Anfang des 20. Jahrhunderts in Passeier endete, konnte ich nicht in Erfahrung bringen.

Die zwei Hachlin im MuseumPasseier aus dem 18. Jahrhundert.
Foto 1-3: Die Hachl aus Hinterpasseier. Länge 57 cm. Breite: 17,3 cm. Eisennägel Höhe 7,7 cm. Eisenring Umfang 51 cm. Gewicht: 2537 g.
Foto 4-6: Die Hachl vom Kammerveithof in St. Leonhard in Passeier. Länge 64 cm. Breite 18 cm. Eisennägel Höhe 6,7 cm. Eisenring Umfang 53,4 cm. Gewicht: 2088 g.

Auch wenn im 20. Jahrhundert kein Flachs in Passeier angebaut wurde, gebraucht hat man ihn dennoch notwendig. Das gesponnene Garn wurde dazu verwendet, um Leinenstoffe, Loden, Seile, Teppiche und Fackeln herzustellen. Aus dem gewebten Leinenstoff entstanden harbine Pfoatn, Blusen, Leinwände, Tischdecken… Der Flachs hat den Vorteil, dass er wesentlich strapazierfähiger ist als Wolle. Zudem bilden die hohlen Fasern eine Isolationsschicht, die kühlend im Sommer und wärmend im Winter ist.

Er ist ein „Mädchen für Alles“. So wird in einer Dokumentation des Ötztaler Museum der Lainsoom (enthaltene Samen in den Kapseln der Flachspflanze) bezeichnet, da er eine besondere Bedeutung in der Volksmedizin und in der Naturheilkunde hatte.

Das Ötztal als Flachslieferant für Passeier. Bereits der einst reichste Passeirer Michael Hofer handelte mit Flachs aus dem Ötztal. Flachshändler teils einzeln, teils zu Gesellschaften vereint, kauften früher den Flachs und lieferten ihn über die Berge.

Wie kam man zu einer harbinen Pfoate? Dafür war ein langer Aufbereitungsweg notwendig.

  • Raufen – Ausreißen der Pflanze mit der Wurzel, wobei jeweils eine Handvoll zu einer Garbe gebunden wird.

  • Riffeln – der Flachs wird durch einen Riffel gezogen, um die Samenkapseln zu entfernen.

  • Reaßn – die Garben werden auf eine frisch gemähte Wiese gelegt, Wind und Wetter ausgesetzt, mehrmals umgedreht und mit Wasser benetzt. Dadurch tritt ein Fäulnisprozess ein und die Flachsfaser löst sich vom Stängel.

  • Trocknen – dafür werden die Garben geggårggert, bis sie ein silbernes Aussehen erhalten.

  • Prächlin – hierbei kommt die Prächl zum Einsatz. Mit diesem Gerät werden die Holzteile des Stängels gebrochen und die Flachsfaser kommt zum Vorschein.

  • Schwingen – der Flachs wird auf einen Schwingstock gelegt und mit einem Schwingmesser werden die groben Holzteile entfernt.

Die Schritte der Flachsverarbeitung. Ein Video der Südtiroler Bäuerinnen-Organisation von 2018. Quelle: YouTube.

Hecheln siebter und letzter Schritt – der Flachs wird bündelweise mehrmals nacheinander durch die Hachl gezogen. Zuerst durch eine grobe, dann durch eine feinere. Dann sind die Flachsfasern gereinigt, geglättet und vom Stängel getrennt. Den dabei entstehenden Abfall nennt man Wärch. Durch das Hecheln bekommen die Fasern noch den letzten Feinschliff verpasst. Den daraus entstandenen Langfaserflachs flechtete man zu Zöpfen oder Puppen und teilte ihn in drei Kategorien: Feinstes Hoor verwendete man für Blusen und Pfoatn. Mittlere Qualität wurde zu Leintüchern und Tischdecken verarbeitet. Aus dem grob Rupfinen fertigte man Säcke, Seile, Fackeln oder Teppiche.

„Selbst gewonnen, selbst gemacht“. Nicht umsonst war ein Schrank voll gewebter Tuchballen einst der ganze Stolz einer Bäuerin. Foto: MuseumPasseier.

Das Wort Hechel leitet sich vom selben Wortstamm wie Haken ab, welche auf die zum Kämmen der Fasern angebrachten Haken bzw. Eisennägel hindeutet. Anderswo ist der Hechler oder Hechelmann auch ein Berufsname.

Die Hachl als Marterinstrument. Auch dafür wurde dieses Arbeitsgerät verwendet. Der heilige Blasius von Sebaste wurde unter anderem mit der Hechel gefoltert und hat 316 n. Chr. das Martyrium erlitten. Weniger körperlich schmerzhaft aber ebenso unangenehm ist es, wenn man von jemandem sprichwörtlich durchkhachlt wird, wie von Franz Lanthaler in seinem Artikel „Spuren der Vergangenheit in der Sprache“ beschrieben.

Mit der Hachl haben auch wir uns auf die Suche nach Spuren der Vergangenheit gemacht, längst Vergessenes wieder aufleben lassen und sind dabei selbst gar manches Mal ins Hecheln gekommen.

Sogar das Zählen war eine haarige Angelegenheit: Weit über 100 Eisenstifte besitzt eine Hachl für den Hoor. Video: MuseumPasseier

Wer hat eine Hachl daheim? Oder kennt Passeirer Geschichten zur Flachsverarbeitung?
Wir freuen uns auf einen Kommentar oder eine Nachricht!  

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Kein Märchen

Wie Passeier zu seinem Herrn Holle kam.

Wie Passeier zu seinem Herrn Holle kam.

 

Von Judith Schwarz

 
 

Kürzlich stolperte ich über ein Wort, von dem ich nicht wusste, dass ich es brauchen würde: Serendipität. Es benennt das zufällige, glückliche Entdecken von Objekten oder Informationen, ohne dass man gezielt nach ihnen gesucht hätte. Kurz zuvor hatte ich im Taufbuch von St. Martin die Geburtsdaten eines Herrn Gamper gesucht. Als meine Augen bei einem Herrn Holle hängen blieben.

Wer zur Hölle war dieser Holle?
Und wie kam er ins Passeier? Die Angaben zu ihm lauten: Am 15. Dezember 1880 in Meran geboren, am 23. März 1881 in St. Martin in Passeier auf den Namen Karl getauft, Mutter Sophie Holle, Schauspielerin in Stuttgart, Wohnort Außerhochwies. Hollewind! Hatte es da etwa eine märchenhafte Romanze zwischen einer Schauspielerin und einem Passeirer gegeben?

Damit war Herr Gamper vergessen, der Serendipität und meiner Neugier sei Dank. Gampers hat schließlich jedes Südtiroler Tal, eine Frau Holle mit Sohn hingegen nicht. Wie kommt eine Stuttgarter Schauspielerin mit ihrem Neugeborenen nach Außerhochwies in St. Martin? Blieben sie und ihr Sohn im Passeier? Und warum tauft sie ihn erst nach über drei Monaten, wo man früher doch sozusagen “ums Verrecken” am selben Tag die Taufe vollzogen haben wollte?

Holles Taufe hatte tatsächlich weniger mit der Geburt, als mit dem Tod zu tun. Dies lässt sich aus dem Vermerk „baptizatus morte proximum“ herauslesen: Der Säugling lag im Sterben. Waren also die Geburt im Dezember, das etwaige Gerede der Leute und die Angst vor einem sogenannten “Heiden” im Haus nicht Gründe genug für eine schnelle Taufe? Und erst der nahende Tod durch Krankheit oder Unglücksfall veranlasste die Mutter, das drei Monate alte Kind zu einem Priester zu bringen?

Und der Kindsvater? Ärgerlicherweise fehlen Angaben zur Entbindung in Meran oder zur Hebamme. Und natürlich auch die Angaben zum Vater des Kindes, das den Nachnamen der Mutter trägt. Entweder weil der Pfarrer nicht nachgebohrt hat oder die Mutter nichts dazu sagen wollte. Und die Suche nach Karl Holle in Merans Taufbüchern hätte ich mir sparen können, denn das Kind wurde dort ja nicht getauft. Tja, schön blöd von mir, da lob ich mir meine Funde nach dem Prinzip der Serendipität!

Springen wir zurück in die Zeit, als es noch keine Privacy-Bestimmungen gab. Als die Namen der ankommenden Reisenden sogar in Zeitungen veröffentlicht werden konnten. So listet die Meraner Zeitung unter Angekommene Fremde zwischen 1. und 5. Oktober” 1880 auf: Fräulein S. Holle, Stuttgart. Nun, sie war bei ihrer Anreise also bereits im vielleicht siebten oder achten Monat, denn rund vierzig Tage nach ihrer Ankunft hat sie die Niederkunft. Ein Passeirer als Vater fällt damit also wohl flach. Kam das hochschwangere Fräulein Holle vielleicht zum Entbinden in die Kurstadt? Oder doch auch zum Schauspielen?

Was treibt Fräulein Holle in Meran? Einige Ausgaben später schreibt dieselbe Zeitung, dass Fräulein Holle im Lustspiel „Hasemanns Töchter“ von Adolph Arronge in der Rolle der Emilie Hasemann aufgetreten sei. Und Zufall oder nicht: Gelobt wird die von ihr gespielte Szene, in der es über die Erziehungsmethode eines noch ungeborenen Kindes geht. Ob sie die Sätze geglaubt hat, die sie auswendig zu lernen hatte: “Abhärten muss man es [das Kind] von früh auf durch kalte Abreibungen!” (2. Akt, 7. Szene)? Die Bühnenfigur Emilie jedenfalls ist im Stück nicht schwanger, Sophie Holles Babybauch also wohl auch nicht ein Grund für das Engagenment.

Die Holle schauspielert nicht nur, sie singt auch. So zum Beispiel Mitte November, also einen Monat vor der Entbindung, im Kurhaustheater eine Arie aus der Oper „Der Waffenschmied“ von Albert Lortzing. Am Wochenende drauf zwei Arien aus „Webers Freischütz“. Und Mitte Dezember, vier Tage vor der Geburt ihres Sohnes, in der Rolle der Rosa in der Ouvertüre Martha. Vergeblich sucht man in den Berichterstattungen der hiesigen Zeitungen jedoch einen Hinweis auf ihre wohl “ansehnliche” Schwangerschaft. Höchstens der Nebensatz Frl. Holle, welche sehr gut disponiert war ließe sich als Andeutung in diese Richtung lesen oder vielmehr wunschdenken. Falls der Kurtheaterverein von der bevorstehenden Geburt gewusst hätte, hätte sie überhaupt auftreten dürfen?

Könnte es sein, dass Fräulein Holle ihre Schwangerschaft verheimlicht hat? Laut Taufbuch von St. Martin brachte Sophie Holle am 15. Dezember 1880 in Meran einen Sohn zur Welt. Die Meraner Zeitung veröffentlicht am 20. Dezember, dass der Meraner Kaufmann Kosmas Wiedner die gewesene Schauspielerin (!) am 14. Dezember wegen Nichtbezahlung von 22 Gulden und 10 Kreuzer verklagt habe und ihr Aufenthaltsort zu diesem Zeitpunkt unbekannt sei. Laut Bozner Zeitung war Fräulein Holle untergetaucht, ohne der Direktion des Kurtheaters Meldung zu machen. Vor allem letztere Aussage machte keinen Sinn, wäre ihre Schwangerschaft und damit ihr voraussichtlicher Entbindunsgtermin bekannt gewesen.

Merans Gerüchteküche brodelt. Bis endlich ein Journalist der Bozner Zeitung Ende Dezember schreibt, dass Fräulein Holle seit einer Woche wieder in Meran weile und während ihrer Abwesenheit ein Konzert in Brixen oder Innsbruck arrangiert habe, also jegliche Gerüchte über ihr plötzliches Verschwinden beste Widerlegung gefunden hätten. Die Meraner Zeitung hingegen weiß am Neujahrtag 1881, dass Sophie Holle beabsichtige aus dem Kurtheaterverein von Meran auszusteigen und mit einem auswärtigen Sänger und mehreren Einheimischen in der ersten Januarhälfte ein Konzert im Kurhaus geben werde. Man lese und staune.

Es kommt, wie es kommen muss. Oder wie es vielleicht geplant gewesen war? Das Konzert, das für den 19. Jänner 1881 angekündigt worden war, wird am Tag der Aufführung ohne Angabe von Gründen abgesagt. Danach wird es still in der Berichterstattung um Sophie Holle, die Presse scheint sich nicht mehr für sie zu interessieren – oder der Bühnenstar ihnen nichts mehr zu bieten. Dann im März dieser ominöse Eintrag im Martiner Taufbuch: Lebte sie zu dem Zeitpunkt auf Außerhochwies? Oder hatte sie etwa den Sohn zur Pflege dorthin gegeben und war selbst in Meran geblieben? Es war damals nicht unüblich, dass man in Passeier gegen ein Entgeld Kinder großzog.

Also eine Taufe ohne das Wissen der Mutter? Auch das wäre möglich. Ebenso, dass die Stuttgarterin Holle evangelisch war. Sollte sie also bei der Taufe nicht anwesend gewesen sein, dann stammten die Angaben bzw. auch die Nicht-Angaben wohl von der angegebenen Taufpatin Barbara Kofler. Das kleine Gütl Außerhochwies östlich von St. Martin (heute Josefsberg, Kammerveiterstraße 37/38) war seit 1872 im Besitz des Webers Jakob Pöhl und seiner Ehefrau Maria Kofler, Barbara Kofler also vielleicht deren Mutter oder Schwester. Und eventuell jene Frau, der Sophie Holle ihr Kind und dessen (richtige oder falsche) Geburtsdaten anvertraute.

Je mehr Antworten man sucht, umso mehr Fragen findet man. Aber irgendwann tauchten auch ein paar neue Hinweise auf. So existiert im Staatsarchiv Ludwigsburg die Personalakte Sophie Holles für das Königliche Hoftheater Stuttgart. Sie war dort 1877 als Chorschülerin eingetreten, ihr Austritt datiert auf den 21. September 1879, also ein halbes Jahr bevor sie schwanger wurde. Ebenso erfährt man, dass sie die Tochter eines Damenschneiders war, unter Verdauungsproblemen in Folge von Anämie litt und sich bei Theaterproben schwer verletzte, als sie in eine Bühnenvertiefung stürzte. Über Gliederschmerzen in Folge des Sturzes klagte sie immer wieder, ebenso über Geldprobleme. Wann genau sie Stuttgart verlässt, warum und wie es sie nach Meran verschlägt, lässt sich aus der Personalakte nicht herauslesen.

Karl in Passeier, Sophie in Stuttgart. So wird die Realität ausgesehen haben. Im Herbst 1882 ist Sophie Holle nämlich wieder in Stuttgart: Sie bittet um Wiederaufnahme als Chorsängerin im Königlichen Hoftheater, da sie ihrer verstorbenen Mutter versprochen habe, sich um ihre jüngeren Geschwister zu kümmern und diese noch zu jung seien, um in die Welt hinaus geschickt zu werden. Das Ansuchen wird abgelehnt. Wir erfahren, dass sie weibliche Handarbeit macht, im elterlichen Kleidergeschäft aushilft soweit es ihre Gliederschmerzen erlauben und ab und an ein Konzert geben kann. Im Februar 1897 spielt sie wieder im Kurhaustheater in Meran in einem Volksstück mit, berichtet die Presse. Ihr Sohn Karl ist zu der Zeit 16 Jahre alt. Ob sie ihn in Passeier besucht hat?

Was wurde aus dem Sohn von Fräulein Holle? Über seine Kindheit erfahren wir nichts. Er wird Bauernknecht in Hinterpasseier – und damit quasi chancenlos, es wie seine Mutter in die Zeitungen zu schaffen. Möchte man meinen. Die Zeitungsnotiz, die ihm gewidmet wird, belehrt uns eines Besseren. Anfang des Jahres 1920 sterben nämlich in Moos in Passeier gar einige Menschen, so dass dies dem “Burggräfler” ein Artikel wert ist. Nach dem Zimmermann Josef Mader („der Zeit seines Lebens wohl 70 Menschen die letzte Behausung geliefert und sie darin einquartiert hat“) ist der vierzigjährig Verstorbene Karl Holle genannt. Er wird als “vulgo Holle Karl” beschrieben, sein Schreibname sei unbekannt, man spekuliert: vermutlich weil er keinen hatte.

Ein Passeirer mit demselben Namen wie die Wetterfrau im Grimm-Märchen von 1812 schien dem Journalisten wohl zu weit hergeholt. Die späte Erkenntnis, dass es diesen einen Passeirer doch gegeben hat, verdanken wir einem glücklichen Zufall, vulgo Serendipität.

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Bildschön

Kennt ihr diesen Moment, wenn ein neues altes Gemälde auftaucht? Und ihr alles dazu herausfinden wollt?

Ein Passeirer Ehepaar mit sorgfältig ausgewählten Objekten, die Besitz und Reichtum demonstrieren. © Palais Mamming Museum

 

Wenn plötzlich zwei alte Porträts auftauchen. Und mit ihnen viele neue Fragen.

 

Von Judith Schwarz

 

Es begann an einem Sonntag kurz vor 12 Uhr. Der Kunsthistoriker Hanns-Paul Ties schrieb eine E-Mail ans Museum: Hab gestern ein bisschen in der Südtiroler Kulturgüter-Datenbank geschmökert (…): Darunter sind zwei hübsche Porträts aus Moos. Der beigefügte Link führte zu einem gealterten Ehepaar auf zwei separaten Bildtafeln im Palais Mamming Museum in Meran. Die Qualität der Schwarz-Weiß-Fotos war steigerungsfähig. Aber die Notizen Porträt von einem M. Hofer und aus der Konkursmasse des Wirtes in Moos (Passeier) ließ erahnen, dass es sich um den Mooserwirt Michael Hofer und seine Gattin handeln würde.

Bildschön: Ein Ehepaar aus Moos lässt sich im 18. Jahrhundert porträtieren. Der erste Gedanke: Ein Porträt des berühmt-berüchtigten Michael Hofer (1696–1765), dem zu seiner Zeit reichsten Passeirer. War ja klar, dass irgendwann ein Bild von ihm auftauchen musste. Endlich würde man ihn sich „bildlich“ vorstellen können. Der zweite Gedanke: Bemerkenswert, seine Frau durfte auch verewigt werden. Damit muss es das älteste Porträt einer nichtadligen Passeirerin sein, älter als die Bildnisse der Sandwirtin Anna Ladurner. Und Gedanke Nummer drei war dann sozusagen die Vereinigung der beiden vorhergehenden: Ein frühes Bildnispaar von Passeirer Eheleuten, das hatten wir so auch noch nicht.

Ties und Teis: Wenn das kein Zufall ist. So jemand wie Michael Hofer, der durch männliche Schönheit und klugen Geist angeblich sogar Maria Theresia zu beeindrucken vermochte, war natürlich öfters verheiratet. Als Waise hatte er blutjung das Gasthaus Mooserwirt in Moos übernommen und geheiratet, sobald er volljährig war. Da seine erste Gattin nach vier Jahren Ehe starb, heiratete er – nach dreimonatiger Trauerzeit – Magdalena Teis, die dargestellte Frau auf dem Pendant zu Michael Hofers Porträt. Während wir aber, wenn wir wollten, zu Michael Hofer eine lange Liste an Geschäftsbeziehungen, Güterbesitz und Geldanhäufungen tippen könnten, war Magdalena Teis bislang „unsichtbar“. Der Fund von Hanns-Paul Ties forderte uns zur Beschäftigung mit der Teisin heraus.

Vor Magdalenas Geburt überkreuzen sich die Bande der Familien Teis und Hofer. Natürlich, in einem Tal wie Passeier wäre es seltsam, wenn es anders gewesen wäre. Magdalenas Vater und seine erste Gattin Ursula Meister scheinen in den 1680er Jahren als “Priewirt” bzw. Priewirthin” auf, führen also den Gasthof Brühwirt neben der Pfarrkirche in St. Leonhard. 1689 (er hat sich nach dem Tod seiner Frau ein weiteres Mal verheiratet) kauft Johann Teis die Brühwirtsbehausung und zwar von der Besitzerin Eva Auer bzw. deren Gatten, dem Mooserwirt Johann Hofer. Diese beiden werden sieben Jahre später die Eltern des porträtierten Michael Hofer, des Mooserwirtserben. Weitere sechs Jahre später, am 20. Juli 1702, kommt Magdalena auf die Welt. Allerdings (schade!) nicht im Brühwirt, dem ehemaligen Haus ihrer zukünftigen Schwiegermutter, denn die Teis sind mittlerweile weitergezogen.

Wohin führen die Spuren von Magdalenas Familie? Bereits 1692 ist Vater Johann Teis als cauponis in superioris von St. Martin genannt, womit das Gasthaus Oberwirt gemeint ist. Während der älteste Bruder von Magdalena also noch in St. Leonhard als Brühwirtssohn auf die Welt kommt, sind sie und ihre weiteren sieben Geschwister in St. Martin als Oberwirtskinder geboren. “Einmal Wirt, immer Wirt”, kommt einem da in den Sinn. Oder auch “Gleich und Gleich gesellt sich gern”, wenn wir an unsere porträtierten Eheleute denken: Oberwirtstochter von St. Martin heiratet Mooserwirtssohn von Moos. Zumal auch Magdalenas Mutter nicht von schlechten Eltern ist. Elisabeth Haller, die zweite Gattin des Johann Teis, ist die Tochter des Passeirer Richters Heinrich Haller aus St. Leonhard. Kurzum, Magdalena war wohl das, was man landläufig eine gute Partie nennt. Nichtsdestotrotz geben die offiziellen Geschichtsquellen nur wenig über sie her.

Ein Weibsbild. Als Porträt ein seltener Anblick für die Passeirer*innen der früheren Jahrhunderte. © Palais Mamming Museum

Leider passen Magdalenas Eckdaten in einen Absatz. Wir kennen ihr Hochzeitsdatum: Am 2. September 1721 heiraten Magdalena Teis und Michael Hofer in St. Leonhard. Wir erfahren in den Taufbüchern von den Geburten ihrer acht Kinder: Karl (1722), Maria (1724), Michael (1727), Johann (1732), Eva (1734), Helena (1737), Anton (1739) und Simon (1741).
Und natürlich erfahren wir auch vom Tod ihres Mannes: Michael Hofer stirbt 1765 nach 44 Jahren Ehe, finanziell sind Magdalena und ihre erwachsenen Kinder gut versorgt. Zehn Jahre nach dem Tod von Michael Hofer stirbt Magdalena im Alter von 73 Jahren und wird am 15. November 1775 als ehrenwerte Witwe in Moos zu Grabe getragen.

Der berühmte Mooserwirt Michael Hofer war bislang nur in Texten fassbar. Endlich können wir ihn uns bildlich vorstellen. © Palais Mamming Museum

Die Mooserwirtsleute im Porträt. Höchste Zeit, uns den beiden Ölgemälden zuzuwenden. Was wir bislang wissen, vermuten und noch herausfinden möchten:

  • Wahrscheinlich nicht. Auf dem Bild fehlen die typischen Attribute wie Ring oder Blumen. Auch ist Magdalena Teis, die 19-jährig heiratete, eindeutig zu alt dargestellt. Ungewöhnlich ist die Rechts-Links-Anordnung. In der Regel befindet sich die Ehefrau zur Linken des Mannes, das heißt, sie wird normalerweise auf der rechten Bildtafel platziert. Aber anders als bei klassischen Ehepaarbildnissen ist Michael Hofer auf der “Frauenseite”, also auf dem rechten Bild, platziert. Magdalena Teis ist damit auf der hierarchisch höherstehenden Seite dargestellt. Ob man in diese Abweichung des Rechts-Links-Schemas etwas hineininterpretieren darf oder soll, sei dahingestellt.

  • Die Hinweise auf den Buchrücken lauten:

    BA(…)M.
    LANDS.ORD:/NUNG.
    BARTHOL:/UM.
    GAIL
    Perneder
    Arnold


    Der Mooserwirt wollte also wohl als Leser der Tiroler Landesordnung und der Werke einiger berühmter Rechtsgelehrter angesehen werden. Hanns-Paul Ties gibt für die “Bibliothek” folgende Identifikationsvorschläge: Es könnte sich bei den Autoren um den Rechtsgelehrten Bartolus de Saxoferrato (um 1313-1357), den Kölner Kanzler Andreas von Gail (1526-1587) und den bayerischen Juristen Andreas Perneder (um 1500-1543) handeln, als “Arnold” kommen hauptsächlich Laurentius Arnold, ein schlesischer Jurist des frühen 17. Jahrhunderts, und Georg d’Arnaud (1711-1740), ein niederländischer Professor Juris, in Frage.

    Ob die Bücher tatsächlich im Mooserwirtshaus existiert haben, wäre eine andere Recherche. Falls ja, stellte sich die Frage: Wie kam ein Passeirer Wirt des 17. Jahrhunderts an eine rechtswissenschaftliche „Bibliothek“? Ein naheliegender Gedanke könnte sein: Über den Großvater mütterlichseits von Magdalena Teis, den Passeirer Richter Heinrich Haller.

  • Beda Weber schrieb 1852: Noch jetzt ist das Andenken an diese Wirthshausherrlichkeit in den Passeirern nicht ausgestorben. Michael Hofer saß mit freundlicher Umsicht mitten im Korn. Der Zoll in St. Martin war sein Pacht von der Landesregierung zu mäßigem Preise. Auch wenn nicht ganz klar ist, ob Beda Weber „mitten im Korn“ wörtlich oder sprichwörtlich verwendete: Die Darstellung von Waage und Getreideähre würde sich sehr gut als Andeutung auf Michael Hofers Geschäftstätigkeit eignen. Es war allerdings wiederum Hanns-Paul Ties, der einen weiteren interessanten Gedanken einbrachte: Nämlich den Hinweis auf die Waage als das klassische Gerechtigkeitssymbol schlechthin, was wiederum zur dargestellten juristischen Bibliothek von Michael Hofer passen könnte.

  • Schlüssel in Frauenhänden verweisen in der Regel auf deren Rolle als Hausherrin/Hauswirtin. Während also die Gegenstände von Michael Hofer betonen, dass sich seine Tätigkeiten vor allem nach außen richten, erzählt der Schlüssel in Magdalenas Händen, dass sie die Kontrolle über das Wohnhaus/ Wirtshaus hat. Da die Textzeilen im offenen Buch nicht lesbar sind, kann es sich um ein Gebetbuch oder auch ein „Wirtschaftsbuch“ von Magdalena handeln.

  • Auf Michael Hofers Jacke erkennt man einen Anhänger mit einer stehenden Figur, die in ihrer linken Hand ein Kreuz emporzuheben scheint. Hanns-Paul Ties denkt an den „Wasserheiligen“ Johannes Nepomuk, der 1729 heiliggesprochen wurde.

  • Grob gerechnet müssen die Bilder im Zeitraum zwischen der Hochzeit 1721 und dem Tod von Michael Hofer 1765 entstanden sein. Da Magdalena nicht gerade als junge Frau dargestellt ist, wird es sich um die 1750er bzw. 1760er Jahre handeln.

  • Beide Bilder sind unsigniert und damit beginnt das Rätseln über die Zuschreibung. Es liegt nahe, dass der Auftrag an ein Mitglied der Passeirer Malerfamilie Auer gegangen ist. Die Auer malten in drei Generationen im sogenannten Malerhaus in St. Martin in Passeier, allerdings sind keine autonomen Porträts aus ihren Händen bekannt. Speziell Johann Benedikt Auer (1722–1792) soll – nach Beda Weber – in Innsbruck die Bildnismalerei erlernt und in Trient, Verona und Venedig als Porträtmaler gearbeitet haben, bevor er 1751 wieder nach Südtirol zurückgekehrt ist. Um 1753 hat er sich erneut in St. Martin niedergelassen und die väterliche Werkstatt übernommen. Sollten die Bilder in den 1750er Jahren entstanden sein, wären die beiden Eheleute demnach rund 50 bis 60 Jahre alt gewesen. So gut es zeitlich und geografisch auch passen mag: Hanns-Paul Ties, der Experte in punkto Passeirer Malerschule, meint: Stilkritisch lässt sich eine Zuschreibung der Gemälde an ein Mitglied der Malerfamilie Auer nicht wirklich begründen, ausschließen aber auch nicht.

  • Beide Bilder wurden im Jänner 1910 vom damaligen „Städtischen Museum von Meran“ um 60 Kronen angekauft, laut Einkaufsregister des Museumsgründers Dr. Franz Innerhofer (1847–1918) „aus der Konkursmasse des Wirtes in Moos“.

  • Nicht minder bekannt wie dazumal der renommierte Mooserwirt des 18. Jahrhunderts, ist heute der ehemalige Mooserwirt des 21. Jahrhunderts. Harald Haller, der zwischen 2003 und 2019 das Gasthaus gekauft, erforscht, renoviert, geführt, verpachtet und verkauft hat, gab mir den Tipp: Im Lesebuch Ötztaler Alpen (Haid Hans, 2002, S. 152ff) gibt es einen Bericht eines Reisenden, der ein Gemälde beim Mooserwirt erwähnt. Und tatsächlich: Der Reisende, der im Sommer 1867 auf dem unebenen Raume in und um Moos herumkletterte, war Anton von Ruthner. Beim Mooserwirt war ihm ein gut gemaltes Porträt eines decorirten Mannes in schwarzer Amtstracht nach der Mode der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts aufgefallen, was er in seinem Bericht Aus Tirol. Berg- und Gletscher-Reisen in den österreichischen Hochalpen (1869, Seite 352) auch vermerkte. Auch wenn es sich nicht um unser Porträt mit dem grünbejackten Michael Hofer handeln kann (und kein dazugehörendes Frauenporträt erwähnt ist), sind die weiteren Zeilen des Autors interessant: Auf mein Befragen, wer dies sei, meinte nämlich der Wirth, einer seiner unmittelbaren Vorfahren, und verbesserte meine Bemerkung, dass dies dem Schnitte der Kleidung nach sein Urgrossvater sein müsse, dahin, dass es der Vater seines Urgrossvaters sei. So bewahrt sich denn hier in einer schlichten Bauernfamilie der Nachweis, wer die Voreltern waren, dieses vermeintliche Vorrecht des hohen Adels, […] länger als gewöhnlich. Der Wirt, mit dem Anton von Ruthner gesprochen hat, muss Josef Hofer gewesen sein, dessen Vater, Großvater und Urgroßvater Johann hießen, und dessen Ururgroßvater Michael Hofer war. Sofern die Aussagen von Ruthner und Hofer von 1867 stimmen, sollte es also noch ein weiteres Porträt von Michael Hofer geben/gegeben haben.

Was es ebenfalls geben wird: Die einen oder anderen Hinweise, Geschichten und Fehler zu den beschriebenen Personen und Porträts.
Schreib sie uns in die Kommentare! Wir freuen uns … 

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Abenteuer Jaufenstraße

Die Sonderausstellung erzählt vom strenghen Perg und über die Zeit der ersten Automobile im Passeier.

Bis vor kurzem war Besucher*innen der Zutritt in den Sandwirtskeller verwehrt. Seit Juni dieses Jahres präsentiert sich hier die Sonderausstellung „Abenteuer Jaufenstraße 1912-2012“.

Von Albin Pixner

 

Eingangs sehen wir, wie Reisende aus vergangenen Zeiten den Jaufen gesehen haben. So schreibt ein deutscher Maler, er habe auf Händen und Füßen kriechen müssen, ein Schriftsteller berichtet von einem Bärenwetter und wieder andere lamentieren über den schrecklichen Weg und die Riesenbollwerke aus Felsen. Übrigens: Während wir heute mit dem Auto bequem in 45 Minuten von St. Leonhard nach Sterzing gelangen, berichten diese Quellen von 7 bis 8 Stunden Gehzeit.

Ein Passeirer fährt nicht.
Seit Urzeiten führte nur ein Saumweg über den Pass und der Verkehr wurde von Säumern und Kraxenträgern bestimmt, die Waren transportierten. Wie der alte Jaufenweg verlief, liegt teilweise immer noch im Dunkeln. Auf alle Fälle spricht man von vier Varianten des alten Jaufenweges, was die Nordseite betrifft. Ab St. Leonhard führten vermutlich zwei Wege bis nach Walten.

Die Passeirer waren seit jeher als Wanderhändler unterwegs, passend dazu auch der Spruch: „Ein Passeirer geht und trägt, aber er fährt nicht.“ Eine naheliegende Notwendigkeit, denn das Tal bot für die ärmliche Bevölkerung nur bedingt Lebensmittel und Arbeitsmöglichkeiten, verbindet aber das Burggrafenamt mit dem Inn- und oberen Eisacktal. Und lange Zeit konnten Waren zu Fuß oder mit Saumpferden rascher über den Jaufen befördert werden, als es der Straßenverkehr über Bozen imstande war.

Bärenstarke Kraxenträger
Die Passeirer Kraxenträger waren im alten Tirol bekannt. Auf ihren Kopfkraxen trugen sie Waren vom Burggrafenamt über den Jaufen ins Inntal und bis nach Bayern. Es gibt kaum eine Ware mit der Kraxenträger und Säumer nicht hausierten, von Salz, Obst, Getreide, Wein und Schnaps bis zu Vogelkäfigen, Geschirr, Uhren, Bildern und verbotenen Büchern. Auch wenn die Zölle oft umgangen wurden, blieb ihr Verdienst mehr als bescheiden. Ihre Lasten waren aber umso höher: Frauen trugen durchschnittlich bis zu 65 kg, Männer bis zu 85 kg auf dem Rücken. In Erzählungen und Anekdoten sind sie bisweilen zu Bärenkräften gekommen: So soll der große Ultner über 280 kg  getragen und die Lasten der anderen Träger auf sich genommen haben, so dass diese keinen Zoll zu zahlen brauchten.

Die Passeirer Säumer hingegen lieferten mit ihren Pferden Waren über den Jaufen und besorgten auch den Transport von Lebensmittel, Holz und Erzen für und vom Bergwerk Schneeberg in Hinterpasseier. Im Mittelalter waren die Passeirer Säumer die offiziellen Hoflieferanten für die Landesfürsten auf Schloss Tirol bzw. in Innsbruck. Im Gegenzug erhielten sie zahlreiche Privilegien. Die Bedeutung des Saumwesens zeigt sich auch daran, dass es in Passeier teilweise über 300 Pferde gab. Weil der Jaufen so „streng“, will heißen so beschwerlich war, erhielten die Passeirer im Mittelalter sogar ein besonderes Privileg vom Landesfürsten: Für fünf geladene Pferde wurden ihnen am Zolll nur vier berechnet. Ebenfalls im Mittelalter wurde auf der Passhöhe das Jaufenhaus errichtet, das für die Verpflegung und Unterbringung von Pilgernden und Reisenden zuständig war. Der Wirt am Jaufenhaus hatte unter anderem die Verpflichtung, abends und bei schlechten Wetter von der Passhöhe aus dreimal zu schreien und abzuwarten, ob er Hilferufe hört. Einige illustre Gäste sind über den Jaufen gereist, so zog Kaiser Ludwig von Brandenburg mit zahlreichem Gefolge über den Jaufen nach Meran. Dort fand die Hochzeit seines Sohnes mit der Landesfürstin Margarethe „Maultasch“ von Tirol statt. Der Bischof von Freising, der die Trauung vollziehen sollte, stürzte dabei auf dem Jaufen vom Pferd und starb.

Ab dem 15. Jahrhundert ging der Verkehr über den Jaufen zurück. Der Kunterweg durch die Eisackschlucht war zum Fahrweg ausgebaut worden, die Jaufenroute konnte damit weder finanziell noch zeitlich mithalten.

Zeitweise gab es sogar einen eigenen Postbotenlauf über den Jaufen. Die Jaufenpost konnte sich aber nicht lange halten. Kurios auch die Vermessung des Jaufens aus dem Jahre 1725. Ein gewisser Amandus Platter hatte von Hand (!) sämtliche Entfernungen, Brücken, Schranken (Geländer) und Firlegbamb gemessen und sogar die Schneestangen gezählt. Im 17. Jahrhundert verfiel der Jaufenweg zunehmend. Selbst gut gepflasterte Abschnitte waren teilweise zerstört, dass sie nur noch mit Mühe zu Fuß zu passieren waren. Der Passeirer hält jedes Künsteln am Wege als verlorene Liebesmüh, schreibt ein Zeitgenosse dazu treffend. Um 1830 versiegte der Saumhandel über den Jaufen. In der Folge ging der Umsatz der Wirtshäuser stark zurück. Die Anzahl der Pferde in Passeier fiel von 230 Tieren im 18. Jahrhundert auf elf Pferde um 1850. Viele Passeirer verloren ihre Einnahmequelle und fanden im Tal keine Arbeit mehr. In diese Zeit fiel auch der stärkste Bevölkerungsrückgang im Passeier.

Bereits 200 Jahre vor dem Bau der Jaufenstraße tauchten die ersten Pläne für eine Wagenstraße über den Jaufen auf.
Alle Pläne scheiterten aber an den Passeirern selbst. Sie brachten stets zahlreiche Gegenargumente vor – der Nutzen sei  nicht von Belang, der Verkehr könnte die Wiesen schädigen, durch eine Straße würden sich  Sittenverderbnis und Unglaube einschmuggeln .... Ihr Hauptgrund für den Widerstand war aber stets die Sorge vor den Baukosten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts drängte vor allem die Stadt Meran auf die Errichtung der Jaufenstraße, um für die Touristen bequemer erreichbar zu sein sowie den Gästen ein neues Ausflugsziel in der Umgebung anbieten zu können. Als die Passeirer dann endlich die Vorteile einer Straße erkannten, begannen die Streitigkeiten über die Beteiligung der Kosten sowie über den Straßenverlauf.

Leider haben wir keinerlei Notizen, Tagebuchaufzeichnungen oder Pläne vom Bau der Jaufenstraße.
Die einzigen Quellen sind die zeitgenössischen kurzen Berichte in den Lokalzeitungen. Sie erzählen von Felssprengungen, von über 900 Arbeitern, von Problemen wie brüchiges Gestein, rauhes Klima und Schwierigkeiten bei der Verpflegung und Unterbringung der Arbeiter. 1907 wird sogar von einer Demonstration berichtet, bei der die Arbeiter eine Lohnerhöhung erreichten. Obwohl zu Beginn mit der Fertigstellung im Jahr 1909 gerechnet worden war, konnte erst 1911 die erste Probefahrt gemacht werden. In dreieinhalb Stunden fuhren 11 Automobile von Meran nach Sterzing (heute benötigt man hierfür 2 Stunden weniger). Im Jahr darauf, am 15. Juni 1912 erfolgte auf dem Jaufenpass die offizielle feierliche Eröffnung der Jaufenstraße. Der Bau der Straße – 35 km lang und 5 m breit – hatte also acht Jahre gedauert und über 3.000 Kronen (das sind zirka 10 Mio. Euro) gekostet (diese Summe entsprach zwei Drittel mehr als veranschlagt).

Im Anschluss an die Eröffnung der Jaufenstraße wurde das Automobilverbot auf der Strecke Meran – St. Leonhard aufgehoben. Dagegen protestierten die Passeirer vergeblich wegen der großen Gefahr für Mensch und Tier. Ein Jahr nach der Eröffnung erhielt die Jaufenstraße eine Postautolinie. In den Sommermonaten verkehrte zweimal täglich ein Postauto mit 13 Sitzplätzen von Meran nach Sterzing und retour.

Lange Zeit fuhren auf der neuen Jaufenstraße noch zahlreiche Kutschen und Fuhrwerke.
Auch die  Stellwagen des Theis- und Stroblwirtes von St. Leonhard waren anfangs neben den Postautos im Einsatz. Die Stadt Meran organisierte Gesellschaftsausflüge für Einheimische und Gäste. Zeitungen und Werbebroschüren beschrieben die Straße als eine der schönsten Hochalpenstraßen, als eine Kunststraße mitten über die Berge. Im ersten Sommer wurden knapp 570 Automobile über den Jaufen gezählt. Während des Ersten Weltkrieges war der Verkehr eingestellt. Nach dem Weltkrieg übernahm eine Trentiner Gesellschaft den Postautoverkehr über den Jaufen, auch das Privatbusunternehmen Johann Kofler besorgte diesen Dienst.

Ab 1931 fuhren die roten Busse der SAD und die gelben Autocars des Landesverkehrsamtes Innsbruck über den Jaufen.
Die Betreuung der Jaufenstraße unterstand ab 1919 dem Staatsbauamt („Genio civile“), ab 1928 der „Azienda Autonoma Statale della Strada“ (A.A.S.S. – von den Einheimischen mit „Avanti avanti senza soldi“ übersetzt), ab 1948 der „Azienda Nazionale Autonoma delle Strade“ (ANAS) und seit 1997 der Autonomen Provinz Bozen.

Im Winter wurde die Jaufenstraße auf Ratschingser Seite für Bobrennen (Rodelsport) genützt. Die Straße wurde täglich mehrere Stunden lang für diesen Sport (teilweise waren es internationale Rennen) reserviert. Das erweckte den Unmut der Bauern, die den verschneiten Weg auch für Holzfuhren und als Gehweg nutzen wollten.

Ab 1960 wurde die Jaufenstraße geteert.
Auch der Tunnel bei der Glaitner-Kehre wurde geschlossen, die Schutzgalerie beim Vermaltal und mehrere Kehren wurden ausgebaut. Im Laufe der Jahrzehnte spuken in einigen Köpfen auch verschiedene Gedanken wie Jaufentunnel, Luftkissen und sogar einer Autobahn herum, die jedoch nie konkret wurden. In den 80er Jahren kam es zu mehreren Überfällen auf bundesdeutsche Touristen am Jaufen. Die Tourismusvereine veröffentlichten hierzu Warnungen. Seit 1989 ist der Jaufenpass auch im Winter mit Nachtsperre geöffnet. Große Probleme verursacht der Wind mit seinen Verwehungen mit Schneehöhen von drei bis vier Metern. Schon kleine Lawinen können für die Arbeiter verhängnisvoll sein. Auch Autofahrer, welche die Lage unterschätzten, sind samt Auto schon eingeweht worden und mussten von den zuständigen Straßenarbeitern ausgeschaufelt werden. In den letzten Jahren wurden mehrere Lawinenschutzbauten errichtet. Bis 2015 sollen die Lawinen- und Steinschlagschutzbauten verbessert bzw. eine Galerie erbaut werden.

Interessantes aus der Zeit der Anfänge des Automobils.
Die Autokennzeichen waren bis 1920 mit dem Buchstaben „T“ (Trient)  versehen, danach galt die Kennzahl „73“. Die erste Fahrschule in Meran gab es ab 1925 (Puccini). Zu dieser Zeit gab es in St. Leonhard drei Lastwagen und zwei Motorräder, aber noch keine Autos. Erst 1928 musste jedes Kraftfahrzeug mit einer Hupe versehen sein. Das Automobil war für die Leute einerseits ein Wunder  („dass eppis ohne Ross fohren konn...?), andererseits aber ein Monster („Der Staab und der Höllenlärm! Hennen stiabm assnonder und die Resser  werden wilde“). Die Stellwagenkutscher verparkten ihnen auch teilweise absichtlich den Weg. Die Fußgänger liefen panisch in die falsche Richtung und überhaupt mussten sich die Leute an „beschleunigte Reaktionen“ auf dem Dorfplatz erst gewöhnen, wenn ein Automobil daherkam.

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