Was man sehen will.
Die neue Sonderausstellung über Passeier und seine Partisanen.
Von MuseumPasseier
Am 6. September öffnete das MuseumPasseier seine neue Sonderausstellung. Sie handelt von Passeirer Wehrmachtsdeserteuren im Zweiten Weltkrieg, von denen rund 80 namentlich bekannt sind. Damit wagt das Museum – 80 Jahre nach Kriegsende – eine Rückschau auf ein Kapitel Passeirer Geschichte, über das Schweigen gelegt worden ist.
Am Anfang stand gar nicht der Gedanke an eine Sonderausstellung. Ursprünglich dachte das Museum nur daran, einen Themenabend zu gestalten und vorhandenes Interviewmaterial zu den Deserteuren zu zeigen. „Dann hat uns das Thema nicht mehr losgelassen: Wir wollten die Akten zum großen „Partisanenprozess“ finden, noch lebende Zeitzeug*innen befragen und schauen, was sich von den ehemaligen Verstecken vielleicht erhalten hat“, erzählt Monika Gögele, die Vorsitzende der Stiftung MuseumPasseier. So hat sie mit ihrem Museumsteam im November 2024 beschlossen, eine Sonderausstellung für das Euregio-Museumsjahr 2025 einzureichen. Passenderweise liegen die Schwerpunkte des Museumsjahres genau auf den Schlagworten „Krieg und Krisenzeiten – Widerstand – soziale Ungerechtigkeit“, die sich im Passeier in dem aufwühlenden Kapitel über Wehrmachtsdeserteure verdichten.
Lange Zeit wurde im Tal über die sogenannten Passeirer Partisanen geschwiegen. „Zu aufgeladen, zu nah, zu wenig heldenhaft“, fasst das Ausstellungsteam um Annelies Gufler, Monika Gögele, Barbara Pixner und Judith Schwarz zusammen, „während oder nach dem Krieg wurde wenig aufgeschrieben oder dokumentiert, bis heute fallen im Passeier nur Andeutungen oder halbe Sätze, so dass sich das Wissen über die Passeirer Deserteure verflüchtigt hat.“ Gleichzeitig seien die im Tal vielfach als Partisanen bezeichneten Männer, die sich unerlaubt vom Kriegsdienst entfernt hatten und untergetaucht waren, alle in einen Topf geworfen worden, egal, ob sie in Verstecken ohne Kontakte zur Außenwelt ausharrten oder bewaffnet umherzogen und Überfälle ausübten.
Man sieht, was man sehen will, schlussfolgert die Ausstellung schon im Titel – und meint damit nicht nur die bislang verdrängte Aufarbeitung im Tal oder unser aller Voyeurismus, sondern bezieht es auch auf die Ausstellung selbst: Die wahre Geschichte der Passeirer Partisanen könne auch das Museum nicht liefern, wohl aber eine Auseinandersetzung mit den widersprüchlichen Gefühlen, die sie bis heute auslösen.
Untergebracht ist die Ausstellung im historischen Keller des Sandwirts, bespielt werden vier Räume:
MITGEGANGEN – MITGEHANGEN zeigt die militärischen Vorgeschichten: Zentrales Element ist eine lebensgroße Papierpuppe mit ihren unterschiedlichen Kleidungen – als Versatzstücke für die Entscheidungen, die wehrpflichtige Männer ab 1939 zu treffen hatten. So erzählen die wechselnden Outfits nicht nur über Option, Militärdienst und Kriegseinsatz unter sich ständig verändernden Machtverhältnissen und Rahmenbedingungen, sondern auch vom gezwungenen oder freiwilligen Mitmarschieren.
WAS MAN SEHEN WILL widmet sich zunächst den Erinnerungen und Geschichten, die im Familiengedächtnis überliefert sind. Da ist zum Beispiel die Bäuerin, die den Knecht bittet, nicht in den Krieg zu ziehen, er solle eine Krankheit vortäuschen – da ist der Bauer, der das Versteck nicht preisgibt, indem er alle zum Narren hält – und da sind auch die Stimmen der Geschwister von Deserteuren, die als „Sippenhäftlinge“ von der Zwangsarbeit im Lager berichten. Neben diesen anekdotischen Zugängen dokumentieren Auszüge aus Pfarrchroniken und Prozessakten, dass die blutigen Auseinandersetzungen im Passeier nicht mit Kriegsende endeten, sondern Rache, Willkür und Gewalt wie kaum anderswo in Südtirol herrschten. Beide Erinnerungen, die guten wie die schlechten, gehören zu „Passeier und seinen Partisanen“ – und damit auch die Widersprüche zwischen den Bruchstücken, die lange Zeit im Schatten gestanden haben.
UNSERE SCHATTEN heißt auch der zentrale Raum, den die Besuchenden immer wieder passieren müssen, und in dem eine Installation von Hannes Egger ihre Schatten wirft, vielleicht auf jene der Vergangenheit, die im Heute noch herumgeistern – oder auf zukünftige, die uns bevorstehen. Im Luftzug des historischen Kellers tanzt dazu eine Drohne, die – gepaart mit der Frage „Was werde ich tun?“ – an hochaktuelle Debatten zu Wehrdienst und Krieg denken lässt.
GRAS DRÜBER – mit diesem Raum endet die Ausstellung. Fotografien von Klaus Gufler, der die heute überwucherten, zugeschütteten und eingefallenen Verstecke der Deserteure dokumentiert hat, machen augenscheinlich, wieviel zugewachsen ist – in der Erinnerung ebenso wie in der Landschaft. Die letzten Spuren und leisen Erzählungen, die es im Passeier zum Weltkrieg vor 80 Jahren noch gibt, werden erst sichtbar, wenn wir hinschauen und nachfragen.
Begleitend zur Ausstellung bietet das Museum deshalb bis zum 8. November 2025 ein Vermittlungs- und Veranstaltungsprogramm, das einlädt, sich mit den Erinnerungen der eigenen Familie an den Krieg auseinanderzusetzen und darüber zu sprechen.
Daten zur Ausstellung
Laufzeit:
07.09.2025 – 31.10.2026
Öffnungszeiten 2025:
07.09. – 31.10.2025 (Di – SO, 10 – 17 h), 02.11. – 08.11. (10 – 16 h).
Ausstellungsteam:
Monika Gögele, Annelies Gufler, Barbara Pixner (Design, grafische Umsetzung), Judith Schwarz (Texte)
Künstlerische Beiträge:
Hannes Egger (Schattenspiel), Klaus Gufler (Fotografien), Martin Hanni (Audiocollage)
Die Ausstellung entstand für das Euregio-Museumsjahr 2025 und wurde gefördert von der Euregio Tirol-Südtirol-Trentino sowie den Gemeinden St. Leonhard und St. Martin in Passeier. Das Begleitprogramm wird finanziell unterstützt durch die Bildungsausschüsse von St. Leonhard und St. Martin in Passeier.
Die Ausstellung in den Kellerräumen des Sandwirts ist leider nicht barrierefrei.