Die Kinderwiege
Bemalte Kufenwiege, datiert 1876, vom Untersteinerhof in Pfelders, Gemeinde Moos. Inv.Nr.: 2000_128
Ida Gufler erzählt.
Von Daniel Hofer, Sandra Fahrner und Alexa Pöhl
Die Kinderwiege ist Teil der Sammlungsausstellung “Türen in die Vergangenheit”.
Sie zeigt sieben ausgewählte Objekte aus dem Museumsdepot und bereichert sie mit Erinnerungen von sieben Menschen. Die Ausstellung ist ein Maturaprojekt und wurde kuratiert und gestaltet von Daniel Hofer, Sandra Fahrner und Alexa Pöhl.
Schwester Annunziata Maria, geboren 1932 in Taisten. Foto …
“Sii hattn mii lai gsollt pa di Kinder låssn...”
Von Ida Gufler
Diese alte Kinderwiege aus dem Jahr 1876 ist mehr als nur ein Möbelstück – sie ist eine Zeitzeugin Ihr Holz zeugt von unzähligen Momenten, in denen kleine Kinder in ihren ersten Schlaf gehüllt wurden. Wie viele waren es wohl? Wie viele Kinder haben etwa vom Jahr 1876 bis zum letzten Gebrauch in dieser Wiege geschlafen? Viele Kinder, die später selbst ihre Kinder in diese Wiege legten. Viele, die vielleicht nicht das Kindesalter überlebten. Doch all diese Geschichten verweben sich in den Holzfasern dieser Wiege.
Ida Gufler ist Jahrgang 1939 und lebt im Haus St. Benedikt in St. Martin. Sie erinnert sich an die Geburten bei ihr Zuhause. Ihre Mutter hatte mehrere Frühgeburten. Da sie bei den Geburten sehr litt, mussten die Kinder das Haus verlassen und in den Wald gehen. Bei einer Geburt bei ihnen zu Hause waren stets eine Hebamme, ein Arzt und ein Pfarrer anwesend: „Der Pfarrer kam immer mit, damit jemand da war, falls sie sterben würde, denn ihr ging es wirklich schlecht. Ins Krankenhaus gehen hätte man selbst bezahlen müssen, deswegen blieb meine Mutter bei ihren Geburten immer zu Hause.“
Woher das Kind kam, war keine Frage: „Es hieß immer, ein Vogel hätte es gebracht oder es sei aus an fauln Stock [aus einem morschen Baumstrunk] herausgekommen.“Nach der Geburt musste die Mutter acht Tage lang ruhen und sich dann vom Pfarrer ausseegnin låssn [den Segen geben lassen], bevor sie wieder in die Kirche gehen durfte.
„Da musste man vor der Kirche niederknien, und der Pfarrer hat dann die „bösen Geister“ vertrieben. Erst danach durfte man wieder in die Kirche und wurde vom Pfarrer mit Weihwasser gesegnet.“, erzählt sie. Mütter wurden in dieser Zeit als „unrein“ bezeichnet.
Ida erzählt weiter: „Die Kinder wurden nur etwa einen Monat gestillt, weil die Mütter auf dem Hof arbeiten mussten. Ab einem halben Jahr setzten wir die Kinder in eine Staige [Apfelkiste aus Holz] und nahmen sie bei der Heuarbeit und anderem mit.“
Als Idas Schwiegermutter einmal auf ihr Kind aufpasste, gab es einen schmerzlichen Moment. „Bei mir war die Schwiegermutter zuhause und die hatte das Wort. Sie sagte, ich solle raus arbeiten gehen und sie schaue auf die Kinder. Einmal bin ich ins Haus gegangen, um das Kind zu stillen. Da habe ich die Schwiegermutter schreien gehört: „Du sacklere Fråtze [verfluchtes Balg], i schloog di grood niider, wenn du sou schraisch!“ Das hat mir weh getan. (...) Sie hätten nur mich sollen bei den Kindern zuhause bleiben lassen. Aber wenn man den Frieden haben wollte, musste man still sein. Die Schwiegertochter war sowieso immer der „böse Geist“.“
Schwester Annunziata Maria ist seit ihrem 23. Lebensjahr eine Klosterfrau der Barmherzigen Schwestern des Hl. heiligen Vinzenz von Paul in Zams bei Landeck. Seit 1970 ist sie als Schwester Oberin im Altersheim St. Benedikt in von St. Martin in Passeier. Zuvor arbeitete sie dort von 1958 bis 1960 als Krankenpflegerin.
Sie erinnert sich an ihre Ankunft in St. Martin: „Drei Tage lang habe ich meinen Koffer nicht ausgepackt, weil ich nicht bleiben wollte!“ Sie öffnete jeden Tag um 6 Uhr in der Früh die Türen des Altersheims, damit zwei Frauen die Hl. heilige Messe besuchen konnten: „Die eine ging mit zwei Krücken voraus und schaute ständig zurück, ob die andere mit einer Krücke nachkam!“ Beim Hostienpressen im Wiidn [Pfarrhaus] hat Schwester Annunziata Maria einige Male mitgeholfen und sich deshalb ein wenig mit dem Vorgang vertraut gemacht.
Die Hostien wurden im Widum von St. Martin gemacht. „Der Frühmesser, der Pfarrer oder der Kooperator waren dafür verantwortlich. Für die Hostien benötigte man ein besonderes, feines Mehl, und der Teig musste genau die richtige Konsistenz haben – weder zu fest noch zu flüssig.“
Es gab zwei Varianten, wie die Hostien gepresst wurden.
Auf der Fläche des Oblaten-Backeisen waren verschiedene religiöse Motive für nämlich vier große und wiederum fünf kleine. Deswegen konnte man je Arbeitsgang vier große und fünf kleine Oblaten pressen. Die großen Hostien waren für die Priester, die kleinen für die Eucharistie.
Den Teig, der beim Pressen auf der Seite herausgepresst wurde, nannte man „Hostienschnitz“. „In Passeier kamen früher oft Kinder und bettelten um diesen Hostienschnitz. Wenn sie dann zur Schule gingen, gaben teilten sie sich gegenseitig „die Kommunion“ aus.“ Schwester Annunziata erzählt: „Früher wurde die Kommunion nur sonntags in der Kirche ausgeteilt, und auch nur an die, die zuvor gebeichtet hatten.“
Sammlungsausstellung TÜREN IN DIE VERGANGENHEIT
12.4. – 31.10.2025
Maturaprojekt von: Daniel Hofer
Grafik, Konzeption, Interviews: Daniel Hofer, Sandra Fahrner, Alexa Pöhl
Beratung: Manfred Schwarz, Judith Schwarz
Fotografie: Sandra Fahrner
Abbau und Montage: Florian Öttl, Wolfgang Hofer, Hannes Spöttl, Milena Haller
Finanzielle Unterstützung: Bildungsausschuss St. Martin, Bildungsausschuss St. Leonhard
Blogartikel zur Entstehung des Projekts